# taz.de -- Wie Ratingagenturen ticken: Ich habe heute leider kein AAA für dich | |
> Werner Rügemer analysiert in seinem Buch die neuen Player im | |
> Finanzsystem. Nach der Lektüre ist man einigermaßen verdutzt über die | |
> Dreistigkeit von Ratingagenturen. | |
Bild: A wie Abwerten, Aufwerten, Absurdität. | |
Kein Triple A, herabgestufte Bonität, einstürzende Staatsbanken. Standard | |
and Poor’s, Moody’s und Fitch mischen den Soundtrack zur Krise ab. Ihr | |
Finanzkauderwelsch ist täglich auf irgendeinem Kanal zu hören. Meistens | |
dann, wenn es mit einem Unternehmen oder Land bergab geht. | |
Historisch betrachtet haben allerdings dieselben Agenturen zuvor in der | |
Regel das Gegenteil testiert: hohe Bonität, beste Qualität, sichere Anlage. | |
Später waren die Risiken nicht vorhersehbar gewesen, selbst wenn sie schon | |
monatelang in den Zeitungen standen. Doch anscheinend interessiert das | |
niemanden. Andernfalls müssten den Agenturen ihre Befugnisse entzogen | |
werden, denn sie bestimmen beispielsweise, zu welchen Konditionen sich | |
Staaten Kredite beschaffen können. | |
Ohnehin ist über diese mächtigen Bewerter selbst kaum etwas bekannt. Dies | |
zu ändern ist das Ziel von Werner Rügemer. „Ratingagenturen. Einblicke in | |
die Kapitalmacht der Gegenwart“, so heißt sein aktuelles Buch. Rügemer, der | |
ein Faible für sperrig-komplexe Materie hat („’Heuschrecken‘ im | |
öffentlichen Raum: Public Private Partnership – Anatomie eines globalen | |
Finanzinstruments“), beleuchtet eine übersichtliche Branche. Standard and | |
Poor’s, Moody’s und Fitch bewirtschaften 95 Prozent des Marktes. Die „Big | |
Three“ sind Oligopolisten. | |
Die Mechanismen, nach denen sie ihre Bewertungen vollziehen, bleiben | |
Betriebsgeheimnis, eine Haftung existiert nicht. Rügemer zitiert Fitch über | |
sich selbst: „Ratings sind keine Fakten und können deshalb nicht als | |
richtig oder unrichtig bezeichnet werden. Ratings enthalten keine Garantien | |
für Vollständigkeit und Genauigkeit.“ Moody’s: „Unter keinen Umständen… | |
Moody’s irgendeine Verantwortung“ übernehmen. | |
Die scheinbar objektiven Ratings gelten als „freie Meinungsäußerung“. Wohl | |
zu Recht: 2010 erstellten die drei Großen 2.734.000 Ratings. Das bedeutet, | |
dass jeder Analyst durchschnittlich 760 Ratings erstellt haben muss: zwei | |
pro Tag, ohne Ferien, wobei ein Gutachten über ein strukturiertes | |
Finanzprodukt schnell 300 Seiten umfassen kann. | |
## Haftung ausgeschlossen | |
Im Kontrast dazu steht, dass etwa die EZB Kreditsicherheiten nur | |
akzeptiert, wenn sie zu bestimmten Risikoklassen gehören – die von den | |
Agenturen bestimmt werden. Die Tätigkeit der Agenturen wird also | |
staatlicherseits festgeschrieben, die Haftung aber privat ausgeschlossen. | |
„Die Propagandisten der ’Deregulierung‘ haben also gar nicht, wie sie | |
sagen, das Finanzsystem dereguliert, sondern sie haben auch mithilfe der | |
Ratingagenturen ein neues, nun eben privat dominiertes Regulierungssystem | |
geschaffen, das staatlich geschützt wird“, schreibt Rügemer. | |
Das wirkt wie eine Absurdität. Tatsächlich aber – bei aller kritischen | |
Distanz zum vulgärmarxistischen Antikapitalismusgegröle – handelt es sich | |
beim kultivierten Verweis auf die freie Marktwirtschaft hier um ein | |
ideologisches Feigenblatt, mitunter um eine subtil ausdifferenzierte und | |
kriminogene Bereicherungsmentalität. | |
Rügemer skizziert in seinem Buch die historische Genese und er zeigt, | |
teilweise verwirrend detailliert, wer hinter den Agenturen steckt, die eine | |
Krise mit Millionen von Arbeitslosen mit verursacht haben. Es sind die | |
gleichen Player, deren ökonomische Potenz von den Agenturen testiert werden | |
soll: Hedgefonds, denen wiederum die Banken gehören und gegenüber denen die | |
Deutsche Bank wie ein Zwerg anmutet. | |
Erstaunlich ist auch, dass die Bewerteten selbst für die Bewertung zahlen. | |
Rügemer zieht in einem Interview das Bild eines Fußballspiels heran, bei | |
dem die Mannschaften jeweils ihre eigenen Schiedsrichter mitbringen. Nach | |
seiner Überzeugung sind die Agenturen „der verlängerte Arm ihrer | |
Eigentümer“ und keineswegs unabhängig. Er belegt seine These zumeist | |
schlüssig mit öffentlich zugänglichem Material. | |
Rügemer hat ein Buch geschrieben, das einen Überblick ermöglicht. Er wertet | |
relevante Quellen aus und der Leser ist nach der Lektüre einigermaßen | |
verdutzt über die Dreistigkeit von Ratingagenturen und deren | |
Strippenziehern. Es stellt sich die Frage, warum sie eine so große Macht | |
haben dürfen. | |
Auch wenn die Aufzählungen und die prozentualen Beteiligungen der | |
verästelten Unternehmensstrukturen den Text sperrig machen, Rügemers Buch | |
ist empfehlenswert. Keine Lektüre für den Strand, aber erhellend. | |
Werner Rügemer: „Ratingagenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der | |
Gegenwart“. transcript, Bielefeld 2012, 196 Seiten, 18,80 Euro | |
3 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Kai Schlieter | |
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