Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Gentechnik: Das perfekte Kind
> Durch die neue Entschlüsselung des Genpools beschwören Kritiker die
> Gefahr des Designerbabys herauf. Fakten spielen kaum eine Rolle.
Bild: Gegner der Analyse menschlicher DNA sehen das Designerbaby auftauen.
„Es soll groß, blond und blauäugig sein, hochbegabt und sportlich.“ „Ke…
Problem, dann kreuzen Sie das im Fragebogen an. Wir schauen, was wir für
Sie und ihr Ungeborenes tun können.“
Zugegeben, das ist eine sehr zugespitzte Vision eines Szenarios in der
Sprechstunde eines Frauenarztes, eines Humangenetikers oder in einer
Kinderwunschpraxis. Aber die Angst vor dem maßgeschneiderten Baby, das sich
Mutter und Vater mit Hilfe der Medizin in der Petrischale oder durch
Schwangerschaftsuntersuchungen basteln, wird offenbar immer größer.
Jetzt wird sie zusätzlich beflügelt durch eine vor kurzem bekannt gewordene
Methode zweier amerikanischer Wissenschaftler: Jacob Kitzman und Jay
Shendure haben einen Test entwickelt, mit dem der Genpool eines Kindes
identifiziert werden kann, ohne in den Mutterleib einzugreifen. Auf diese
Weise können Eltern lange vor der Geburt ihres Kindes erfahren, welche
Behinderungen oder todbringende Krankheiten der Fötus in sich trägt.
Die Meinungen darüber, ob das ein Segen oder ein Fluch ist, gehen weit
auseinander. Auf der einen Seite stehen Experten, die sagen: Endlich gibt
es eine Methode, die Eltern und Kind helfen, auf der sicheren Seite zu
sein. Kein Kind muss mehr mit Schäden auf die Welt kommen, die es im Leben
kaum ertragen kann. Und: Eltern können selbst entscheiden, ob und welche
Last sie auf sich nehmen.
Auf der anderen Seite beschwören Bioethiker, Behindertenverbände, die
christlichen Kirchen und Lebensschützer das Bild vom Designerbaby herauf:
„Ein Kind nach Maß“, wie die grüne Politikerin Christine Scheel es nannte.
Und sie alle warnen: Immer mehr Frauen werden abtreiben, wenn das Kind in
ihrem Bauch nicht diesem Maß entspricht.
## Warum habt ihr nicht abgetrieben?
Vor allem christliche Fundamentalisten treiben diese Debatte mit dem
„Schöpfungsargument“ voran. Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU)
bezeichnet Reproduktionsmedizin als „Generalangriff auf die Menschenwürde“,
andere sprechen von Mord, manche sogar von Euthanasie. Wiederum andere
Kritiker sagen, Eltern, die heute trotz aller Möglichkeiten ein behindertes
Kind bekämen, müssten sich dafür rechtfertigen: Warum habt ihr nicht
abgetrieben?
Jedes dieser Argumente ist nicht ganz von der Hand zu weisen: Ja, es gibt
den Druck zur Optimierung des Menschen, vor allem den Wunsch nach dem
perfekten Kind. Ja, die medizinische Forschung greift tief in den
natürlichen Entstehungs- und Entwicklungsprozess des Menschen ein. Ja,
viele Eltern werden solche Tests machen lassen. Und ja, es wird Frauen
geben, die nach einer schweren Diagnose abtreiben.
Aber ist das alles nur verantwortungslos, behindertenfeindlich und
diskriminierend? Zeigt sich nicht auch Verantwortung in der Entscheidung,
ein Kind nicht zu bekommen, das voraussehbar große Schmerzen erwarten oder
das einen frühen, qualvollen Tod sterben wird? Spricht es nicht für
Verantwortungsgefühl, wenn Eltern auch an ihre schon vorhandenen Kinder
denken, um die sie sich dann vielleicht nicht mehr so kümmern können, wie
es nötig wäre?
All diese Fragen können Betroffene am besten selbst beantworten. Sie sind
die einzig zulässigen RichterInnen in dieser Debatte, die eher moralischen
Normen folgt als dem Sachverstand. Und grundsätzlich sei noch gesagt: Keine
Frau treibt gewissenlos ab, schon gar nicht, weil das Kind nicht so ist,
wie sie es haben will. Darüber hinaus können sie mit Gentechnik gar nicht
steuern, wie sich das Kind in ihrem Bauch entwickelt, das können sie
bestenfalls mit ihrer eigenen Lebensweise.
## Forschung ist nicht aufzuhalten
Medizinische Forschung lässt sich nicht zurück- und schon gar nicht
aufhalten. Wer argumentiert, die moderne Reproduktionsmedizin betreibe
Selektion und führe zum „Tod bei Zweifel“, der vergisst, dass Medizin
zunächst einmal Leben rettet. Auch das Leben von Babys, die dank moderner
Medizin notfalls schon im Mutterleib operiert werden können. Solche
Therapien ersparen den Kindern, wenn sie erst auf der Welt sind, viele
Qualen.
