# taz.de -- Gleichstellungsbericht der Regierung: Wenn Kinder arm machen | |
> Der Bericht zur Gleichstellung wurde von Familienministerin Schröder fast | |
> verschwiegen. Er zeigt, wie Frauen benachteiligt werden, die für Kinder | |
> eine Auszeit nehmen. | |
Bild: Wer jetzt Kinder betreut, riskiert später Armut. | |
BERLIN taz | Gleichstellungsbericht? Kennen Sie nicht? Kein Wunder. Denn | |
die zuständige Frauenministerin Kristina Schröder (CDU) erwähnt ihn kaum. | |
Zu seiner Übergabe schickte sie ihren Staatssekretär. Doch der Bericht hat | |
Besseres verdient, meint die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin | |
und spendierte dem 250-Seiten-Werk am Donnerstagabend eine | |
Geburtstagsveranstaltung: Ein Jahr ist er nun alt. | |
In der Fachwelt hat der Bericht für Furore gesorgt. Denn zum ersten Mal | |
werden die geschlechterpolitischen Effekte der Politik über den gesamten | |
Lebensverlauf beschrieben. Das ist entscheidend, weil man die späteren | |
Folgen von im Moment rational erscheinenden Entscheidungen mit in den Blick | |
nehmen kann, so erklärte die Volkswirtin Ute Klammer von der Uni Duisburg, | |
die die entsprechende Sachverständigenkommission geleitet hat. So sei | |
vielen Frauen nicht klar, dass jeder Monat ihrer Berufsunterbrechung für | |
die Kinder ihr späteres Einkommen weiter dezimiere: „Die Unterbrechungen, | |
das zeigen die Längsschnittstudien, lassen sich nicht mehr kompensieren“, | |
warnte Klammer. | |
Eine weitere Tücke, die die sogenannte „Lebensverlaufsperpektive“ | |
offenlegt: Frauen, die sich bei Geburt der Kinder auf eine traditionelle | |
Arbeitsteilung einließen, sehen später, falls ihnen der Ernährer | |
abhandenkommt, einem Alter in Armut entgegen. Aus den 23 Prozent | |
Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern werden im Alter 58 Prozent | |
Einkommensunterschied. Die traditionelle Arbeitsteilung ist auch eine | |
Falle, wenn Frauen später in Scheidung leben. Das Unterhaltsrecht verlangt | |
verstärkte Erwerbstätigkeit. Doch sie sind längst dequalifiziert. | |
Mit dieser Perspektive kann auch ein politisches Leitbild für die künftige | |
Geschlechterpolitik definiert werden. Grundlage dieses Bildes wäre, dass | |
jeder sich selbst ernähren können muss. Zugleich müssen beide Partner | |
zeitweilig für Familienaufgaben wie Kinder oder Pflege aussteigen können, | |
ohne dass sie gleich im Hartz-IV- Bezug landen. Damit widerspricht der | |
Bericht dem Credo der Familienministerin Kristina Schröder, die stets | |
betont, dass sie niemandem ein Leitbild vorschreiben möchte. | |
„Ohne ein Leitbild können Sie keine konsistente Politik machen“, stellte | |
Klammer schlicht fest und beschrieb die politischen Konsequenzen der | |
Expertise. So müssten alle Anreize schwinden, die Frauen von der | |
eigenständigen Sicherung abhielten: Minijobs etwa, mit denen man kaum | |
Rentenansprüche erwirbt. Der Bericht spricht sich auch für einen | |
Mindestlohn aus und für Quoten in der Privatwirtschaft. Das Betreuungsgeld, | |
das nur für einen relativ kurzen Zeitraum gezahlt wird, passt prinzipiell | |
in das Leitbild. Doch der Ausbau der Kinderbetreuung sei sehr viel | |
dringlicher, so Klammer. Das Geld sollte deshalb in die Kitas gesteckt | |
werden. | |
## Mehr Anerkennung für Erziehungszeiten | |
Eva Maria Welskop-Deffaa, die im Familienminsterium die Abteilung | |
Gleichstellung leitet, nahm ihr Ressort gegen den Vorwurf der Untätigkeit | |
in Schutz: „Wir sind nun gefordert, in die Umsetzung zu gehen. Da passiert | |
mehr, als Sie vielleicht denken.“ So sei etwa die Debatte um eine bessere | |
Anerkennung der Erziehungszeiten bei der Rente durch den Bericht | |
entstanden. | |
In der anschließenden Diskussion präsentierten die Bloggerin Katrin Rönicke | |
und die Journalistin Elisabeth Niejahr die absurden Auswirkungen der | |
jetzigen Politik. So hätte Rönicke ihr Studium schmeißen müssen, weil sie | |
Kinder bekam. Nur ein Stipendium verhinderte das. Niejahr konnte mit ihrem | |
Ehemann und ohne Kinder einen monatlichen Steuervorteil von 600 Euro auf | |
ihrem Konto verbuchen. Als sie später alleinerziehende Mutter war, war der | |
Vorteil weg und sie musste sich mit 184 Euro Kindergeld begnügen. | |
„Die kinderlose Ehe ist dem Staat mehr wert als die Mutterschaft“, stellte | |
sie fest. Und Renate Schmidt, SPD-Familienminsterin a. D., tat die späte | |
Erkenntnis kund: „Wir haben uns zu viel gefallen lassen.“ Wer an diesem | |
Abend nicht erwähnt wurde, war Frauenministerin Kristina Schröder, aus | |
deren Ministerium der Bericht stammt. Warum bloß? | |
22 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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