Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Brechmittel-Urteil erneut aufgehoben: „Fast grotesk falsch"
> Zum zweiten Mal hat der Bundesgerichtshof den Freispruch für einen
> Polizeiarzt aufgehoben, der einen Afrikaner ertränkte. Der Fall muss noch
> einmal vollständig aufgerollt werden.
Bild: Bereits zweimal falsch freigesprochen: Der angeklagte Polizeiarzt (l.).
BREMEN taz | Der Bundesgerichtshof (BGH) hat erneut den Freispruch des
Polizeiarztes aufgehoben, der für den Tod des Afrikaners Laya Condé
verantwortlich ist. Im Dezember 2004 hatte er dem aus Sierra Leone
stammenden Mann ein Brechmittel und Wasser eingeflößt, um ihn zum Erbrechen
verschluckter Drogen zu bringen. Der Mann überlebte die Tortur nicht:
Während der so genannten „Exkorporation“ war er ins Koma gefallen und starb
einige Tage später im Krankenhaus.
„Tod durch Ertrinken“, diagnostizierten die Ärzte – das Wasser, das ihm …
Arzt per Nasensonde eingeflößt hatte, war in Condés Lunge gelaufen. In
einem ersten Prozess war der Arzt 2008 vom Bremer Landgericht
freigesprochen worden, bereits dieses Urteil hatte der BGH aufgehoben.
Auch bei der Neuauflage des Verfahrens gab es vergangenes Jahr einen
Freispruch, wieder beantragten die Anwältinnen von Laya Condés Mutter, das
Urteil aufzuheben und den Fall zur Neuverhandlung zurückzuverweisen. Sie
erklärten den Bundesrichtern, die Bremer Schwurgerichtskammer habe nicht
ausreichend geprüft, ob der Arzt den Mann ausführlich über die Risiken der
Prozedur aufgeklärt habe. Dann hätte Condé das Brechmittel vielleicht
freiwillig genommen.
So aber wurde Condé nach seiner Festnahme an der Sielwallkreuzung erst das
Brechmittel Ipecacuanha über eine Nasensonde eingeflößt und danach große
Mengen Wasser, um den Brechreiz weiter zu fördern. Nachdem Condé ohnmächtig
war, rief der Polizeiarzt den Notarzt, der ihn wieder stabilisierte. Obwohl
der Festgenommene danach bereits ein paar der verschluckten Kokainkügelchen
ausgespuckt hatte, flößte ihm der Arzt weiterhin Wasser ein. Die Folge:
Atemstillstand. Condé wurde ins St.-Joseph-Stift eingeliefert, als er
bereits hirntot war.
## Mit „körperlichen Nachteilen“ rechnen
Als Folge der „Komplikationen“ setzte der damalige Innensenator Thomas
Röwekamp (CDU) den zwangsweisen Einsatz von Brechmitteln in Bremen „bis auf
weiteres“ aus, entschuldigte das Vorgehen allerdings damit, dass
„Schwerstkriminelle“ mit „körperlichen Nachteilen“ rechnen müssten. D…
„körperlichen Nachteile“, die Laya Condé erleiden musste, mündeten, zwei
Tage nach den Worten Röwekamps, in seinen Tod.
Sowohl Condés Angehörige als auch Bremer BürgerInnen forderten den
Rücktritt des Innensenators und erstatten Anzeige gegen ihn, erst wegen
übler Nachrede, dann wegen fahrlässiger Tötung. Beide Verfahren stellte die
Staatsanwaltschaft rasch ein. Auch ein Misstrauensantrag der Grünen
scheiterte bei der Abstimmung in der Bürgerschaft. Acht Abgeordnete der
großen Koalition aus SPD und CDU stimmten mit den Grünen und der FDP gegen
Röwekamp, der bis 2007 im Amt blieb.
Knapp einen Monat nach der Verhaftung Condés entschied der
Koalitionsausschuss der Landesregierung, zukünftig auf die zwangsweise
Brechmittelvergabe zu verzichten. Ersetzt wurde sie durch die so genannte
„Beweissicherungshaft“ gegen mutmaßliche Drogenhändler: In Gefängniszell…
mit speziellen Toiletten sitzen die Verdächtigen so lange, bis etwaige
verschluckte Drogenpäckchen auf natürlichem Wege ausgeschieden werden.
Vier Jahre nach dem Tod des 35-Jährigen sprach das Bremer Landgericht den
Polizeiarzt vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei: Er habe zwar
„objektiv gegen seine Sorgfaltspflicht“ verstoßen, dies jedoch „aufgrund
mangelnder Ausbildung und Erfahrung mit Brechmittelvergaben subjektiv nicht
erkennen“ können. Nachdem der BGH den Freispruch wieder aufgehoben hatte,
befand das Landgericht in einem erneuten Urteil, die Todesursache des
Afrikaners könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden – und sprach den
Arzt wieder frei.
Der BGH bezeichnete diesen Freispruch gestern als „fast grotesk falsch“.
Der Fall muss nun an einer anderen Kammer des Bremer Landgerichts noch
einmal vollständig aufgerollt werden. Damit kann Laya Condés Mutter erneut
gegen den Mann klagen, der für den Tod ihres Sohnes verantwortlich ist.
(mit Material von dpa und dapd)
20 Jun 2012
## AUTOREN
Simone Schnase
## TAGS
Brechmittel
Brechmittel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bremer Brechmittelprozess: Proteste gegen die Richterin
Das Verfahren gegen den Bremer Polizei-Arzt, der für den Tod Laye Condés
verantwortlich ist, wird vorerst nicht eingestellt: Die Staatsanwaltschaft
will noch die Aussagen weiterer Gutachter hören.
Brechmittelprozess: Aussage voller Widersprüche
Im dritten Prozess um den Brechmittel-Tod von Laye Condé hat jetzt zum
ersten Mal der angeklagte Polizeiarzt ausgesagt – und sich damit
unglaubwürdig gemacht
Tod durch Brechmittel: Zwei falsche Freisprüche
Der Tod des Afrikaners Laye Condé nach der Verabreichung eines Brechmittels
2004 beschäftigt jetzt zum dritten Mal das Bremer Landgericht.
Kommentar Brechmittel-Prozess: Opfer zweiter Klasse
Der Öffentlichkeit kann es im Kampf gegen das Feindbild des afrikanischen
Dealers gar nicht hart genug zugehen. Und die Justiz schont findig jene,
die diese Denke übernehmen.
Prozess um Einsatz von Brechmittel: Arzt wird erneut freigesprochen
Vor mehr als sechs Jahren starb ein Afrikaner in Bremen, nachdem ein
Polizeiarzt ihm Brechmittel eingeflößt hatte. Der Mediziner wurde nun zum
zweiten Mal freigesprochen.
Plädoyers im Brechmittelprozess: Eine Frage der Aufmerksamkeit
Den Polizeiarzt treffe keine Schuld am Tod des mutmaßlichen Kleindealers,
sagt die Verteidigung. Die Anklage sieht jede Menge Pflichtverletzungen.
Bremer Polizeiarzt weiter allein vor Gericht: Brechmitteltod neu aufgerollt
Im Bremer Brechmittelprozess könnte es laut Bundesgerichtshof mehrere
Schuldige geben. Doch nun steht ein Polizeiarzt wieder allein vor Gericht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.