Dafür sind Eltern dankbar. Zahlreiche Krankheiten werden bereits vor der
Geburt des Kindes entdeckt. Denn schon lange gibt es die Möglichkeit, bei
einem Ungeborenen Genveränderungen feststellen zu lassen, zum Beispiel
durch eine Fruchtwasserpunktion. Dabei wird mit einer Spezialnadel durch
die Bauchdecke der Schwangeren gestochen, es werden Zellen entnommen, die
beispielsweise auf Trisomie 21 (Down-Syndrom) oder den offenen Rücken
(Spina Bifida) untersucht werden. Das lassen in Deutschland jährlich
zehntausende Frauen machen – 90 Prozent von ihnen entscheidet sich bei
„negativem“ Ergebnis für einen Abbruch.
Das Problem bei der Punktion ist allerdings das hohe Risiko einer
Fehlgeburt, unabhängig davon, ob der Fötus gesund ist oder nicht. Durch das
neue Verfahren aus Amerika wird ein Abort vermieden. Das ist in jedem Fall
ein Fortschritt, Leben wird geschützt und nicht getötet.
Eines leistet die Forschung allerdings nicht: psychologische Begleitung.
Halten es Eltern aus, wenn ihnen gesagt wird, dass das Kind, das sie
sehnlichst erwarten, furchtbar krank sein wird? Wie durchleben sie die
Monate der Schwangerschaft, wenn sie sich dafür entscheiden, kein gesundes
Kind zu bekommen? Wie reagiert die Umwelt? Und was macht es mit Müttern und
Vätern, wenn sie trotz aller negativen Voraussagen ein Kind ohne
Fehlbildungen bekommen? Nicht jeder Test ist heute hundertprozentig
korrekt.
## Kein Zwang zum Test
In der psychologischen Betreuung Betroffener liegt die große
Herausforderung der Reproduktionsmedizin. Wenn die gegeben ist, wird es
Frauen und Männern leichter fallen, eine reife Entscheidung zu fällen.
Allerdings wird niemand gezwungen, sein künftiges Kind oder sein eigenes
Genmaterial testen zu lassen. Wer das nicht will, darf sich der Medizin
durchaus verweigern und alles auf sich zukommen lassen. Unabhängig davon
werden die meisten Menschen nach wie vor auf natürlichem Wege Kinder
bekommen und sich an ihnen erfreuen. Egal, was für ein Kind es ist.
21 Jun 2012
## AUTOREN
Simone Schmollack
Simone Schmollack
## TAGS
Oldenburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Theaterstück „Die Laborantin“: Im Optimierungswahn
In Ella Roads „Die Laborantin“ entscheidet das Erbgut über das persönliche
Vorankommen. Das Staatstheater Oldenburg bringt das Stück die Bühne.
Umwelt und Gene: Wie wir werden wie wir sind
Die Eigenschaften des Nachwuchses werden nicht nur von der Sequenz der Gene
bestimmt. Auch Umweltfaktoren verändern und vererben Aktivitätsmuster.
Untersuchung auf Down-Syndrom: Schweiz erlaubt umstrittenen Bluttest
Ab Mitte August will die Schweiz einen umstrittenen Bluttest zur Erkennung
des Down-Syndroms bei Embryos freigeben. Der Test diene der Selektion von
Menschen, sagen Kritiker.
Protest mit Erfolg: Kein gutes Feld für Gen-Forscher
Ackerbesetzungen und Negativimage beim Verbraucher: Gentechnik in
Deutschland hat es schwer. Dennoch wollen Konzerne nicht auf diese
Technologie verzichten.
Blutuntersuchung auf Down-Syndrom: Gutachter hält Test für illegal
Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung fordert, den Bluttest
„PraenaTest“ zu verbieten. Die Untersuchung vor der Geburt soll Trisomie 21
feststellen.
Diskussion um PID: Der Arzt, der den Streit implantierte
Matthias Bloechle macht Gentests an künstlich gezeugten Embryonen - als
Erster in Deutschland. Der Bundestag wird in Kürze darüber entscheiden, ob
das verboten wird.
Nobelpreisträgerin über Embryonengesetz: „Man kann Intelligenz nicht einbau…
Die Biologin Christiane Nüsslein-Volhard findet das Embryonenschutzgesetz
kriminell. Es untersage Dinge, die gar nicht möglich sind.
Streit der Woche: Müssen wir Angst vor dem Designer-Baby haben?
Spätestens im Januar soll der Bundestag über ein Gesetz zu
Präimplatationsdiagnostik abstimmen: sinnvolle Hilfe für werdende Eltern -
oder der erste Schritt zur Genselektion?
Pro & Contra: Gibt es dank PID bald Designerbabys?
Gestattet das Karlsruher Urteil die Auslöschung von Behinderten? Oder haben
Familien jetzt endlich eine legale Option, trotz Erbkrankheiten ein
gesundes Kind zu bekommen?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.