| # taz.de -- Äthiopien: Besuch in einem Vorzeigedorf: Der kluge Bauer | |
| > Mithilfe des Welternährungsprogramms bekämpfen äthiopische Bauern die | |
| > Erosion ihres Bodens. Mit Erfolg. Der Grundwasser- spiegel steigt, Obst | |
| > und Gemüse gedeihen. | |
| Bild: Kluge Strategien gegen die Erosion: äthiopischer Bauer bei der Feldarbei… | |
| TIGRAY taz | Dreizehneinhalb Meter. Das ist tief, aber nicht unerreichbar. | |
| Das ist sogar relativ dicht unter der Erdoberfläche, wenn man bedenkt, dass | |
| Wasser hier im nordäthiopischen Tigray früher tatsächlich unerreichbar war. | |
| Also ließ Bauer Gebremichael Gidey nach Wasser graben. „Mein Brunnen ist | |
| meine Bank“, sagt er. „Ich habe mein Geld investiert, die Zinsen erhalte | |
| ich in Form von Obst und Gemüse.“ | |
| Umgerechnet 1.500 Dollar hat ihn der Brunnen gekostet, fast das Vierfache | |
| seines damaligen Jahresverdienstes. Von dem Geld ließ er nicht nur das Loch | |
| bohren, sondern auch rundherum eine Betonplatte gießen, „weil ich gesehen | |
| hatte, dass die Erde an anderen Wasserstellen immer völlig aufgeweicht | |
| ist“. Um das Wasser vor dem Verdunsten zu schützen, ließ er außerdem Wände | |
| aus Bambus um den Brunnen bauen, die Konstruktion mit Wellblechdach | |
| bedecken und Steinbänke einziehen. „So habe ich noch zusätzlichen Raum | |
| gewonnen“, sagt Gidey, „wo ich mich oft mit Besuchern treffe, weil es dort | |
| kühl und luftig ist.“ | |
| Die Investition in den Brunnen hat sich für den Bauern gelohnt. Da er sein | |
| Land nun bewässern kann, hat er eine Plantage mit Obstbäumen angelegt und | |
| Gemüse gepflanzt – zusätzlich zu den Getreidefeldern, für deren Gedeihen er | |
| weiterhin auf Regenfälle angewiesen ist. Inzwischen besitzt Gidey 1.700 | |
| Obstbäume, die vor allem Mangos, Orangen und Papayas tragen, auch Avocados | |
| gibt es. Sein Einkommen sei von 400 auf 2.000 Dollar jährlich gestiegen, | |
| berichtet Gidey stolz. Den Kredit für den Brunnen hat er abbezahlt. | |
| ## Dürren nehmen zu | |
| Gerade führt er eine Gruppe von Besuchern durch seine Plantage. Gidey hat | |
| häufig Besuch von Fremden, die sich für die Felder in der Gegend seines | |
| Dorfes Abreha Atsebha interessieren. Dass hier Obst und Gemüse wachsen und | |
| dass auch der Mais so grün und kräftig steht, ist keine | |
| Selbstverständlichkeit. In den 1980er Jahren war die karge Region im Norden | |
| Äthiopiens von einer schweren Dürre betroffen. Hunderttausende | |
| verhungerten. „In meiner Familie sind so viele Menschen gestorben, dass ich | |
| Ihnen die genaue Zahl gar nicht sagen kann“, sagt Gidey, der nicht gerne an | |
| diese dunkle Zeit erinnert wird. Umso lieber redet er über die Gegenwart. | |
| „Sehen Sie das Gemüse? Wir haben Kohl, Chili, Kartoffeln und noch alles | |
| Mögliche andere.“ | |
| Man braucht nur den Blick zu heben, um zu sehen, dass Dürre und damit | |
| Hunger noch immer ständige Gefahren sind. So karg wie auf den meisten | |
| Hügeln rundherum sei das Land früher überall gewesen, erklärt der Bauer. | |
| „Noch vor zehn Jahren konnte man hier gar nichts anbauen. Der Boden war | |
| ausgelaugt, bei jedem Regen wurde noch mehr von den wenigen Resten der | |
| Erdkrume weggespült.“ | |
| Dass nun Obst und Gemüse wachsen, liegt nicht daran, dass es etwa häufiger | |
| regnete. Ganz im Gegenteil: Früher blieb der Regen etwa alle zehn Jahre | |
