# taz.de -- Kommentar Wahlrechturteil: Überhang und Überdruss | |
> Am Ende wird die Lösung heißen: Einige Überhangmandate werden | |
> ausgeglichen, andere verrechnet und manche bleiben einfach so bestehen. | |
Wenn es ums Wahlrecht geht, dann geht es immer auch um die Legitimation der | |
Demokratie. Deshalb ist der Streit über die Überhangmandate wichtig, auch | |
wenn er – verglichen mit Wahlrechtskonflikten in vielen anderen Ländern – | |
wie ein Luxusproblem daherkommt. | |
Denn im Prinzip ist unser Wahlrecht von allen Parteien akzeptiert. Auch in | |
Zukunft soll sich die Zahl der Sitze im Bundestag nach den Zweitstimmen | |
bemessen und zugleich jeder Wahlkreis einen mit der Erststimme direkt | |
gewählten Abgeordneten haben. Umstritten ist nur, was passiert, wenn eine | |
Partei in den Wahlkreisen mehr Mandate erringt, als ihr nach den | |
Zweitstimmen zustehen. Bisher kann sie diese Überhangmandate behalten, | |
andere Parteien bekommen keinen Ausgleich. Das verzerrt das Wahlergebnis. | |
Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt endlich gemerkt, dass die | |
Überhangmandate keine breite Akzeptanz mehr finden. Es genügt eben nicht, | |
dass sie nur von der Partei verteidigt werden, die jeweils gerade am | |
meisten davon profitiert. Die Richter haben nun immerhin eine Begrenzung | |
vorgeschlagen, ab der die Überhangmandate ausgeglichen oder verrechnet | |
werden müssen. | |
Die Grenze von 15 Überhangmandaten ist spürbar. Allerdings können auch 15 | |
Überhangmandate eine Wahl entscheiden. Völlig gelöst ist das Problem also | |
nicht. | |
Umso wichtiger ist jetzt, dass sich die Parteien bewegen und einen | |
Kompromiss aushandeln, den alle akzeptieren. Die Richter sind bei ihrem | |
einstimmigen Urteil mit gutem Beispiel vorangegangen. 1997 gab es noch ein | |
peinliches Vier-zu-vier-Patt entlang der mutmaßlichen parteilichen | |
Präferenzen. Für einen politischen Kompromiss spricht auch, dass die | |
Lösungen der Opposition keineswegs perfekt sind. Ein Ausgleich der | |
Überhangmandate durch Mandate für die anderen Parteien bläht den Bundestag | |
um Dutzende zusätzliche Sitze auf. Und eine Verrechnung mit Listenmandaten | |
in anderen Ländern führt dazu, dass die CDU in manchen Ländern keine oder | |
kaum noch Abgeordnete hat. | |
Am Ende wird eine Lösung stehen, bei der einige Überhangmandate | |
ausgeglichen werden, andere verrechnet und manche einfach so bestehen | |
bleiben. Und dann können wir uns hoffentlich wieder den wirklich wichtigen | |
Themen zuwenden. | |
25 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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