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# taz.de -- Anti-Olympia-Demo in London: „Keine Limos, Logos und Raketen“
> Grüne und Sozialisten protestieren am Samstag gegen das Olympia der
> Konzerne. Sie finden, Geld wird woanders dringender gebraucht.
Bild: „In meinem Haus sind selbst die Glühbirnen im Flur gestohlen worden, i…
LONDON taz | Man könnte meinen, jetzt, wo der Sommer doch noch eingekehrt
ist und Bradley Wiggins das gelbe Trikot an die Themse gebracht hat, sind
alle Londoner rechtzeitig auf olympische Linie gebracht. Am
Samstagnachmittag, einen Tag nach der furiosen Eröffnungszeremonie im
Olympiastadion, finden sich dennoch rund 500 Menschen an der Mile End
U-Bahnstation im Londoner Bezirk Tower Hamlets ein, die ihrem Unmut über
das Großereignis Gehör verschaffen wollen.
Das Counter Olympics Network hat unter dem Motto „Keine Limos, keine Logos,
keine Raketen“ zur Demo gegen das Olympia der Konzerne aufgerufen. Die
Teilnehmerinnen ziehen quer durch den Stadtteil Bow, das unmittelbar ans
Olympiagelände angrenzt.
Nicht wenige von ihnen gehören dem üblichen Londoner Protestpersonal an;
unvermeidbar ist der Auftritt der Socialist Worker mit ihren
standardisierten Schwarz-Weiß-Plakaten, dahinter ein ziemlich kleiner Block
von Anarchisten mit Anonymous-Masken. Der Protest richtet sich nicht nur
gegen problematische Olympia-Sponsoren wie Dow Chemical und BP.
Generell werden auch die massiven, öffentlichen Ausgaben für die Spiele in
Zeiten harter Sparmaßnahmen im Sozialbereich problematisiert. Geradezu
ermutigt durch die Eröffnungszeremonie mit ihrer fast schon subversiven
Huldigung des staatlichen Gesundheitssystems, fordern die DemonstrantInnen
gleich auch noch das Ende der Privatisierungspolitik der konservativen
Regierung.
## Splitterpartei im Königreich
Auf der Demo sind mit einigen Londoner Ortsvereinen auch die Grünen
vertreten, in Königreich immer noch eine Splitterpartei. Mitglied Mark
Dawes findet vor allem die Olympia-Sponsorenschaft von Coca Cola und
McDonald's skandalös. „Das widerspricht dem Bemühen, Kinder zum Sport zu
animieren. Deren Fettleibigkeit nimmt immer stärker zu“, so Dawes.
Die Grünen aus Lewisham fokussieren ihren Protest auf die
Boden-Luft-Raketen, die das Militär zum Schutz vor Terrorattacken per
Flugzeug mitten in die Wohngebiete des Südlondoner Bezirks stationiert hat.
Aber eben nicht nur dort: Die Demo macht am Bow Quarter Halt, einer zur
geschlossenen Wohnanlage für Besserverdienende umgebauten Streichholzfabrik
aus viktorianischer Zeit.
1888 hatten hier Arbeiterinnen erfolgreich für besseren Gesundheitsschutz
gestreikt. Auf einer ihrer Wassertürme hat das Militär ebenfalls Raketen in
Stellung gebracht. Während die DemonstrantInnen diese Maßnahme als
bedrohlich empfinden, äußern einige Anwohner am Rand des Protests, sie
würden sich durch die Raketen nicht gestört fühlten, die erhöhte Präsenz
von Sicherheitspersonal sei sogar positiv.
„In meinem Haus sind selbst die Glühbirnen im Flur gestohlen worden, ich
hoffe, auf die Raketen wird besser aufgepasst,“ sagt allerdings Celia
Forbes, die gegenüber vom Bow Quarter wohnt. Spontan hat sie sich in die
Demo eingereiht, als sie den Lärm von der Straße mitbekommt.
