# taz.de -- Fragwürdige Chemikalie Bisphenol A: Das Gift aus der Konservendose | |
> Bisphenol A ist Teil vieler Kunststoffe, es hat eine hormonähnliche | |
> Wirkung und ist in Nuckelflaschen verboten. Bei der Beschichtung von | |
> Konservendosen hingegen nicht. | |
Bild: Hmmm.. Lecker! Aber über die Kunststoffbeschichtungen von Dosen gelangt … | |
„Das Erste, das ich nach diesem Test gemacht habe, war, die alten | |
Babynuckelflaschen wegzuwerfen und die Dosen mit den geschälten Tomaten aus | |
dem Speiseschrank rauszuräumen.“ Maria Sundén Jelmini ist eine von vier | |
JournalistInnen der schwedischen Tageszeitung Svenska Dagbladet, die sich | |
kürzlich einem Selbstversuch unterzogen hatten. | |
Zwei Tage lang ernährten sie sich vorwiegend von Lebensmitteln aus | |
Konservendosen. Sie wollten sehen, welchen Einfluss dies auf den Gehalt an | |
Bisphenol A (BPA) in ihrem Körper haben würde. | |
Bei der 38-jährigen Reporterin stieg der Gehalt der Substanz in ihrem Urin | |
um fast 4.000 Prozent an. Das war nicht einmal Rekord. Bei ihrem Kollegen | |
Henrik Ennart schnellten die Werte gleich um 4.600 Prozent nach oben. Und | |
bei der Reporterin Josefin Pehrson wurde nach zwei Tagen mit Obstkonserven, | |
Suppe oder Ravioli aus der Dose und einer Büchse Bier zum Mittagessen mit | |
86 Mikrogramm pro Liter Urin der höchste BPA-Gehalt konstatiert, der | |
bislang jemals in Schweden bei einem Menschen gemessen worden war. | |
„Vermutlich ist das sogar ein internationaler Rekord, ich habe nie von | |
höheren Werten gehört“, sagt Bo Jönsson, Medizinprofessor an der Uni Lund. | |
Sein Institut für Arbeits- und Umweltmedizin begleitete den Test. Für | |
„höchst bemerkenswert“ hält es Jönsson, dass solche Werte nach nur | |
zweitägiger Konserven-„Diät“ gemessen worden sind. Das mache deutlich, | |
welchen großen Einfluss diese BPA-Quelle auf den menschlichen Körper habe. | |
## Wichtige Substanz für die Chemieindustrie | |
Bisphenol A ist eine der meistproduzierten Basis-Chemikalien und damit ein | |
wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Chemieindustrie. Sie ist Grundstoff zur | |
Herstellung von Kunststoffen und Kunstharzen und findet sich beispielsweise | |
in vielen Plastikprodukten, Lebensmittelverpackungen, Zahnfüllungen, Lacken | |
und dem Thermopapier für Faxgeräte und Quittungen. | |
Aus diesen Produkten kann sich der Stoff lösen: Er kann dann vom | |
menschlichen Körper aufgenommen werden und auch die Umwelt belasten. Es ist | |
eine hormonell wirkende Substanz, die im Körper ähnlich wie das weibliche | |
Sexualhormon Östrogen wirkt. | |
BPA steht damit im Verdacht, negative Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit zu | |
haben. Und wird zudem auch mitverantwortlich für Diabetes, Brust- und | |
Prostatakrebs, Herz- und Lebererkrankungen sowie Schädigungen des Zentralen | |
Nervensystems und für Fettleibigkeit gemacht. Mehrere hundert | |
wissenschaftliche Studien haben hormonveränderte Effekte nachgewiesen. | |
## Verbote gibt es schon | |
Nachdem Kanada, Dänemark und Frankreich mit entsprechenden Verboten einen | |
Alleingang gemacht hatten, ist die Chemikalie seit dem vergangenen Jahr in | |
Babyfläschchen auch EU-weit verboten. | |
Die Innenseiten von Konservendosen werden mit BPA-haltigen Harzen | |
beschichtet, um zu verhindern, dass das Blech korrodiert oder sich im | |
Kontakt mit Lebensmitteln Metalle lösen und das zu inhaltlichen oder | |
geschmacklichen Beeinträchtigungen führen kann. Und Dosen sind ein | |
Anwendungsbereich dieses Hormongifts, der schon lange sehr kritisch gesehen | |
wird. Weshalb beispielsweise Schweden bereits ein Verbot entsprechender | |
Beschichtungen in den Metalldeckeln der Gläser von Kleinkindnahrung | |
erlassen hat. | |
Wissenschaftliche Studien über die Wirkung von BPA in Konservendosen seien | |
jedoch bislang erstaunlich dünn gesät, meint Christian Lindh, Dozent am | |
arbeits- und umweltmedizinischen Institut der Universität Lund. Es gebe | |
vorwiegend Studien, die BPA im Inhalt der Konserven unter die Lupe genommen | |
haben, nicht aber bei den Konsumenten dieser Produkte. Vermutlich, weil | |
solche Versuche ethisch problematisch seien, glaubt Lindh, man setze damit | |
Menschen ja aktiv Giften aus: „In den USA wagen Forscher das selten, weil | |
ein hohes Risiko besteht, dann gerichtlich verklagt zu werden. In Europa | |
müssen solche Experimente von ethischen Kommissionen abgesegnet werden.“ | |
Eine Folge der lückenhaften Wissensbasis: Während andere | |
Anwendungsbereiche, wie das Thermopapier von Kassenquittungen, breit | |
