Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aufarbeitung der Militärdiktatur in Brasilien: Geheim soll geheim …
> Die Verbrechen der Militärdiktatur stehen wieder auf der Tagesordnung.
> Doch Präsidentin Dilma Rousseff ist der Koalitionsfrieden wichtiger.
Bild: Wie ihr Vorgänger Lula geht sie nicht ran an die Militärdiktatur: Brasi…
PORTO ALEGRE taz | Auch unter Präsidentin Dilma Rousseff müssen sich
Brasiliens Menschenrechtler in Geduld üben. Bislang konnten sie hoffen,
dass "ultrageheime" Regierungsdokumente immerhin nach 50 Jahren öffentlich
gemacht werden - so hatte es das Abgeordnetenhaus letztes Jahr beschlossen.
Doch im Senat will Rousseff, selbst ein Folteropfer der Militärdiktatur
(1964-85), nun ihren konservativen Koalitionspartnern nachgeben, allen
voran den Expräsidenten José Sarney (1985-90) und Fernando Collor
(1990-92). "Wir dürfen doch aus der brasilianischen Geschichte kein
Wikileaks machen", sagte Sarney.
"Blödsinn", kontert der frühere Menschenrechtsminister Paulo Vannucchi,
"diese Haltung entspricht nicht dem Reifegrad der brasilianischen
Demokratie." Auch die Fraktion der Arbeiterpartei PT wehrt sich gegen das
Zurückweichen ihrer Parteifreundin, die seit Wochen unter dem Druck der
rechten Koalitionäre steht. "Nach 50 Jahren gibt es doch keine
problematischen Dokumente mehr", meinte PT-Senator Humberto Costa. Damit
stellt er sich auch gegen das Außenministerium, das bis heute wichtige
Dokumente aus dem Krieg gegen Paraguay (1864-70) unter Verschluss hält.
Doch das wirklich heiße Eisen, das auch Rousseffs Vorgänger Lula da Silva
acht Jahre lang nicht anfasste, sind die bleiernen Jahre des Militärregimes
bis 1974. Damals wurden rund 450 Oppositionelle ermordet und Tausende
gefoltert. Am Dienstag kam es in São Paulo zu einer feierlichen Übergabe
von Dokumenten, die 26 Jahre in der Obhut des Weltkirchenrates in den USA
und der Schweiz waren, an die Staatsanwaltschaft. Von 1979 bis 1985 hatten
die Anwälte der von der Militärjustiz Angeklagten 24 Stunden lang Zugang zu
den Dokumenten.
Sie kopierten sie, anschließend leiteten Mitarbeiter des katholischen
Bischofs Paulo Evaristo Arns in São Paulo die Kopien an protestantische
Kirchenleute im Ausland weiter. Auf 543 Mikrofilmrollen sind eine Million
Seiten aus 707 Prozessen gespeichert, weitere Unterlagen geben Aufschluss
über 242 Folterzentren und 200 minutiös aufgelistete Folterarten. Der
Bestand war Grundlage eines ersten Wahrheitsberichts 1985. Nun sollen die
Dokumente digitalisiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
"Wir hoffen, dass die Rückgabe der Dokumente die brasilianische Regierung
zum Handeln bringt", sagte Juan Méndez, der UN-Sonderberichterstatter für
Folter, in Genf. Nun müsse die Justiz Prozesse gegen Folterer eröffnen,
fordert der Argentinier, Brasilien habe gegenüber dem internationalen
Rechtssystem "klare Verpflichtungen".
Menschenrechtler drängen zudem auf eine Wahrheitskommission mit umfassenden
Kompetenzen. Die Regierung will zwar eine solche Kommission einrichten,
aber die Anonymität der Täter wahren. Wegen eines Amnestiegesetzes von
1979, das der Oberste Gerichtshof 2010 bekräftigte, wurde in Brasilien noch
nie ein Folterer oder Mörder in Uniform verurteilt.
16 Jun 2011
## AUTOREN
Gerhard Dilger
## ARTIKEL ZUM THEMA
Korruptionsprozess in Brasilien: Illegal, aber gewöhnlich
Brasiliens oberstes Gericht verhandelt die Korruptionsskandale aus der
Regierungszeit Lula da Silvas. Dessen Arbeiterpartei hofft auf
Schadensbegrenzung.
Brasilien will Verbrechen aufarbeiten: Versteinerte Miene bei den Militärs
Jetzt will auch Brasilien eine Wahrheitskommission zu Folter und Mord
während der letzten Militärdiktatur einsetzen. In den Nachbarländern ist
das längst passiert.
Ärger zwischen Brasilien und Italien: Ex-Terrorist kommt frei
Brasilien verweigert die Auslieferung des wegen Mordes verurteilten
Ex-Terroristen Cesare Battisti nach Italien und lässt ihn sogar frei.
Italien droht mit dem Internationalen Gerichtshof.
Waldgesetze in Brasilien: Agrarlobby düpiert Präsidentin Rousseff
Das brasilianische Abgeordnetenhaus stimmt für mehr Landwirtschaft und
weniger Waldschutz. Das ist ein herber Rückschlag für die Staatschefin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.