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# taz.de -- Polizeioffizier über G8-Gipfel in Genua: Gewaltorgie gegen Demonst…
> Der blutige Überfall auf die Scuola Diaz in Genua beim G-8-Gipfel 2001
> mit Dutzenden Schwerverletzten war ein Racheakt der Polizei. Die
> Waffenfunde waren inszeniert.
Bild: Von wem geht die Bedrohung aus? Demonstrierende und Polizist beim G8-Gipf…
ROM taz | Drastische Worte findet Vincenzo Canterini bei der Beschreibung
der beispiellosen Gewaltorgie, die etwa 400 Polizisten am späten Abend des
21. Juli 2001 in der Scuola Diaz in Genua anrichteten.
„Unmenschliche, erschütternde Schreie, sie schienen aus dem Jenseits zu
kommen. Ich sah Menschen, die von Polizeistiefeln getreten wurden. Ich
hielt inne, als ich das Schlachthaus im ersten Stock sah. Die wahren
Dämonen – die, die straflos davonkamen, nachdem sie voller Genuss hinkende
Alte und Jugendliche in ihren Schlafsäcken zusammengeschlagen hatten –
waren in Jeans und T-Shirt gekleidet, darüber ein Leibchen mit der
Aufschrift ’Polizei‘.“
Ganz ähnlich hatten immer wieder die Opfer des Einsatzes das blutige Drama
mit Dutzenden teils Schwerstverletzten – drei Personen schwebten Tage in
Lebensgefahr – geschildert. Doch Canterini war kein G-8-Gegner: Er stand
als Chef der römischen Bereitschaftspolizei auf der anderen Seite.
Und er ist deshalb vorbestraft. Am 5. Juli hat das Kassationsgericht in Rom
den juristischen Schlussstrich unter die Prügelorgie der Polizei gezogen.
Canterini erhielt fünf Jahre Haft wegen Fälschung von Dokumenten: Wie seine
Kollegen aus der Polizeiführung nämlich hatte er jene Protokolle
unterzeichnet, die den Sturm auf die Schule rechtfertigen sollten. Ein Hort
von Gewalttätern, die massiven Widerstand geleistet hätten, der nur mit dem
Schlagstock gebrochen werden konnte: Dies war die offizielle Version.
Widerstand, so behauptet Canterini auch in seiner jetzt erschienenen
Abrechnung „Diaz“ weiterhin, habe es tatsächlich gegeben – der Mann sieht
sich nämlich als Justizopfer und obendrein als von seinen Vorgesetzten
gebrachtes Bauernopfer. Aus dem Polizeidienst entfernt, leistet er jetzt
zur Verbüßung seiner auf Bewährung ausgesetzten Reststrafe – drei der fünf
Jahre wurden ihm wegen einer Amnestie aus dem Jahr 2006 erlassen –
Sozialarbeit bei der Caritas in Florenz. Und findet Zeit, mit seinen
Kollegen abzurechnen.
## Einstudierte Show
Der Sturm beginnt in jener Nacht, als ein Einsatzfahrzeug theatralisch das
Hoftor der Schule aufbricht – laut Canterini hätte es für die dort
angebrachte Kette ein einfacher Bolzenschneider auch getan. „Ich nahm den
dramatischen Auftakt einer am grünen Tisch einstudierten Show wahr“,
bilanziert Canterini: „Die Operation war erdacht, orchestriert und
koordiniert worden als harte Antwort des Staates, der sich bis zu jenem
Moment mit Blick auf den globalen Gipfel unvorbereitet gezeigt hatte.“
Und jene „Show“ habe dann als zweiten Akt die Pressekonferenz am folgenden
Morgen gesehen, bei der zwei Molotowcocktails präsentiert wurden, die die
Polizei selbst mitgebracht hatte. Doch schon vor dem Sturm seien Presse und
TV alarmiert worden, dass der Einsatz offensichtlich als Medienereignis
geplant war. Ein Bumerang, bilanziert Canterini: Ausgerechnet die
Fernsehbilder überführen die Polizeichefs, die im Hof stehen, mit jenen
Molotowcocktails in den Händen, die sie später „finden“.
Bei der Einsatzbesprechung vor dem Sturm sei in der Tat die Rede von Waffen
in der Schule gewesen, dies habe laut Auskunft seiner Kollegen ein dort
infiltrierter Polizeiinformant berichtet, erzählt Canterini – und ergänzt:
Jenen Informanten hat es nie gegeben. Stattdessen sah er dann vor der
Schule „müde Gesichter, die nach Blut und nach Rache dürsteten“ – die
Gesichter jener Polizisten, die wenig später in die Scuola Diaz eindrangen.
Anders als von der Staatsanwaltschaft behauptet, seien es aber nicht seine
Bereitschaftspolizisten gewesen, die dort das „Gemetzel“ angerichtet
hätten. Der Kern des Schlägertrupps habe aus nie identifizierten
Zivilbeamten bestanden. Canterini – der die eigene Einheit offenkundig
reinwaschen will – berichtet, wie sein Stellvertreter sich „im ersten Stock
mit einem fetten Kollegen anlegt, die über einem auf dem Bauch liegenden
Mädchen einen Koitus simuliert“, wie jener Stellvertreter „Basta, Basta“
brüllt, um der Prügelorgie Einhalt zu gebieten.
Jene Zivilbeamten, behauptet Canterini schließlich, könnte zu einer
mysteriösen Geheimeinheit namens „Gruppe für Sondereinsätze“ gehört hab…
über die seinerzeit Gerüchte in der Polizei umliefen. Doch die
Polizeispitze habe, statt Aufklärung über den wahren Hergang des Einsatzes
zu leisten, falsche Fährten gelegt und weder die Identität der beteiligten
Beamten noch die wirklichen Befehlsstränge offengelegt.
2 Aug 2012
## AUTOREN
Michael Braun
Michael Braun
## TAGS
G8-Gipfel
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
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