## In Richtung Berlin verschwinden
„Nationalismus und Wettbewerbssport sind wirklich nicht mein Ding“, erklärt
sie und fügt hinzu, dass sie deshalb auch für ein paar Tage in Richtung
Berlin verschwinden wird. Als die Demo ein Busdepot passiert, beschweren
sich die Fahrer, dass sie wegen der blockierten Straße mit ihren Bussen
nicht aus der Garage raus können.
Doch die Demo stößt mit ihren Anliegen bei den Passanten auf der Straße
nicht nur auf Ablehnung. Viele sind nur nicht informiert darüber, welche
Konzerne die Spiele sponsern. Zumindest finden sie es richtig, dass hier
das Demonstrationsrecht ausgeübt werden kann.
Anders als in den Olympiastädten Peking oder Sotchi. In Sotchi werden die
Winterspiele 2014 stattfinden, was einer Gruppe folkloristisch gekleideter
Demonstranten gar nicht passt. Mangel an Meinungsfreiheit oder auch die
olympischen Umweltzerstörungen im Kaukasusgebirge sind aber gar nicht ihr
Hauptthema. Sie stellen sich als Mitglieder von American Circassian of
Diaspora heraus, im US-Exil lebende Tscherkessen.
Die wurden schon im 19. Jahrhundert von den Russen aus dem Kaukasus
vertrieben oder in Massen umgebracht. In Sotschi fand eine der letzten
Schlachten zwischen Russen und Tscherkessen statt. „Die Olympischen Stadien
sind auf den Knochen unserer Vorfahren errichtet worden, das ist
unmoralisch,“ erklärt eine der Frauen in Tracht.
## Rabiates Vorgehen gegen Fahrraddemo
Die Gruppe gehört inzwischen zum Anti-Olympia-Protest-Establishment. Bei
den Spielen 2010 in Vancouver hat sie sich ebenfalls unter lokale Demos
gemischt. Die Polizei hält sich sichtbar im Hintergrund. Lediglich eine
Person wird kurz in Gewahrsam genommen und aufgrund des Verdachts auf
Waffenbesitz einer Leibesvisitation unterzogen.
Am Abend der Eröffnungszeremonie waren die Sicherheitsbehörden rabiater
gegen eine Fahrraddemo von Critical Mass mit 700 TeilnehmerInnen
vorgegangen, die zu nah an das Olympiagelände gekommen war. Beamte hatten
zwei Kessel gebildet und insgesamt 116 Leute vorübergehend verhaftet. Kvle
Winters, der sich als Occupy Aktivist zu erkennen gibt, war unter ihnen, er
kommt direkt aus dem nächtlichen Arrest auf die Demo, noch mit zerrissenen
T-Shirt.
Dass sich die bis vor kurzem so reservierte Haltung der britischen
Öffentlichkeit gegenüber Olympia so schnell geändert habe, zeige, wie gut
die massive Propagandamaschine aus Medien und Regierung am Ende doch
funktioniert, meint Winters. Olympia habe für eine karnevaleske Atmosphäre
gesorgt, mit der die Londoner gekauft werden.
## Adidas bekommt sein Fett weg
„Die Leute, die wirklich das Geld benötigen, dass in die Spiele geflossen
ist, bleiben unsichtbar. Würden sie auf die Straße gehen, wäre es mit dem
Karneval allerdings vorbei“, ist sich Winte sicher. Die Demo endet im
nördlichen Mile End Park, wo auf einer Abschlusskundgebung auch noch mal
der Sporthersteller Adidas wegen der schlechten Arbeitsbedingungen in den
für ihn anfertigenden Textilfabriken in Asien sein Fett weg bekommt.
Am Freitag hat eine Handvoll Aktivisten eine alternative Fackel durch den
Osten Londons getragen. Die wird auf der kleinen Bühne nun feierlich an die
Anti-Sotchi-Gruppe weitergegeben, die daraufhin einen recht spektakulären
tscherkessischen Tanz hinlegt.
28 Jul 2012
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
Oliver Pohlisch
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