| # taz.de -- Polit-Eltern: Sommer mit Marie | |
| > Jeder Bürger darf Erziehungszeit nehmen – ein Abgeordneter nicht. | |
| > Trotzdem nehmen sich manche die Zeit für Kinder: SPD-Chef Sigmar Gabriel | |
| > zum Beispiel. | |
| Bild: Sind so große Hände: Sigmar Gabriels Pranken halten ein Geschenk für s… | |
| Der Parteichef ist nicht zu sprechen. Der Papa erst recht nicht. Sigmar | |
| Gabriel, SPD-Vorsitzender im späten Vaterglück, macht sich ein bisschen rar | |
| in diesen Sommerwochen. | |
| Kein Wunder, im April wurde seine Tochter Marie geboren. Und Sigmar | |
| Gabriel, 52, hat der interessierten Öffentlichkeit erklärt, sich während | |
| der Sommermonate Zeit für dieses ganz private Glück nehmen zu wollen. Und | |
| zwar gemeinsam mit seiner Frau, einer Zahnärztin aus Magdeburg. Jetzt ist | |
| es so weit. | |
| „Die nächsten zwei bis drei Monate werde ich unter der Woche daheim sein, | |
| und am Wochenende absolviere ich lange zugesagte Termine“, hat Sigmar | |
| Gabriel vor anderthalb Wochen der Bild am Sonntag geantwortet, als ihn die | |
| Journalisten nach seinen Plänen fragten. „Babypause bedeutet nicht | |
| zwangsläufig Politikpause“, setzte er aber umgehend nach. Und damit hat der | |
| Vorsitzende der SPD und ihrer 480.000 Mitglieder völlig recht. | |
| Denn egal ob Sigmar Gabriel pausieren möchte oder nicht – Berufspolitiker | |
| zu sein bedeutet, kein Recht auf Elternzeit zu haben. Was jedem anderen in | |
| diesem Land zusteht, ob Pförtner oder Chefredakteurin – das | |
| Abgeordnetengesetz für Mitglieder des Deutschen Bundestages sieht keine | |
| Auszeit für den lieben Nachwuchs vor. Und Gabriel ist nicht nur Chef im | |
| Willy-Brandt-Haus, sondern auch Abgeordneter des Wahlkreises | |
| Salzgitter-Wolfenbüttel. | |
| Das hat der Arbeitgeber, das Volk, so verfügt. Pausen, Schwäche, | |
| Kinderliebe sind nicht vorgesehen in jenem auf jeweils vier Jahre | |
| angelegten Vertrag, den der Souverän mit dem Abgeordneten als Arbeitnehmer | |
| bei der Bundestagswahl abschließt. | |
| ## Eine gesellschaftliche Kampfzone | |
| Nun will es der Zufall, dass Sigmar Gabriel nicht der einzige | |
| Spitzenpolitiker mit Kind ist. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder | |
| hat vor einem Jahr Tochter Lotte geboren. Die CDU-Politikerin hatte vor | |
| Amtsantritt sogar die Kanzlerin über ihre Mutterschaftspläne in Kenntnis | |
| gesetzt und kehrte zehn Wochen nach der Geburt an ihren Schreibtisch | |
| zurück. Dass sie das umstrittene Betreuungsgeld unter anderem mit der | |
| Bemerkung verteidigte, manche Mütter müssten ihr Kind „acht Wochen nach der | |
| Geburt abgeben“, mag auf ihrer persönlichen Erfahrung beruhen. | |
| Auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die vor anderthalb Jahren Mutter | |
| wurde, wird wissen, wie sich das anfühlt. Sie ging acht Wochen nach der | |
| Geburt wieder arbeiten und musste sich dafür von Wählern und Wählerinnen | |
| als „karrieregeil“ beschimpfen lassen. „Mutter sein und eine | |
| Führungsaufgabe wahrnehmen ist offenbar immer noch eine gesellschaftliche | |
| Kampfzone“, sagte sie in einem Brigitte-Interview. | |
| Tatsächlich ist es in diesem Land noch immer schwierig, als Politikerin | |
| auch Mutter zu sein und dabei den strengen Maßstäben deutscher | |
| Elternwächter zu genügen. Diese Frauen, so wird landläufig angenommen, | |
| haben wohl einen Waschlappen zum Mann, der nicht nur zu Hause die Babykotze | |
| aufwischt, sondern auch noch ganz gut von den Abgeordnetenbezügen der Frau | |
| Mama leben. | |
| ## Ein positives familienpolitisches Zeichen | |
| Andersherum gilt es als honorig, wenn männliche Politiker ihre Vaterrolle | |
| ausüben. Und der SPD-Chef setzt diesbezüglich noch einen drauf: Er denkt | |
| laut über beide Elternteile nach. Er bezieht in seine Pläne nicht nur ein, | |
| dass er so ein wahnsinnig wichtiger Spitzentyp ist, sondern hat auch auf | |
| dem Schirm, was seine Frau, eine Zahnärztin, will. Das darf getrost als | |
| positives familienpolitisches Zeichen verstanden werden. | |
| O-Ton Gabriel: „Da werden künftig auch mal Termine ausfallen, wenn Marie | |
| krank ist und meine Frau arbeiten muss.“ Mag sein, dass gerade der | |
| Bundestagswahlkampf anläuft – aber ein Mann, der weiß, wie die | |
| Öffnungszeiten einer Zahnarztpraxis aussehen und wo im Willy-Brandt-Haus | |
