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# taz.de -- „The Amazing Spider-Man“: Küsse und Bisse
> „The Amazing Spider-Man“, der vierte Teil der Serie, hat einen neuen
> Hauptdarsteller und einen neuen Regisseur. Und richtet sich geradewegs an
> Teenager.
Bild: Kein Held mehr für Erwachsene: Andrew Garfield als Peter Parker/Spiderm…
Um die Konzeption dieses „Spider-Man“-Films hat es im Vorfeld schwere
Auseinandersetzungen gegeben. Mit dem Ergebnis, dass das Team, das uns die
letzten drei Episoden um diesen selbstzweiflerischsten aller Superhelden
bescherte, schließlich gefeuert wurde. Kein sympathisch selbstironisch
lächelnder Tobey Maguire mehr. Keine Kirsten Dunst als Freundin MJ, kein
James Franco als bester Freund und härtester Gegenspieler zugleich.
Und vor allem kein Regisseur Sam Raimi, der das alles als doppelkodiertes
Spektakel verfilmte, das sowohl als Actionfilm als auch auf der
Reflexionsebene eines Nachdenkens über die Implikationen des Heldseins
(„Aus großer Kraft wächst große Verantwortung“) funktionierte.
Stattdessen wird uns nun also die ganze Geschichte noch einmal von vorn
erzählt, von Marc Webb als neuem Regisseur und mit Andrew Garfield (bei dem
man als deutscher Kinozuschauer vor der Herausforderung steht zu vergessen,
dass er manchmal wirklich exakt wie der Fußballspieler Thomas Müller
aussieht) als neuer Spider-Man. Es gibt ein paar Verschiebungen.
So spielt in dieser Neufassung der Verlust der Eltern eine größere Rolle
als bei den Raimi/Maguire-Episoden, außerdem muss sich Peter Parker alias
Spider-Man statt in prekären Jobs als freier Zeitungsfotograf nun wieder
auf der Highschool durchschlagen. Aber im Wesentlichen ist das dieselbe
Geschichte um das linkische Waisenkind, das bei Onkel und Tante aufwächst
und, von einer Spinne gebissen, allmählich eine Doppelidentität als
verantwortungsbewusster Superheld und ganz normale Jedermannfigur
ausbildet.
## Heldenrolle, Alltagsfigur
Aber in der Umsetzung sind die Unterschiede enorm – und ein Zusatzspaß, den
der neue Film bietet, besteht darin, ihn so mit den vorangegangenen
Episoden zu vergleichen, wie man eine Tschechow-Inszenierung von, sagen
wir, Thomas Ostermeier mit einer von Jürgen Gosch vergleichen würde. Gerade
aus der Differenz zwischen Heldenrolle und Alltagsfigur haben Raimi/Maguire
viel gemacht.
Sie zeigten, dass man in der heutigen prekären Arbeitswelt eigentlich schon
als ganz normaler Mensch Heldenkräfte bräuchte und dass die Heldenrolle
immer mal wieder dem Alltagsleben in die Quere kommt. Diese Differenz ist
nun bei Webb/Garfield so gut wie ganz getilgt.
Offenbar stellt sich das neue Team das Erwachsenwerden nicht mehr als
souveränen Umgang mit verschiedenen Rollenanforderungen vor (ihn zu lernen
war die große Aufgabe des Maguire-Spider-Mans gewesen), sondern als
selbstverständliches Annehmen von und sogar Verschmelzen mit den eigenen
Fähigkeiten. Und man kann sich ausmalen, dass dies auch im Hintergrund der
Komplettneuausrichtung stand.
In einer Zeit, in der die großen Dramen von Individuation und Pubertät ganz
selbstverständlich anhand von Vampir- und Werwolffiguren erzählt werden,
ist ein Spider-Man, der immer auch wieder mit seiner eigenen Rolle hadert,
nicht mehr teenagerkompatibel.
## Von der Spinne zum Vampir
Die Bedeutung der Vampirfilme macht dieser Spider-Man in einer hübschen
Szene ganz nebenbei klar. Andrew Garfield gesteht seiner Freundin Gwen
Stacy (Emma Stone): „Ich wurde gebissen.“ Damit meint er natürlich von der
Spinne. Aber sie sagt nur: „Ich auch.“ Sie hat das sofort in eine
Liebeserklärung übersetzt. Biss=Liebe, diese Gleichung hat es bei den alten
Episoden so noch nicht gegeben.
Dass es in der Neuverfilmung darum geht, den Spider-Man-Mythos wieder für
die Teenager zurückzuerobern, wird in der Anhäufung typischer Szenen aus
dem Teenieleben deutlich. Die Schlägerei auf dem Pausenhof. Wenn man nachts
spät nach Hause kommt und, das Gesicht im Kapuzenpulli vergraben, heimlich
an den Kühlschrank schleicht. Oder wenn man sich beim ersten Dinner bei den
Eltern der Freundin gleich mit dem Vater streitet.
Solche archetypischen Szenen einer Coming-of-Age-Geschichte spielen hier
eine mindestens so große Rolle wie die Auseinandersetzung mit dem bösen
Gegenspieler – übrigens ein Wissenschaftler, der eigentlich nur seinen
amputierten Arm wieder zurückgewinnen will, dann seinen Ehrgeiz aber nicht
mehr bremsen kann.
Großartig ist die Performance von Andrew Garfield. Er gibt mit seinem
hochlinkischen Grimassieren und vor allem seiner wirklich schrägen Art,
ständig halb in sich verknotet irgendwo herumzusitzen, eine tolle Studie
eines jungen Mannes, der mit seinem Körper noch nicht im Reinen ist.
## Fliegen oder skaten
Aber ein Held auch für Erwachsene ist dieser Spider-Man, anders als der von
Toby Maguire, eben nicht mehr. Und es gibt auch Dinge, die man als der
Pubertät entwachsener Mensch wirklich bedauern kann. Zum Beispiel die
Flugszenen. In den alten Episoden atmeten sie etwas von Freiheit und
Wunscherfüllung. Im neuen Film wurden sie offenbar dem Gefühl
nachempfunden, das man auch mit seinem Skateboard in einer Halfpipe haben
kann. Vom Spider-Man für alle zum Lebensgefühl-Spider-Man für Jugendliche.
Aber wer wollte einem Superheldenfilm wirklich vorwerfen, dass er
hauptsächlich für junge Leute erzählt wurde?
27 Jun 2012
## AUTOREN
Dirk Knipphals
## TAGS
Mythos
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