# taz.de -- Debatte Männlichkeit: „Eier zeigen“? Warum nicht! | |
> Die phallische Logik ist demoliert, es braucht neue Leitbilder. Sie | |
> dürfen die Männlichkeit nicht verstecken oder kleinreden, ganz im | |
> Gegenteil. | |
Bild: Schweinsteigers Äußerung transportiert ein anderes Männlichkeitsbild | |
„Auf dem Weg zum Punkt hatte ich kurz meine Eier verloren“, offenbarte | |
Bastian Schweinsteiger. Er beschrieb damit seinen Gefühlszustand, als er im | |
Champions-League-Halbfinale zum entscheidenden Elfmeter gegen Real Madrid | |
antrat. „Aber ich habe sie rechtzeitig wiedergefunden“, erklärte er die | |
konsequente Ausführung des Strafstoßes. | |
Scheinbar ein typischer Machospruch, wie er im Männerfußball gepflegt wird | |
seitdem Extorwart Oliver Kahn nach einer Pleite „Eier, wir brauchen Eier!“ | |
forderte. Doch Schweinsteigers Äußerung transportiert ein anderes | |
Männlichkeitsbild als das seines ehemaligen Mitspielers. Der 27-jährige | |
zeigt damit, wo es mit dem Mann hierzulande hingehen kann. | |
Denn wie der Nationalkicker scheint auch der deutsche Mann auf dem Weg in | |
die Neuzeit seine Eier verloren zu haben. Er fühlt sich als Opfer | |
gesellschaftlicher Veränderungen. So legen es diverse publizistische | |
Erzeugnisse nahe, die eine Art Männerbashing beklagen. „Das entehrte | |
Geschlecht“ nennt zum Beispiel der Buchautor Ralf Bönt sein „notwendiges | |
Manifest für den Mann“. | |
Und Christoph Kucklick erklärt in der Zeit und im Spiegel, wie der Mann zum | |
„verteufelten Geschlecht“ wurde. Beide haben Phänomene ausgemacht, die dem | |
Gleichberechtigungsstreben von Frau und Mann zuwiderlaufen. Zudem beklagen | |
sie einen beständigen Angriff auf die männliche Würde. | |
Damit haben sie durchaus recht. Seit über zehn Jahren wird auf die | |
geringere Lebenserwartung von Männern hingewiesen, auf die Schwierigkeiten | |
von Jungen in einer weiblich geprägten Pädagogik und andere soziale | |
Ungleichgewichtungen. Jedoch: Der Befund ist nicht neu und Therapieversuche | |
waren zaghaft. Zudem ist „der Mann“ nicht Opfer der Gesellschaft. Er | |
dominiert sie nach wie vor – vor allem wirtschaftlich. Dennoch sollte ernst | |
genommen werden, dass sich Männer in ihrer Geschlechterrolle zunehmend | |
unwohl fühlen. Denn es ist für den Zusammenhalt einer Gesellschaft | |
bedenklich, wenn sich ein wesentlicher Teil seelisch demontiert fühlt. | |
Das Problem: Statistiken stellen Missverhältnisse als Größen dar. Das | |
Beklagen lenkt den Blick auf Ungerechtigkeiten. Doch zu einer Lösung des | |
empfundenen Unrechts führt beides nicht. Wie lässt sich also etwas ändern? | |
## Demolierte Symbolik | |
Unter anderem durch Symbole. Es ist leichter, neue Wege zu gehen, wenn es | |
ein starkes Leitbild gibt. Für Männer war und ist dieses die „phallische | |
Symbolik“. Ein nach außen gewandtes, auf Kraft, Härte und Aktionismus | |
setzendes Leitbild. „Schneller, höher, weiter!“, heißt dessen Antreiber. | |
Doch diese Symbolik ist mittlerweile stark demoliert. Sie wirkt – zumindest | |
in der Mittelschicht – affektiert und lächerlich. | |
Für Männer ist das ein harter Schlag, denn sie haben damit einen Kodex | |
verloren, der Männlichkeit im sozialen Zusammenhang definiert hat. Ihr | |
„bestes Stück“, seit ewigen Zeiten als Lust- und Kraftspender gefeiert, | |
klar zu erkennen und greifbar, ist zu einem lächerlichen Anhängsel | |
