# taz.de -- Fussball-Profi in Babelsberg: Die zweite Chance | |
> Vor einem Jahr hat Süleyman Koc Casinos überfallen. Die Haft verbringt er | |
> im offenen Vollzug - und als Profi bei Babelsberg | |
Bild: Zweite Chance auf dem Fußballplatz: Süleyman Koc ist im offenen Vollzug… | |
Süleyman Koc hat derzeit zwei Familien. Die eine in der elterlichen Wohnung | |
in Moabit, die andere hier, am Karl-Liebknecht-Stadion in Babelsberg. Koc | |
sitzt in einem Büroraum über der Haupttribüne, er redet leise und | |
bedächtig. Und spricht vom größten Fehler seines Lebens. „Ich schäme mich | |
für das, was ich getan habe“, sagt er. „Und ich bin sehr dankbar dafür, w… | |
sich der Verein mir gegenüber verhält.“ Sein Trainer, Christian Bennbenek, | |
setzt sich zu ihm. „Wir haben viele Gespräche mit Süleyman geführt“, sagt | |
er. „Wir geben ihm hier die zweite Chance, die er verdient hat.“ | |
Süleyman Koc ist kein gewöhnlicher Fußballprofi: Bis Ende März saß der | |
23-Jährige in der Justizvollzugsanstalt Moabit. Im April 2011 war er wegen | |
gemeinschaftlichen Raubes festgenommen, später zu 45 Monaten Haft | |
verurteilt worden. Elf davon saß er ab. | |
## Offener Vollzug | |
Koc war Teil einer neunköpfigen Bande, die zwischen Februar und April 2011 | |
sieben Spielkasinos und Cafés in Berlin überfallen hat. Nun, da er wegen | |
günstiger Sozialprognose seine Strafe im offenen Vollzug verbringen kann, | |
gibt ihm sein ehemaliger Verein, der Fußball-Drittligist Babelsberg 03, | |
einen neuen Vertrag. Schon zum Saisonauftakt am 21. Juli könnte Koc wieder | |
für Nulldrei auflaufen. | |
Der Verein stellt sich hinter Koc und kann damit viel gewinnen – aber auch | |
einiges verlieren. Koc ist für ein Jahr unter Vertrag, der Verein | |
investiert Geld, zudem geht es ums Image. „Wir sind uns der Tragweite | |
dieser Entscheidung bewusst“, ließ Babelsberg 03 offiziell mitteilen. | |
Trainer Bennbenek sagt: „Wir behalten die Geschichte natürlich im | |
Hinterkopf. Aber die Mannschaft und ich vertrauen Süleyman zu hundert | |
Prozent.“ Koc könnte das Paradebeispiel für gelungene soziale | |
Rehabilitierung werden – und zum Vorbild für die fußballbegeisterten Kids | |
aus seinem Kiez. | |
## Der Bruder und das Koks | |
Koc ist in Moabit aufgewachsen. Mit seinen aus der Türkei stammenden Eltern | |
und seinem Bruder lebte er in wechselnden kleinen Wohnungen, die Brüder | |
entdeckten früh den Fußball für sich. Beide haben das Potenzial zu | |
Profispielern. „Mein Bruder war eigentlich immer talentierter als ich“, | |
sagt Koc. Das Moabiter Umfeld der beiden ist hingegen kein leichtes: Fast | |
alle Jugendfreunde des gebürtigen Berliners stammen aus armen | |
Verhältnissen, viele Freunde suchten andere Wege, um zu Geld zu kommen. | |
„Mein Bruder und seine Freunde haben schon als Jugendliche viel Koks | |
konsumiert“, sagt Koc heute. „Die brauchten ständig Geld.“ | |
„Sülo“, wie sie ihn nennen, arbeitet damals noch diszipliniert auf seine | |
Fußballerkarriere hin: Nach Stationen beim Berliner AK 07 und Türkiyemspor | |
kommt der 21-Jährige Mitte 2010 zu seinem ersten Profivertrag in | |
Babelsberg. Koc zieht in die Filmstadt, sein Kiez aber folgt ihm: Tolga B., | |
Semih T. und sein Bruder, die später alle an den Überfällen beteiligt sind, | |
sind Dauergäste in der neuen Wohnung unweit des Karl-Liebknecht-Stadions. | |
## Beim Training verhaftet | |
Koc könnte zu dieser Zeit von seinem Profigehalt von etwa 5.000 Euro gut | |