| aus, inzwischen ist jedes zweite oder dritte Jahr viel zu trocken. Trotzdem | |
| ist der Grundwasserspiegel gestiegen, weshalb Gidey für seinen Brunnen nur | |
| mehr als 13 Meter in die Tiefe gehen musste. Das ist das Ergebnis | |
| jahrelanger, harter Arbeit der Bewohner der Region. Das | |
| UN-Welternährungsprogramm (WFP) hat ihnen dabei geholfen: mit Ratschlägen, | |
| mit Essen im Austausch gegen ihre Arbeit, mit technischer Unterstützung. | |
| „Wir haben vor allem im oberen Bereich der Hänge eine Menge getan, um die | |
| Erde und das Wasser aufzufangen und die Erosion zu verhindern“, erklärt | |
| Muluye Meresa, der das Projekt vor Ort leitet. Es heißt Meret (Managing | |
| Environmental Resources to Enable Transitions). Auf der Klimakonferenz in | |
| Cancun wurde es Ende 2010 als Vorzeigeprojekt und Maßnahme gegen den | |
| Klimawandel anerkannt. | |
| ## Der Grundwasserspiegel steigt | |
| Veränderungen brauchen oft Jahre. In Meresas Handbuch sind 54 Methoden | |
| verzeichnet, mit denen man die Erosion des Bodens verhindern und das Wasser | |
| auffangen kann. „Wir wollen erreichen, dass das Wasser in den Boden | |
| sickert, statt nur den Hang herabzuschießen.“ Wenn es gelingt, steigt der | |
| Grundwasserspiegel am Fuß der Hügel. | |
| Zu den Konservierungstechniken für Wasser und Boden gehören bekannte | |
| Methoden wie das Anlegen von Terrassen an Hängen, wobei die Arbeit der | |
| Bevölkerung mit Geld oder Nahrung entgolten wird. Oder der Bau von Dämmen, | |
| die Wasser und Erde auf ihrem Weg ins Tal bremsen. In Äthiopien, aber auch | |
| international wird viel geforscht, wie Dämme und ihr Umfeld beschaffen sein | |
| müssen, damit sie ihre Aufgabe bestmöglich erfüllen. Wissenschaftlich | |
| begleitet wird auch die Frage, welche Bäume und Büsche sich am besten | |
| eignen, um das Erdreich zu halten und den Boden zu verbessern. | |
| Bauer Gebremichael Gidey hat schon früh daran geglaubt, dass sich die harte | |
| Arbeit lohnen könnte. Seine Begeisterung steckte andere an. Weil er für | |
| jede vernünftige Idee zu begeistern ist und dann unermüdlich für deren | |
| Umsetzung arbeitet, nennen ihn die Leute hier Abba Hawi, „Vater des | |
| Feuers“. Abba Hawi ist Chef über einige Dörfer, in Äthiopien heißt eine | |
| solche Verwaltungseinheit Kebele. | |
| ## Ein Mann der Regierung | |
| Gidey ist also ein Mann der Regierung und ganz offiziell ein Vorzeigebauer, | |
| was heißt, dass sich die anderen an ihm ein Beispiel nehmen sollen. Von der | |
| Regierung bekommt er subventionierten Kunstdünger, verbesserte | |
| Pflanzensetzlinge und Saatgut, außerdem gewährt man ihm Mikrokredite. „Aber | |
| alles zu denselben Bedingungen wie für die anderen auch“, versichert er. | |
| Das heißt, er kann Dünger und Saatgut mit besonders günstigen Krediten | |
| kaufen. | |
| Gidey steht inzwischen ein Stück tiefer am Fuß eines großen Erddammes und | |
| schreit Erklärungen hinauf. „Der Erdspiegel ist schon wieder ein paar Meter | |
| höher als früher“, ruft er. In dem einst tiefen Taleinschnitt haben sich | |
| die ersten Büsche und Bäume angesiedelt. Was auch daran liegt, dass es in | |
| dieser Kebele bei Strafe verboten ist, Ziegen und anderes Vieh in solchen | |
| Zonen weiden zu lassen. Wer dagegen verstößt, muss eine Geldbuße zahlen | |
