# taz.de -- Plädoyers im Brechmittelprozess: Eine Frage der Aufmerksamkeit | |
> Den Polizeiarzt treffe keine Schuld am Tod des mutmaßlichen Kleindealers, | |
> sagt die Verteidigung. Die Anklage sieht jede Menge Pflichtverletzungen. | |
Bild: Der angeklagte Arzt Igor V. (links) im März im Landgericht in Bremen. | |
Schuld sind, wenn überhaupt, die anderen. Die zwangsweise Vergabe von | |
Brechmitteln, rief Erich Joester am Dienstag in Erinnerung, sei jahrelang | |
von Fachleuten für unbedenklich erklärt und von der Justiz gebilligt | |
worden. "Auch in Bremen haben alle Senatoren heftig für diese Maßnahme | |
gestritten." Joester verteidigt den Bremer Polizeiarzt Igor V., der Ende | |
2004 dem von einer Zivilstreife aufgegriffenen und des Drogenhandels | |
verdächtigten Sierra Leoners Laye Condé im Polizeigewahrsam den | |
umstrittenen Sirup sowie literweise Wasser in den Magen gepumpt hatte - bis | |
dieser kollabierte. | |
Seit Januar muss sich V. deswegen zum zweiten Mal vor dem Bremer | |
Landgericht verantworten. Staatsanwaltschaft und Nebenklage werfen ihm | |
fahrlässige Tötung in Tateinheit mit Körperverletzung vor. Er habe Condé | |
nicht ausreichend untersucht und die vom Europäischen Gerichtshof | |
inzwischen als Folter deklarierte Prozedur sogar noch fortgeführt, nachdem | |
er selbst einen Notarzt zu Hilfe gerufen hatte, weil Condé "nicht | |
ansprechbar" war. "Pflichtverletzungen" V.s hätten dazu geführt, dass Condé | |
große Mengen Wasser in die Lunge bekommen hätte und ertrunken sei. | |
Dieser These trat die Verteidigung am Dienstag vehement entgegen. Die | |
Todesursache sei weiter unklar. Die neun Sachverständigen hätten sich in | |
wichtigen Punkten widersprochen und ihre Versionen allenfalls als | |
"höchstwahrscheinlich" bezeichnet. | |
Wahrscheinlichkeiten aber reichen nicht aus, um eine Schuld zu beweisen. | |
"Es gibt im menschlichen Organismus so viele Abläufe, die wir nicht klären | |
können", so Joester. Anders als von der Anklage dargestellt sei V. zudem | |
ein "skrupulöser" Mensch. "Jeder kleinste Anhaltspunkt hätte ihn sofort | |
dazu gebracht, aufzuhören" - bloß habe es dazu keinerlei Anlass gegeben. | |
Hätte Condé tatsächlich, wie von der Anklage unterstellt, bei dem | |
stundenlangen Erbrechen, Pumpen und Schlucken Wasser in die Lunge bekommen, | |
so hätte er husten müssen, sagte Joester. Ein am Dienstag eigens | |
vernommener Neurologe bestätigte, der Hustenreflex sei "extrem stabil". | |
In seinem Plädoyer listete Joester mannigfaltige Indizien dafür auf, dass | |
die - von V. nicht zu erkennende - Herzschwäche Condés für dessen Tod | |
verantwortlich gewesen sei. Staatsanwalt Nikolai Sauer betonte dagegen, | |
dass auch der Neurologe eine "stille Aspiration" ohne Husten explizit nicht | |
ausgeschlossen habe. | |
Er forderte eine neunmonatige Bewährungsstrafe für V. und kritisierte die | |
falschen Prioritäten im Beweissicherungsraum: "Alle konzentrierten sich auf | |
die Sicherstellung der Drogen-Kügelchen - und nicht auf den | |
Gesundheitszustand Condés." | |
Rechtsanwältin Elke Maleika, welche die Mutter Condés vertritt, sagte, eine | |
Verurteilung sei wichtiger als das Strafmaß selbst. Die Verteidigung | |
verlangte einen Freispruch. Das Gericht habe "viel zu beraten", sagte | |
Richter Helmut Kellermann. Am 14. Juni soll das Urteil verkündet werden. | |
31 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Armin Simon | |
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