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# taz.de -- Streit der Woche: Rollen oder Tragen?
> Sommerzeit, Urlaubszeit. Doch Entspannung bedeutet das noch lange nicht,
> denn vor dem Trip stellt sich die alles entscheidende Frage: Rollkoffer
> oder Tragetasche?
Bild: Trolleyalarm: Schon die Kleinsten rollern mit.
„Rrrrhhh, rrrhhh, rrrrhhhh...!“, so hallt es. Sie sind allein in der Nacht
unterwegs, fast allein. Außer Ihnen surrt auch der Rollkoffer die
menschenleeren Straße entlang – laut und unüberhörbar für jedermann, hint…
den Gardinen der Wohnhäuser blitzen schon bald die ersten verärgerten
Gesichter auf.
Sind Trolleys Segen oder Plage? Für viele vom Tourismus geplagte Berliner
gilt sicher Letzteres. Mehrere Millionen Touristen strömen jährlich in die
12.000 Ferienwohnungen, die in normalen Wohngebieten liegen. Eine Zumutung,
wie viele Anwohner finden. Im Februar entschied der Bundesgerichtshof auf
Klage eines Hauptstädters hin, dass Anwohner sogar Anspruch auf
Mietminderung haben – etwa wenn am Stück die Trolleys auf dem Weg zum
nächtlichen Flieger unterm Fenster entlang brettern. Und dann die ganzen
Rollkoffer, die die Innenstadt und U-Bahn-Stationen verstopfen!
Doch Hand aufs Herz: Geht es an die eigene Reise, so packt doch wieder
jeder sein eigenes – ehm – Roll-Bündel. Im Zweifel aus Notwehr: Das
Satirewiki [1][Zynipedia] beschreibt die Nutzung des Rollkoffers aus
Gründen des Gruppenzwangs als „Kofferkulli-Dilemma“.
Im Kern geht es um die Frage: Kooperieren die Menschen miteinander und
nehmen aus Rücksichtnahme auf andere eigene Nachteile in Kauf? Oder
versucht ein jeder, die eigenen Interessen durchzusetzen, auch wenn dabei
möglicherweise allen ein Nachteil entsteht? Was in diesem Fall bedeuten
würde, dass jeder einen komfortablen Rollkoffer benutzt, vor und hinter
jeder Zugtür und Treppe stehen bleibt, den Auszieh-Griff verstellt und
alles blockiert. Schließlich, so Zynipedia, seien alle Gänge heillos
verstopft und niemand könne mehr komfortabel reisen.
Auf der anderen Seite spiegelt der Siegeszug des Rollkoffers auch ein
besseres Bewusstsein für den eigenen Körper wieder. Reinhard Schneiderhan,
Präsident der deutschen Wirbelsäulenliga, sieht den Trolley eindeutig eher
als Segen, denn als Fluch an. Die Gepäckstücke der Luxus- und
Überfluss-Gesellschaft werden immer schwerer – damit der Urlaub da noch die
gewünschte Erholung bringe, sei gutes Reisegepäck unersetzlich. „Besonders
wichtig ist es, in aufrechter Position zu bleiben, um den Rücken nicht zu
überlasten“, sagt Schneiderhan. Das kann die Tragetasche wohl nicht bieten.
## Training für spätere Hilflosigkeit
Die Publizistin Luise F. Pusch, die sich hauptsächlich mit Genderthemen
befasst, sieht noch einen anderen Vorteil. Sie schreibt: „Der Rollkoffer,
auch Trolley genannt, hat mein Leben sehr erleichtert. Koffer, die getragen
werden müssen, sind so altmodisch wie Männer mit Hüten und kommen nur noch
in alten Filmen und Büchern vor. Mit dem Trage-Koffer verschwunden ist auch
der Kofferträger.“ Und somit die Degradierung der Frau zu einer
hilfebedürftigen Reisenden. Damit bedeutet das Rollgepäck ohne Zweifel ein
Plus an Autonomie und Selbstständigkeit für Frauen, ältere Menschen und
Kinder auf Reisen.
Doch folgt man den Autoren Tobias Moorstedt und Jakob Schrenk, wird sich
mancher Rollkoffer-Fan vielleicht nochmal überlegen, aus Coolness-Gründen
wieder auf den Trekking-Rucksack umzusatteln. Sie schlagen in ihrem Buch
„Das Jetztikon“ eine gedankliche Brücke zwischen den Trend zum Rollkoffer
und der immer älter werdenden Gesellschaft: „Bald wird die Mehrheit der
Menschen zu schwach sein, einen Wasserkasten vom Supermarkt nach Hause zu
tragen – und trainiert deshalb schon mal mit den Rollkoffern für diese Form
der Hilflosigkeit.“ Wer will sich da schon angesprochen fühlen?
Was meinen Sie: Wie soll man reisen, tragend oder rollend? Beziehen Sie
Stellung! Die taz wählt unter den interessantesten Kommentaren ein oder
zwei aus und veröffentlicht sie im Wochenendmagazin sonntaz. Der Kommentar
sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit dem Namen und der E-Mail-Adresse
der Autorin oder des Autors versehen sein. Oder schicken Sie uns bis
Mittwochmittag eine Mail an: [2][[email protected]]. Den ganzen Streit der
Woche lesen Sie in der sonntaz vom 4./5. August. An jedem gutsortierten
Kiosk, im [3][eKiosk] oder im Briefkasten per [4][Wochenendabo].
31 Jul 2012
## LINKS
[1] http://zynipedia.wikia.com/wiki/Rollkoffer
[2] /[email protected]
[3] http://https/www.taz.de/zeitung/e-paper/e-kiosk/
[4] /zeitung/abo/wochenendabo_mailing/
## AUTOREN
Karen Grass
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