degradiert oder wird gar als Waffe zur Unterdrückung der Frau diffamiert. | |
Der seelische Knacks dröhnt den betroffenen Männern wie ein ständig | |
wiederkehrender Tinnitus im Kopf. | |
Die Alternative heißt: „Eier zeigen!“ Nicht als Machogehabe, sondern als | |
selbstbewusste Männlichkeit, die auf das setzt, was vorhanden ist. Die | |
substanzielle Kraft eines Mannes liegt symbolisch in seinem Inneren. Sie | |
ist unabhängig von seinen Erfolgen, seinen Taten, seinen sexuellen | |
Präferenzen und seinem Äußeren. | |
In den Eiern respektive den Hoden sind (Zeugungs-)Kraft und Verletzlichkeit | |
gleichermaßen beheimatet. Männlichkeit muss nicht durch Aktionismus ständig | |
neu bewiesen werden. Sie ist biologisch auch ohne Heldentaten vorhanden. | |
## Auch ohne Erektion ein Mann | |
Diesem Leitbild zufolge ist das Mannsein nicht von blauen Pillen abhängig. | |
Der Mann ist auch ohne Erektion ein Mann. Wenn es ihm gelingt, sich so zu | |
akzeptieren, wie er ist, wird er männlicher sein als der | |
Geschlechtsgenosse, der sich an Männlichkeitsidealen abarbeitet oder wegen | |
seines fragilen Männlichkeitsbilds in Depressionen verfällt. Vor allem | |
aber: Die Hoden müssen geschützt werden. Sie sind wertvoll. Sie sind die | |
Kronjuwelen eines Mannes. Damit hat er etwas zu verlieren – und mit Stolz | |
zu verteidigen. | |
„Eier zeigen“ ist keine maskuline Kampfansage an Frauen, sondern an die | |
Beliebigkeit und die Bequemlichkeit. Es symbolisiert die Fähigkeit, zu sich | |
zu stehen und für etwas einzustehen. Dazu gehört auch der Mut, Dinge | |
einzufordern oder für sie zu werben. Beispiel Karrierefreiheit: Noch immer | |
verdienen Männer im Durchschnitt gut 20 Prozent mehr als Frauen. Dieses | |
finanzielle Übergewicht sichert ihnen eine starke gesellschaftliche | |
Stellung, ist aber gleichzeitig auch ein Zwang. Wer, wie vom Autor Ralf | |
Bönt gefordert, das Recht haben will, nicht zwangsweise der Ernährer einer | |
Familie sein zu müssen, kommt nicht drum herum, „Eier zu zeigen“. | |
## Für alle ein Gewinn | |
Beispiel Erziehungsarbeit: Trotz „Männer in Kitas“-Kampagnen, Elterngeld | |
und ähnlichen Aktionen werden Väter nur dann ihren Kindern ähnlich nahe | |
sein wie die Mütter, wenn sie klare Position beziehen. Sie müssen ihren | |
Teil der Erziehungsarbeit einfordern und ausfüllen, denn freiwillig werden | |
sie ihn nicht in gewünschter Form bekommen. Ebenso wie Männer stehen auch | |
Frauen diesbezüglich unter Zwängen, sind unsicher und haben etwas zu | |
verlieren. In so einer Situation als Mann „Eier zu zeigen“, deutlich | |
Wünsche und Ängste zu äußern, ist für alle ein Gewinn. | |
Im angelsächsischen Raum sind die „balls“ ebenso mit Wertschätzung | |
verbunden wie die „cojones“ in Spanien. „Eier zeigen“ kann ein kraftvol… | |
Begriff für selbstbewusste Männlichkeit sein, wenn man ihn in ähnlicher | |
Form nutzt, wie es Bastian Schweinsteiger getan hat – Kraft demonstrieren | |
und Unsicherheit zulassen. Auch Frauen profitieren in Beziehungen von | |
eigenverantwortlichen, klaren und selbstbewussten Partnern. Warum sollen | |
wir diese Symbolik dem eindimensionalen Machismo überlassen, wenn sie doch | |
für beide Geschlechter innovativ sein kann? | |
24 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Jan-Rüdiger Vogler | |
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