| der Wickeltisch steht, macht Hoffnung. | |
| Eine Frau seines politischen Kalibers ist die Vorsitzende der Linkspartei. | |
| Katja Kipping ist vor acht Monaten Mutter geworden. Just zu einem | |
| Zeitpunkt, da sich ihre Partei in Flügelkämpfen zerlegte, sodass sich bei | |
| der Suche nach einer neuen Doppelspitze alsbald die Blicke auf die | |
| rothaarige Sächsin richteten. Aber Kipping, 34 Jahre alte Zentristin, | |
| wollte nicht. Egal, die zerfasernde Partei drängte sie, die Führung zu | |
| übernehmen. | |
| ## Tochter als Termin im Kalender | |
| Möglicherweise dachte Kipping damals, mit ihrem Angebot, den Chefinnenjob | |
| in Teilzeit zu machen, dem Drängen ein Ende setzen zu können. Eine | |
| Parteivorsitzende als Teilzeitkraft? Wo gibt’s denn so was? Seit anderthalb | |
| Monaten bei der Linkspartei. | |
| Wie macht sie das? „Ich habe jeden Tag einen festen Block von drei, vier | |
| Stunden – in dieser Zeit steht meine Tochter als Termin im Kalender drin“, | |
| erzählt sie der taz. „Da werden von mir keine Termine und keine Telefonate | |
| angenommen. Das habe ich von Anfang an ganz stur eingeführt und | |
| durchgehalten.“ | |
| Kipping hat nach der Geburt etwas gemacht, was sie eigentlich gar nicht | |
| dürfte: Sie ist drei Monate mit ihrer Tochter zu Hause geblieben. Und der | |
| Wähler hat es offenbar nicht mal gemerkt. Nach nur acht Wochen | |
| Mutterschutz, die selbst Abgeordneten zustehen, „hätte ich das mit dem | |
| Stillen gar nicht hingekriegt“, sagt sie. | |
| Jetzt läuft es mit der „Kleinen“, wie sie sie nennt. Kipping und ihr Mann | |
| haben einen Kita-Platz gefunden, da wird das Mädchen jetzt täglich drei | |
| Stunden betreut. Und wenn es mal eng wird, auch Freunde keine Zeit haben, | |
| um auszuhelfen, gebe es in Berlin einen wunderbaren | |
| 24-Stunden-Babysitterdienst, sagt sie. | |
| Nicht nur für sich, auch für die Väter unter den Abgeordneten wünscht sich | |
| Kipping eine Änderung des Abgeordnetenrechts. Gerechte Arbeitsteilung, mehr | |
| Teilzeitjobs, deutlich mehr Zeit für den Nachwuchs. „Das wäre dann wie bei | |
| jedem anderen Beruf: der Diätenbezug würde in dieser Zeit reduziert“, so | |
| Kipping. | |
| Noch ist es nicht so weit. Noch wird Katja Kipping als Teilzeitpolitikerin | |
| belächelt und hat eine zweite Rufnummer, unter der sie ihr Büro jederzeit | |
| erreichen kann. Noch muss Parteichef Gabriel behaupten, dass für ihn die | |
| drei Monate mit Marie Arbeit bedeuten und er sich am Wochenende – also zur | |
| besten Familienzeit – freudig seiner Partei widmet. Und immer noch ist dies | |
| ein Land, in dem kinderlose Unionspolitiker laut darüber nachdenken, ob das | |
| Elterngeld abgeschafft gehört. Aber so wie es gerade aussieht, werden nicht | |
| mehr viele Sommer ins Land gehen, bis Abgeordnete sagen können: Ich kümmere | |
| mich jetzt um mein Kind, sucht schon mal eine Vertretung für mich. | |
| 12 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
| ## TAGS | |
| Andrea Nahles | |
| Elternzeit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Andrea Nahles über SPD-Wahlkampf: „Große Koalition ist großer Mist“ | |
| Andrea Nahles will zur Bundestagswahl nur für Rot-Grün kämpfen, schließlich | |
| sei sie nicht „schizo“. Gespräch über Steinbrück, Blumensamen und Heidi | |
| Klum. | |
| Statistik zu Elternzeit: Mehr Männer bleiben beim Kind | |
| Familienzeit wird wichtiger für Väter: 27 Prozent von ihnen tauschen den | |
| Job kurzzeitig für die Kinderbetreuung. Doch noch immer gehen vor allem | |
| Frauen in Elternzeit. | |
| Sigmar Gabriel hat geheiratet: Die Angetraute des Parteichefs | |
| Die Zahnärztin Anke Stadler trägt jetzt Sigmar Gabriels Namen. Unter | |
| Ausschluss der Öffentlichkeit wurde die Ehe geschlossen und ein Kind | |
| getauft. | |
| Lücken bei der Kinderbetreuung: „Immense Beschäftigungsreserven“ | |
| Bundesweit fehlen 15.000 ErzieherInnen, sagt die Bertelsmann-Stiftung. Sie | |
| fordert: Mehr Voll- statt Teilzeit. Momentan arbeiten 60 Prozent in | |
| Teilzeit. | |
| Frauen fordern Elternzeit für Gabriel: „Sie haben die Chance ...“ | |
| Mehr Sandkasten statt Bundestag: In einem Brief fordern Frauen von | |
| SPD-Parteichef Gabriel eine Vorbildrolle als Vater. In der Parteizentrale | |
| ist man wenig begeistert. |