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# taz.de -- Händler in Aleppo: Mit dem Umsturz kalkulieren
> Es hat gedauert, bis der Aufstand Syriens nördliche Metropole erfasst
> hat. Die hiesigen Händler galten als wichtige Stütze des Assad-Regimes –
> bis jetzt.
Bild: Die Revolution ist schlecht fürs Geschäft: Geschlossene Läden nach ein…
BERLIN taz | Lange Zeit schien die nordsyrische Wirtschaftsmetropole Aleppo
weitgehend isoliert von dem Aufstand, der weite Teile des Landes erfasst
hat: „Viele Leute waren schon wütend auf uns, weil sie dachten, dass wir
nicht hinter der Revolution stehen“, sagt Mohammed Said, ein aleppinischer
Aktivist. „Dabei war es für uns nur viel schwieriger, zu protestieren, weil
es hier so viele Sicherheitskräfte und Schabiha-Milizionäre gibt.“
Zwar hat es auch in der 2,5-Millionen-Stadt Aleppo Proteste gegeben, vor
allem an der Universität, doch sie kamen spät in Gang und waren schwächer
als in vielen anderen Orten des Landes. Im Mai, bei den bisher größten
Kundgebungen in Aleppo, sollen einige tausend Leute auf die Straße gegangen
sein.
Seit Beginn der Revolte hatte Präsident Baschar al-Assad alles
darangesetzt, die Situation in der 2,5-Millionen-Einwohner-Stadt ruhig zu
halten. Das tat er mit aller Härte, wie ein aktueller Bericht von Amnesty
International jetzt belegt: Der Report, der sich auf einen zweiwöchige
Rechercheaufenthalt in Nordsyrien stützt, dokumentiert Folter, Razzien und
willkürliche Verhaftungen, mit denen das Regime gegen die Opposition
vorging.
Doch nun hat der Bürgerkrieg Aleppo erfasst. Seit die Rebellen der Freien
Armee Syriens (FSA) vor zwei Wochen in mehrere zentrale Viertel
vorgedrungen sind, greift die Gewalt immer stärker um sich. Beide Seiten
haben den Kampf um Aleppo zur Entscheidungsschlacht erklärt. „Wir stehen an
einem kritischen Punkt“, sagt Rami, ein Aktivist aus Aleppo, der vor
wenigen Tagen in ein Dorf im Norden geflohen ist. „Wenn Assad Aleppo
verliert, heißt das, dass der Zusammenbruch des Regimes begonnen hat.“
## Wichtige Pufferzone für die Oppostion
Aleppo liegt in der Nähe der Grenze zur Türkei. Die geografische Lage
erklärt die große strategische Bedeutung der Stadt. Die Rebellen der FSA
nutzen die Südtürkei als Rückzugsraum und bringen von dort Waffen und
Munition ins Land. „Das Regime muss Aleppo schnell unter Kontrolle
bringen“, sagt Ayham Kamel, Syrienexperte der Eurasia Group. „Denn wenn es
den Rebellen gelingt, Aleppo zu erobern und dort politische Strukturen
aufzubauen, wären sie in der Lage, das Libyen-Szenario zu wiederholen.“ Das
heißt: Sie könnten eine Pufferzone schaffen, in der sich die Opposition
organisieren kann, so wie sich zuvor die libyschen Rebellen in Bengasi
sammelten.
Allerdings bezweifeln viele Beobachter, dass die Rebellen den regulären
Streitkräften lange standhalten können. Nur eines ist sicher: Die Gefechte
beschleunigen den wirtschaftlichen Niedergang Syriens. Denn Aleppo ist
nicht nur das Zentrum des Handels in Syrien, sondern mit seinen vielen
Textil- und Lebensmittelfabriken auch ein bedeutsamer Industriestandort.
Jetzt stehen die Aleppiner Betriebe weit gehend still, auch die meisten
Geschäfte haben geschlossen. „Wenn die Wirtschaft schrumpft, fehlen dem
Regime die Mittel, den Lebensstandard der Menschen aufrechtzuerhalten“,
sagt der Wirtschaftsanalyst Samir Seifan, ein früherer Regierungsberater,
der jetzt in Dubai lebt. Die Folge ist ein Verlust von Legitimität: „Das
Regime hat sich die Loyalität der Eliten gesichert, indem sie ihnen
Privilegien verschafft hat. Jetzt kann es dieses System immer weniger
aufrechterhalten.“
„Die Revolution ist schlecht fürs Geschäft“, sagt Rami, der Aktivist aus
Aleppo. „Deswegen standen die Händler bislang hinter Assad. Manche haben
sogar Schabiha bezahlt, damit sie ihre Fabriken beschützen.“ Die Schabiha
sind Assad-treue Milizen.
## Anschläge auf regimetreue Unternehmer
Allmählich zeichnet sich ein Wandel in der Haltung der Geschäftsleute ab,
die nicht nur unter den internationalen Sanktionen leiden, sondern auch
unter der Gewalt im Lande, die das Wirtschaftsleben behindert. Zudem gab es
zuletzt immer wieder Brandanschläge auf Betriebe, deren Inhaber als
regimetreu gelten. „Die Mehrheit der Händler hatte Angst vor einem
Umbruch“, sagt Samir Seifen. „Jetzt aber kalkulieren ihre Interessen neu,
denn sie haben erkannt, dass das Regime ihnen nicht mehr die Stabilität
verschaffen kann, die sie für ihre Geschäfte brauchen.“
Doch gerade weil die friedlichen Proteste in Aleppo nie eine kritische
Masse erreicht haben, ist unklar, inwieweit die Bevölkerung hinter dem
bewaffneten Aufstand steht. Die Mehrheit der FSA-Kämpfer ist aus anderen
Orten in die Stadt gekommen, aus dem Umland oder aus der nahe gelegenen
Provinz Idlib. „Aleppo selbst hat sich dem Aufstand nicht angeschlossen“,
sagt David Schenker, Leiter des Programms für Arabische Studien am
Washington Institute For Near East Policy. „Eine Menge Leute stehen derzeit
am Rand des Konflikts und warten ab, welche Seite die Oberhand gewinnen
wird.“
Allerdings sind Repressionen und wirtschaftliche Interessen nicht die
einzigen Gründe, warum Aleppo so lange ruhig geblieben ist: In der Stadt
leben die verschiedensten Ethnien und Konfessionen zusammen: 10 Prozent der
Bevölkerung sind Christen, 20 Prozent Kurden
Die Minderheiten haben sich überwiegend aus dem Konflikt herausgehalten.
Sie fürchten den zunehmenden Einfluss islamistischer Strömungen unter den
Rebellen. So haben die Kämpfe noch nicht auf die christlichen
Mittelklasseviertel im Westen übergegriffen. „Es ist seltsam, die Leute
sitzen in den Cafés und rauchen Wasserpfeife, als wenn nichts passiert
wäre“, sagt ein christlicher Künstler in dem wohlhabenden Viertel Jedideh.
Viele von ihnen hätten den Eindruck, dass der Krieg von außen in ihre Stadt
getragen wurde. Nun wächst bei den Minderheiten die Angst, zwischen die
Fronten zu geraten: „Wir haben keine Ahnung, wer diese Leute sind, die wir
jetzt auf der Straße sehen. Selbst meine muslimischen Freunde machen sich
große Sorgen.“
5 Aug 2012
## AUTOREN
Gabriela M. Keller
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
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