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# taz.de -- Studie zu Arbeitsbedingungen: Flexibel, mobil und krank
> Die Zahl psychischer Erkrankungen hat sich seit 1994 verdoppelt. Grund
> sind fließende Grenzen zwischen Berufs- und Privatsphäre, so eine Studie
> der AOK.
Bild: Angst um die Existenz: Viele Menschen arbeiten auf Kosten ihrer psychisch…
BERLIN taz | Sie sind flexibel, mobil und ständig erreichbar. Sie arbeiten
hochmotiviert, projektbezogen, übernehmen mehr Verantwortung für ihr
Unternehmen, als sie müssten – und brechen eines Tages zusammen: Dies ist,
in Kurzfassung, das Ergebnis des aktuellen Fehlzeiten-Reports des
Wissenschaftlichen Instituts der AOK, der am Donnerstag in Berlin
vorgestellt wurde.
Die Zahlen und Analysen über die Auswirkungen von Belastungen am
Arbeitsplatz auf die psychische Gesundheit von Beschäftigten, die der
Report auf 528 Seiten liefert, sind alarmierend. Demnach hat sich die Zahl
der psychischen Erkrankungen in Deutschland in den vergangenen zwei
Jahrzehnten verdoppelt. Die Fehlzeiten von Arbeitnehmern dokumentieren
dies: Mit durchschnittlich 22,5 Tagen pro Fall waren die Ausfallzeiten
aufgrund psychischer Erkrankungen 2011 mehr als doppelt so lang wie andere
Erkrankungen, die durchschnittlich 11 Tage pro Fall dauerten.
Insgesamt allerdings sank der Krankenstand im Vergleich zum Vorjahr leicht
und lag 2011 bei 4,7 Prozent. Grundlage der Untersuchung waren die
Arbeitsunfähigkeitsmeldungen von mehr als 10,8 Millionen erwerbstätigen
AOK-Mitgliedern sowie eine repräsentative Befragung der Kasse unter
Beschäftigten.
„Die Arbeit nimmt zunehmend mehr Eingang in die Privatsphäre“, kritisierte
der Herausgeber des Reports, Helmut Schröder. Mehr als jeder dritte
Erwerbstätige erhalte außerhalb der Arbeitszeit häufig Anrufe oder E-Mails
(33,8 Prozent) und leiste Überstunden (32,3 Prozent). Auch Arbeit mit nach
Hause zu nehmen (12 Prozent) oder an Sonn- und Feiertagen zu arbeiten,
stelle kein Randphänomen mehr dar.
Bald jeder achte Beschäftigte gab an, dass er Probleme mit der
Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit habe oder wegen beruflicher
Verpflichtungen private Pläne geändert habe. Wer zu dieser Gruppe gehöre,
„dessen Risiko ist signifikant höher, psychisch krank zu werden“, sagte
Schröder.
## Folge von Selbstausbeutung
Als Konsequenz forderte der AOK-Geschäftsführer Uwe Deh klare Schranken:
„Wir haben den Umgang mit psychischen Grenzen noch nicht so gut gelernt.“
Dehs Appell an die Betriebe, ihre Arbeitnehmer besser zu schützen, klang
indes fast hilflos angesichts der Realität der Jobverhältnisse, mit denen
Erwerbstätige in Deutschland klarkommen müssen: Von den insgesamt 41
Millionen Beschäftigten sind 4,8 Millionen geringfügig beschäftigt, 4,2
Millionen soloselbstständig und 0,9 Millionen Leiharbeiter. 11 Prozent
aller Beschäftigten haben einen befristeten Arbeitsvertrag.
„Diese Menschen“, sagte Antje Ducki, Professorin für Arbeits- und
Organisationspsychologie an der Beuth Hochschule für Technik Berlin,
„müssen sich fortwährend um die Absicherung ihrer Existenz kümmern“.
Deswegen seien sie einer „interessierten Selbstgefährdung“ ausgesetzt,
sprich: psychischen Risiken als Folge von Selbstausbeutung.
Und: Ihre Zahl werde steigen, die Lebenssituation der Freelancer die
Arbeitswelt der Zukunft bestimmen. Ducki riet den Beschäftigten, nicht
allein auf die Arbeitgeber zu vertrauen. Stattdessen: „Ein hohes Maß an
Selbstorganisation ist nötig, man muss Gesundheitsvorsorge selbst betreiben
und für die eigene Weiterbildung sorgen, um marktfähig zu bleiben.“
16 Aug 2012
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
Psychische Belastungen
Festanstellung
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