| # taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Als ich einen Balrog erschuf | |
| > Von Likehuren, Hitlerkatzen, Kaffeetrends und dem Mario-Barth-Humor des | |
| > Internets. Braucht ihr noch mehr Buzzwords? Jetzt klickt schon, ihr | |
| > Luder! | |
| Bild: Haha. Lustig. | |
| Es passierte auf einer Radtour durch Köln. Ich startete in Ehrenfeld, kam | |
| am berühmten Zentralmoscheeneubau vorbei, nudelte mich dann außenringseitig | |
| durch Industrie- und Bahnschienengebiete, bis ich Nippes erreichte. Auf der | |
| Neusser Straße war dann dieses Schild. „Coffee to go“ stand darauf und | |
| direkt darunter: „Jetzt auch zum Mitnehmen“. Haha. Lustig. Ich machte ein | |
| Foto. Und stellte es auf Facebook. Und zwar so, dass alle es sehen, liken | |
| und sharen können, nicht nur meine Freunde und Freundesfreunde. | |
| Damit hatte ich einen Balrog geschaffen. Der erste, der das Foto likte, war | |
| Sascha Lobo. Der hat bei Facebook über 21.000 Abonnenten, die das | |
| mitkriegen konnten. Schnell kletterte der Gefällt-mir-Zähler auf 10, 20, | |
| 30. Bäm! Ich war glücklich. Denn, ja: Ich bin eine Likewhore. Jedes Mal, | |
| wenn oben links die kleinen weißen Ziffern auf rotem Grund aufpoppen und | |
| neue Ereignisse anzeigen, gibt mir das einen Kick. | |
| In der taz-Onlineredaktion nennen wir Kollegen Klickhuren, wenn sie | |
| Beiträge absurd hochjazzen (dafür reicht in der Regel ein Tier- oder | |
| Nacktbild, oder in der Überschrift was mit Hitler oder Fäkalsprache; 100 | |
| Punkte wären das Bild einer Hitlerkatze und „Piraten wollen Aliensex | |
| legalisieren“). Likewhore sein ist das Gleiche, nur in einer anderen | |
| Währung. Endlich werden all die kleinen Alltagsbeobachtungen veredelt, | |
| belohnt und quantifiziert. Wobei man schnell nur noch Pointen online stellt | |
| oder was man dafür hält. Man will ja den Schnitt hoch halten. | |
| Nachmittags ließen die Likes für das Kaffeefoto nach, dafür teilten auf | |
| einmal wildfremde Leute mein Foto. Mein Foto! Und ihre Freunde teilten es | |
| weiter und weiter. Ich konnte live mitzählen. 44. Reload. 45. Reload. 46. | |
| Hach. Als ich am nächsten Morgen bei 150 war, schaute ich mir die Shares | |
| mal an und merkte: Das sind fast nur Leute, mit denen ich gar nicht so viel | |
| zu tun haben wollen würde, so im echten Leben. Und auch sonst. | |
| Erst da wurde mir klar, mit was ich gepunktet hatte. Bildergoogelt man den | |
| Spruch, kriegt man mehrere baugleiche Fotos ausgeworfen, eine Karikatur und | |
| sogar ein Buch mit dem Namen: „Kaffee to go – auch zum Mitnehmen!: Die | |
| verrücktesten und witzigsten Schilder“. Kaffeetrendwitze sind das, was | |
| Helmut-Kohl-Karikaturen in den Achtzigern waren, der Mario-Barth-Humor des | |
| Internets. Sichere Lacher, wie Witze über die FDP, Hipster oder | |
| Prenzlauer-Berg-Muttis. | |
| Inzwischen sind es 93 Likes und 293 Shares, und insgesamt dürfte ich | |
| mehrere tausend Leute erreicht und manche davon sogar amüsiert haben. Und | |
| obwohl ich längst die emotionale Bindung zu meinem Foto verloren habe, bin | |
| ich doch ein wenig stolz. Ich hatte nicht nur etwas Vorhandenes | |
| weiterverbreitet, sondern tatsächlich selbst etwas geschaffen. Ich hatte | |
| meinen bescheidenen Beitrag zu der sich täglich weiter reproduzierenden | |
| Pointenmaschine Internet geleistet. | |
| Danach konnte ich beruhigt vier 0-Like-Beiträge posten. Einen davon habe | |
| ich allerdings nachträglich heimlich wieder gelöscht. Wie sieht denn das | |
| sonst aus? | |
| 17 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Brake | |
| ## TAGS | |
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