debattiert werden und es dafür bereits entsprechende Verbotsanstrengungen | |
gibt, spielen Konservendosen in der wissenschaftlichen und auch politischen | |
Diskussion bisher eine eher untergeordnete Rolle. Obwohl sie eine ganz | |
entscheidende Quelle der menschlichen Exponierung durch BPA zu sein | |
scheinen. Doch die Debatte kann sich schnell ändern, wie Schweden zeigt. | |
Dort gibt es nun als Folge der Dosentests eine Mehrheit im Parlament für | |
ein BPA-Verbot für alle Anwendungen, bei denen die umstrittene Substanz in | |
Kontakt mit Lebensmitteln kommen könnte – also Lebensmittelverpackungen und | |
Küchengeräte. Werde seitens der Regierung kein entsprechender Gesetzentwurf | |
vorgelegt, hat die Opposition aus Grünen, Sozialdemokraten und Linkspartei | |
einen eigenen Entwurf angekündigt. | |
## „BPA-Konsum wird unterschätzt“ | |
Und der grüne EU-Parlamentarier Carl Schlyter will, dass die EU-Kommission | |
aktiv wird: „Ich habe den Verdacht, dass man dort bislang grob unterschätzt | |
hat, wie viel BPA wir regelmäßig zu uns nehmen.“ | |
Schlyter geht so weit, den Umgang mit dem Hormongift als „eines der am | |
meisten unterschätzten Probleme unserer Zeit“ zu bewerten: „Es hilft ja | |
auch gar nichts, ökologische Lebensmittel zu kaufen. Erst gestern machten | |
wir zu Hause eine Thai-Mahlzeit. Und Kokosmilch und Bambussprossen gab es | |
eben nur in der Dose. Das haben dann auch meine Kinder, die noch nicht mal | |
drei Jahre alt sind, gegessen.“ | |
## Kein Alleingang | |
Für die Stockholmer Umweltministerin Lena Ek ist ein schwedischer | |
Alleingang jedenfalls „noch nicht aktuell“. Zwar hält auch sie die | |
Konservendosen-Experimente für „äußerst beunruhigend“, möchte aber erst | |
einmal, dass die staatliche Chemikalienbehörde weitere wissenschaftliche | |
Studien erstellt bzw. auswertet. Bei dieser „Chemikalieinspektionen“ | |
führten auch für den Leiter der Abteilung für Industrie- und | |
Konsumentenchemikalien, Sten-Åke Svensson, die Selbsttests der | |
JournalistInnen zu „ganz neuem Wissen“. | |
Dass der Konsum einer einzigen Dosensuppe pro Tag genügt, den BPA-Gehalt im | |
Urin um durchschnittlich 1.200 und vereinzelt bis zu 1.900 Prozent zu | |
erhöhen, hatte allerdings schon 2011 ein Versuch an der US-Harvard School | |
of Public Health erwiesen. Im Urin einer Testgruppe von StudentInnen, denen | |
fünf Tage lang jeweils 3,5 Deziliter Dosensuppe serviert worden waren, lag | |
der BPA-Gehalt danach zwar unter den schwedischen Rekordwerten, aber | |
immerhin bei 21 Mikrogramm pro Liter. Gesundheitsbehörden waren bis dahin | |
davon ausgegangen, dass Werte über 13 Milligramm völlig unüblich seien. | |
Die BPA-Lobby, so etwa das European Information Centre on Bisphenol A, | |
versucht, solche Tests herunterzuspielen. Die Werte lägen schließlich bei | |
Probanden dieser Extremtests unter den in der EU geltenden Grenzwerten. | |
Doch gelten diese, von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit | |
(EFSA) 2007 sogar noch um das Fünffache auf 0,05 mg je Kilogramm | |
Körpergewicht heraufgesetzten Werte,Verbraucher- und | |
Umweltschutzorganisationen schon lange als viel zu hoch. | |
## Plädoyer für Verbot | |
Karin Michels, Harvard-Professorin für Epidemiologie und Mitverfasserin | |
eines wissenschaftlichen Artikels über den dortigen Dosensuppentest, | |
appelliert jedenfalls an die Industrie, BPA möglichst aus dem Schutzharz | |
der Doseninnenbeschichtungen zu entfernen. Der BUND fordert ähnlich wie | |
andere Umweltschutzorganisationen ein gänzliches Verbot. | |
Die schwedische EU-Parlamentarierin Åsa Westlund, die verantwortlich | |
zeichnet für einen Rapport des Parlaments über hormonstörende Substanzen, | |
der im Herbst veröffentlicht werden soll, will von der EU-Kommission | |
grundlegende Regelungen für alle BPA-haltigen Substanzen, die mit | |
Lebensmitteln in Berührung kommen: Noch wisse man zwar wenig über die | |
Auswirkungen zeitweilig hoher Gehalte im menschlichen Körper, aber es müsse | |
das Vorsorgesprinzip gelten. | |
Bleibt die Frage nach Ersatzstoffen. In Japan hat Konsumentendruck dazu | |
geführt, dass die Verwendung BPA-haltiger Substanzen bei | |
Dosenbeschichtungen schon seit Ende der 1990er Jahre kräftig beschränkt | |
worden ist. Dort sind seither weithin Beschichtungen aus PET | |
(Polyethylen-Terephthalat) üblich geworden. Toxikologisch sollen sie | |
relativ unbedenklich sein. | |
9 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
## TAGS | |
Fortpflanzung | |
Outdoor | |
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