| # taz.de -- Korruptionsprozess in Brasilien: Illegal, aber gewöhnlich | |
| > Brasiliens oberstes Gericht verhandelt die Korruptionsskandale aus der | |
| > Regierungszeit Lula da Silvas. Dessen Arbeiterpartei hofft auf | |
| > Schadensbegrenzung. | |
| Bild: Kein Beachvolleyball, sondern Protest gegen Korruption vor dem Gerichtssa… | |
| RIO DE JANEIRO taz | Für Generalstaatsanwalt Roberto Gurgel ist es der | |
| „dreisteste Korruptionsskandal in der Geschichte Brasiliens“, einer der | |
| Verteidiger wertete den Prozess als „verwegensten Angriff auf die | |
| Verfassung“. Verhärtete Fronten vor dem obersten Gerichtshof in der | |
| Hauptstadt Brasília, wo vergangene Woche der Prozess gegen 38 ehemals | |
| ranghohe Regierungspolitiker, Unternehmer und Bankiers begann. | |
| Verhandelt wird der sogenannte Mensalão – so wird in Brasilien die Zahlung | |
| monatlicher Bestechungsgelder an Abgeordnete bezeichnet. Der prominenteste | |
| Angeklagte ist der ehemalige Staatsminister José Dirceu, der starke Mann in | |
| der Regierung von Expräsident Luiz Inácio Lula da Silva. Neben Dirceu sind | |
| auch der damalige Vorsitzende der regierenden Arbeiterpartei PT (Partido | |
| dos Trabalhadores), José Genoino angeklagt sowie Exschatzmeister Delñbio | |
| Soares. | |
| Die Anklagen reichen von Veruntreuung öffentlicher Gelder und Geldwäsche | |
| bis hin zur Bildung einer kriminellen Vereinigung. Das Strafmaß kann bis zu | |
| 45 Jahre Freiheitsentzug betragen. Die Staatsanwaltschaft spricht von einem | |
| ausgeklügelten Korruptionssystem, mit dem im Jahr 2005 Millionenbeträge aus | |
| staatlichen Einrichtungen abgezweigt wurden. | |
| Mit dem Schwarzgeld sollen Wahlkampfschulden beglichen und Stimmen | |
| wankelmütiger Abgeordneter gekauft worden sein. Drahtzieher soll der | |
| Lula-Vertraute Dirceu gewesen sein, das Motiv der Machterhalt der | |
| PT-Regierung. | |
| ## Verteidiger bestreiten Vorwürfe | |
| Anfang 2003 hatte mit Präsident Lula erstmals seit der Militärdiktatur eine | |
| linke Regierung die Macht in Brasilien übernommen. Allerdings hatte seine | |
| Arbeiterpartei keine Mehrheit im Parlament, für die Verabschiedung | |
| wichtiger Gesetzesvorhaben war er also auf Stimmen teils dubioser | |
| Koalitionspartner, manchmal auch rechter Splitterparteien angewiesen. | |
| Seit dem dritten Verhandlungstag zu Beginn dieser Woche haben die | |
| Verteidiger das Wort. Sie bestreiten insbesondere den Vorwurf des | |
| Stimmenkaufs, das Herzstück des Mensalão. „Es liegen keinerlei Beweise vor, | |
| die Staatsanwaltschaft stützt ihre Vorwürfe lediglich auf Zeugenaussagen“, | |
| so José Oliveira Lima, Anwalt des Exministers Dirceu, in seinem Plädoyer. | |
| Wie die Verteidiger der anderen Angeklagten fordert er einen Freispruch für | |
| seinen Mandanten. | |
| Einige Anwälte gaben zu, dass es eine Schwarzkasse gegeben habe. Dies sei | |
| zwar illegal, aber nichts Ungewöhnliches im politischen Geschäft. Das Geld | |
| sei jedoch nur zur Finanzierung des Wahlkampfs benutzt worden, nicht zum | |
| Stimmenkauf – also ein Vergehen, das bereits verjährt ist. Bis zum 14. | |
| August sollen die Plädoyers abgeschlossen sein, das Urteil soll Anfang | |
| September gefällt werden. | |
| Für die PT, die nach einer zweiten Amtszeit von Lula jetzt mit Präsidentin | |
| Dilma Rousseff nach wie vor das größte Land Lateinamerikas regiert, ist der | |
| Zeitpunkt des Prozesses denkbar ungünstig. Im Oktober finden Lokalwahlen | |
| statt, der Wahlkampf hat bereits begonnen. Kaum verwunderlich, dass das | |
| Verfahren von offizieller Seite als politischer Prozess kritisiert wird. | |
| „Es ist eine Farce, erfunden von konservativen Kräften innerhalb der | |
| Oppositionsparteien, um die PT und die Regierung zu verunglimpfen“, | |
| wetterte vor Prozessbeginn der Fraktionsführer der Arbeiterpartei, Jilmar | |
| Tatto. | |
| ## „Größtes Korruptionsverbrechen der Geschichte“ | |
| Ganz anders der Tenor in den Massenmedien, denen die PT-Regierung schon | |
| immer ein Dorn im Auge war. Unisono wird vom „größten Korruptionsverbrechen | |
| der Geschichte“ gesprochen, einige Zeitungen urteilen jetzt schon, dass | |
| eine Nichtverurteilung eine Schande für die Justiz wäre. | |
| Verschwiegen wird in diesen Medien allerdings, dass der Mensalão kein neues | |
| Phänomen ist, sondern Gleiches schon 1998 publik wurde, organisiert von der | |
| damaligen rechten Regierungspartei PSDB und eingefädelt von dem Unternehmer | |
| Marcos Valério – demselben, der heute wegen des gleichen Delikts für einen | |
| anderen Auftraggeber auf der Anklagebank sitzt. | |
| Dass offenbar mit zweierlei Maß gemessen wird und viele andere Politgrößen | |
| schon längst vor Gericht stehen müssten, macht den Skandal jedoch nicht | |
| ungeschehen. Vor sieben Jahren war der Mensalão ein politisches Erdbeben. | |
| Reihenweise traten Minister zurück, nur mit Mühe konnte sich Lula aus der | |
| Schusslinie retten. Seine Popularität ist zwar bis heute unangefochten, | |
| doch viele Weggefährten, vor allem vom linken Flügel, verließen enttäuscht | |
| die Arbeiterpartei. | |
| 10 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Behn | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
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