| oder darf eine Zeit lang nicht mehr an den sozialen Aktivitäten des Dorfes | |
| teilnehmen. | |
| Das Welternährungsprogramm arbeitet eng mit der äthiopischen Regierung | |
| zusammen. Bellata Safere, Vertreter des Landwirtschaftsministeriums in der | |
| Region, ist von Meret begeistert. Etwa 157.000 Hektar Land könnten | |
| mittlerweile mit dem Projekt bewässert werden, statt der 3.400 wie noch vor | |
| ein paar Jahren. Die Obst- und Gemüseernte sei entsprechend gestiegen, die | |
| von Getreide um das Zehnfache. Natürlich sind die Kosten bei diesem | |
| technischen Aufwand hoch, räumt Bellata Safere ein. Nach seiner Schätzung | |
| betragen sie 4,3 Millionen Euro im Jahr, wobei das Projektgebiet nur 6 | |
| Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Tigray umfasst. „Aber wir haben | |
| keine andere Wahl“, sagt er. „Sonst gerät in Zukunft jede Trockenheit zu | |
| einer Hungerkatastrophe.“ | |
| ## Anderswo gibt’s Landraub | |
| Nach Schätzungen des Welternährungsprogramms ist die Hälfte des | |
| landwirtschaftlich nutzbaren Landes in den äthiopischen Hochlandgebieten | |
| durch Erosion ausgelaugt. Angesichts dieses Ausmaßes versuchen viele | |
| Hilfsorganisationen seit Jahren, den Boden zu verbessern. Teilweise mit | |
| Erfolg, doch angesichts der riesigen Flächen ist das alles nur ein Anfang. | |
| Hinzu kommt, dass die Bedingungen durch den Klimawandel immer schwieriger | |
| werden, denn die Trockenheit nimmt zu. | |
| Trotzdem ist der Erfolg in manchen Gebieten zu spüren. Als die ganze Region | |
| im Sommer 2011 von einer schweren Dürre betroffen war und der Hunger im | |
| Osten Afrikas monatelang Schlagzeilen machte, „haben wir davon gar nichts | |
| gemerkt“, sagt Gebremichael Gidey. Man habe die Felder bewässert und den | |
| Mais geerntet wie in ganz normalen Zeiten. | |
| Es ist ein harter Kampf um jeden Hektar. Gleichzeitig macht die äthiopische | |
| Regierung dadurch von sich reden, dass sie riesige Ländereien an | |
| ausländische Investoren verleast. Nicht in Tigray, sondern in Gambella und | |
| anderen fruchtbaren Regionen, wo sich das Land noch ohne viel Aufwand | |
| bewirtschaften lässt. Das sogenannte land grabbing stößt auf breite Kritik. | |
| Unter dem Titel „Warten auf den Tod“ veröffentlichte die | |
| Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dazu im Januar einen Bericht. | |
| Die äthiopische Regierung siedle Zehntausende Bauern zwangsweise um, damit | |
| sie das Gebiet Investoren anbieten könne. Allein zwischen 2008 und Januar | |
| 2011 habe sie 3,8 Millionen Hektar fruchtbares Ackerland für Jahrzehnte an | |
| Investoren vergeben, heißt es in dem Bericht. Gleichzeitig kämpft die | |
| Regierung in Tigray mit viel Geld und internationaler Hilfe darum, Land | |
| wieder fruchtbar zu machen. Dank dieser Anstrengungen wurden nach | |
| offiziellen Angaben 64.700 Hektar erodierte Fläche wieder zu Ackerland. Das | |
| ist viel und zugleich nichts im Vergleich zu der verleasten Fläche. | |
| Regierungsvertreter Bellata Safere sieht jedoch zwischen beidem keinen | |
| Zusammenhang: „Bei dem verleasten Land handelt es sich ja nicht um | |
| ehemalige Projektgebiete.“ | |
| 6 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Rühl | |
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| Schwerpunkt Klimawandel | |
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