leben. Seinem Bruder, der kaum etwas verdient, schießt er immer etwas zu | |
und finanziert dessen Drogenkonsum mit. Bis auch sein Geld nicht mehr | |
reicht. Koc lässt sich zu Überfällen hinreißen, Anfang 2011 erbeuten sie | |
von Spielcasinos und Cafés rund 20.000 Euro. Die Angestellten werden von | |
seinen Komplizen dabei zum Teil schwer verletzt. Er selbst fungiert als | |
Fahrer. Am 18. April wird Koc beim Training in Babelsberg verhaftet. | |
Holger Gebert freut sich, dass Koc trotzdem einen neuen Vertrag bekommt. | |
Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft deutscher | |
Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer berät den Verein. „Ich begrüße | |
das aus berufspolitischen Gründen: Der Fall könnte auch zu etwas mehr Mut | |
zum offenen Vollzug führen.“ Außergewöhnlich sei die Causa Koc nur dadurch, | |
dass er eben Profifußballer sei. „Mir ist sonst kein solcher Fall im | |
Profisport bekannt“, sagt Gebert. „In anderen Berufsfeldern gibt es das | |
natürlich öfter, dass die Häftlinge im offenen Vollzug ihrer Arbeit | |
nachgehen.“ Gerbert weiß natürlich ebenfalls um die Risiken. Koc könnte ein | |
Vorzeigefall werden – er könnte aber auch scheitern. „Für uns gilt die | |
Devise, dass mit dem ersten Tag der Haft die Resozialisierung beginnen | |
sollte“, sagt er. „Bei Koc wird das zu 100 Prozent wahr.“ | |
## Die integrative Kraft des Fußballs | |
Überhaupt wird die integrative Kraft des Fußballs bei Sportverbänden und | |
Justizbehörden hoch eingeschätzt. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der | |
Gefängnismauern wird versucht, durch Sport und Fußball zur Resozialisierung | |
beizutragen. Der Berliner Fußball-Verband etwa nimmt an dem Projekt „Anstoß | |
für ein neues Leben“ teil. Dies ist eine Initiative der | |
Sepp-Herberger-Stiftung, die dafür sorgt, dass Gefangene noch während ihrer | |
Haft in Freigangzeiten in Sportvereine integriert werden. Dabei können die | |
Gefangenen auch eine Schiedsrichter- oder Trainerausbildung machen, | |
Antigewalttrainings gehören auch dazu. | |
Koc sagt heute, er müsse lernen sich abzugrenzen. Dass er nicht der | |
Wortführer der kriminellen Bande war, scheint klar. „Ich bin in | |
psychologischer Behandlung und spreche mit dem Therapeuten darüber, mich | |
von meinem alten Umfeld zu lösen“, sagt er. Die Therapie dürfte allerdings | |
ohnehin Teil der Auflagen für den offenen Vollzug sein – weder die | |
Justizbehörden noch Koc wollen hierzu Stellung nehmen. Koc begegnet einigen | |
Mittätern heute manchmal in Moabit, wie er sagt: „Ich grüße und gehe | |
weiter.“ Sein Bruder ist derzeit noch in Haft. | |
## Nur noch über Fußball reden | |
In der Geschäftsetage in Babelsberg versucht man derweil, mit dem | |
Problemspieler zur Tagesordnung überzugehen. Von der Marketingabteilung bis | |
zum Management zeigt man sich wohlwollend. Koc will dies zurückgeben, sagt | |
er: „In Zukunft möchte ich nur über Fußball reden müssen und nicht über | |
das, was ich getan habe.“ | |
Seit seiner Haftentlassung hat Süleymann Koc 16 Kilo abgenommen: „Während | |
der elf Monate in Haft hatte ich ja nur zwei Stunden Sport in der Woche.“ | |
Die Disziplin, die er nun im Sport an den Tag legt, wird Koc auch im | |
Sozialen brauchen können, wenn er sich von seinen Taten endgültig | |
distanzieren will. | |
4 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
## TAGS | |
Fußball | |
Haftstrafe | |
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