# taz.de -- Landesparteitag der Grünen in Wolfsburg: Das grüne Herz schlägt … | |
> Bei der Vergabe der grünen Listenplätze für die niedersächsische | |
> Landtagswahl zeigt sich, dass gegen den linken Flügel nichts geht. Am | |
> Ende siegt aber doch die Staatsräson | |
Bild: Links und rechts, Frauen und Männer - bei den niedersächsischen Grünen… | |
WOLFSBURG taz | Um die Mittagszeit entfaltet Enno Hagenah Betriebsamkeit. | |
Ein bisschen hektisch eilt er, einen der Delegierten vom Listen-Parteitag | |
der Niedersachsen-Grünen im Schlepptau, aus dem Spiegelsaal des Wolfsburger | |
Congress-Parks. Dann steigt er mit ihm, indem er angeregt auf ihn einredet, | |
leicht o-beinig die Stufen der Stahltreppe hinab, auf denen die | |
RaucherInnen kauern. | |
Ein paar Meter noch, dann bleiben die zwei stehen, der hannoversche | |
Kreisvorsitzende der Grünen gestikuliert. Dann kehrt Hagenah in den Saal | |
zurück – und kommt, kurz drauf, mit dem nächsten Delegierten zurück. Er | |
versucht noch was. | |
Der Parteitag – Landesdelegiertenkonferenz, LDK, heißt das in Gründeutsch �… | |
entscheidet über die Liste, mit denen Bündnis 90 / Die Grünen bei der | |
Landtagswahl am 20. Januar 2013 antreten. Und bis mittags sieht’s aus, als | |
würden sie dies ausschließlich mit Linksgrünen. Und ganz ohne Hannoversche. | |
„Wenn es so weiter geht“, sagt Hagenah, der selber 2013 nicht mehr antritt, | |
„brauch’ ich heut’Abend Wodka.“ | |
Dem hannoverschen Kreisvorsitzenden schwimmen die Felle davon, und dass er | |
zugleich als informeller Koordinator des konservativeren Parteiflügels | |
gilt, macht es für ihn nicht besser. Gerade eben ist seine bisherige | |
Fraktionsmitarbeiterin gescheitert, Maaret Westphely, die in ihrer | |
Bewerbung nur geschrieben hatte, dass sie als „persönliche Referentin im | |
Landtag“ arbeitet. Aber nicht von wem. | |
Auf der LDK hat sich Hannover, mitgliederstärkster Regionalverband der | |
Partei, schnell als ihr am schwächsten vernetzter entpuppt, und ihr | |
konservativerer Teil als so hoffnungslos unterlegen, dass sich die | |
Linksgrünen Sorgen um die parteiliche Geschlossenheit zu machen beginnen: | |
„Wir zocken das nicht durch“, heißt es, „das wäre falsch.“ Eine | |
parteiinterne Kluft, das sieht jeder, würde unnötig in einem Wahlkampf | |
schwächen, der auch als rot-grünes Aufbruchssignal in den Bund ausstrahlen | |
soll. | |
So wird Westphely irgendwann doch noch gekürt, auf Platz 15, der als | |
aussichtsreich gilt: Die Grünen erwarten, bei etwa 20 Parlamentssitzen zu | |
landen. Und schon gegen 14 Uhr treten für Platz 13 Gabriele Heinen-Kljajic | |
und Elke Twesten gegeneinander an, und die klar auf der Realo-Seite | |
verortete Heinen-Kljajic gewinnt. | |
„Da hatte ich mir Sorgen gemacht“, räumt der Fraktions-Vorsitzende Stefan | |
Wenzel ein. Die Hochschulpolitikerin, die im Asse-Untersuchungsausschuss | |
gute Arbeit abgeliefert hat, gilt dem Fraktionsvorsitzenden als „eine | |
unserer tragenden Stützen“. Auf der LDK wäre sie um ein Haar zur tragischen | |
Figur geworden. Auf Platz 3 hatte sie sich beworben, gegen Miriam Staudte | |
aus Lüneburg. Das hatte der linke Flügel als Kampfansage aufgefasst – und | |
ihr ein Debakel bereitet. | |
„Wer mit dem Kopf durch die Wand will, tut sich halt weh“, hört man. Und | |
offenbar gerne auch zweimal: Gegen Ina Korter aus Nordenham, eine | |
Institution im Nordwesten und als schulpolitische Sprecherin viel im Land | |
unterwegs, traut sich niemand. | |
Aber dann holt sich Heinen-Kljajic im Duell mit Filiz Polat, starke und | |
scharfsinnige Stimme gegen den verhassten Schünemann und eine von zwei | |
Grünen-Kandidaten aus der deutschtürkischen Community, erneut eine herbe | |
Schlappe ab. Geredet habe man schon vorher miteinander, heißt es, „viel | |
sogar“. Aber „die meinten halt, dass sie unbedingt gegen unsere gute Miriam | |
antreten muss oder gegen unsere gute Filiz“. | |
Wahr ist allerdings, dass die innerparteilichen Grenzverläufe nicht mehr so | |
dogmatisch sind wie einst: West- und Nordwestniedersachsen bilden mit | |
linkem Lager und Junggrünen offenbar einen strategischen Stimm-Block, ohne | |
den nichts geht. | |
Aber für die klar links verortete Landesvorsitzende Anja Piel können sich | |
trotzdem nur 75 Prozent der Delegierten begeistern, deutlich weniger als | |
die 90 Prozent, die der anerkannte Realo Stefan Wenzel, der bisherige | |
Fraktions-Vorsitzende, einfährt. „Ich denke, die Fraktion ist gut | |
gemischt“, sagt er am Samstagabend. Als scharfe Absage an Schwarz-Grün will | |
er das linke Profil der Wahlvorschläge nicht werten. „Die Energiewende und | |
die Bildungspolitik“ seien die Themen, mit denen die Grünen im Wahlkampf | |
punkten sollen. „Und natürlich auch den Agrarbereich.“ | |
Dafür spricht, dass Landwirtschaftspolitiker Christian Meyer, einer der | |
Kommunikatoren des linken Flügels, die Rede hält, die den Parteitag rockt. | |
Er erinnert daran, dass infolge ihrer Industrialisierung die Landwirtschaft | |
„über ein Viertel der niedersächsischen Klima-Emissionen verursacht“ – … | |
das Plenum applaudiert. | |
Der Saal leidet mit, als Meyer die Schändungen niedersächsischer Nutztiere | |
vom Schnäbelstutzen bis zur Ferkelkastration aufblendet. Und Jubel bricht | |
los, als er mit einer „alten Bauernregel“ schließt, die da laute: „Wer d… | |
Umwelt ruiniert und Tiere quält, wird im Januar abgewählt“: 90 Prozent | |
erhält auch er, sogar mehr Ja-Stimmen als Wenzel. Weil er so direkt ins | |
grüne Herz gesprochen hat. | |
1 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Stephan Weil | |
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