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# taz.de -- Äthiopien nach dem Tod des Herrschers: Jenseits von Hunger und Dem…
> Meles Zenawi hat Äthiopien modernisiert. Doch trotz Wirtschaftswachstum
> ist der Staat sehr traditionell. In Staat, Kirche und Armee sind
> Machtkämpfe möglich.
Bild: Lamu an der Grenze zwischen Äthiopien und Sudan. Der verstorbene Präsid…
BERLIN taz | Es gehört zum imperialen Erbe Äthiopiens, dass wichtige
Nachrichten nicht offen zirkulieren. Starb Regierungschef Meles Zenawi
wirklich am Abend des 20. August um 23.40 Uhr, nach Monaten des
Krankenhausaufenthalts im Ausland, wie das Staatsfernsehen am Dienstag
bekannt gab? Oder kam der Tod schon viel früher während der zwei Monate
seit Meles’ letztem öffentlichen Auftritt am 19. Juni, wie
Exiloppositionelle unermüdlich behaupten?
Im Staatsfernsehen gab es zur Todesnachricht keine einzige Filmsequenz,
lediglich undatierte Fotos von Meles. Gerüchte über seinen Tod gab es seit
Wochen. Doch das stolze Äthiopien, der einzige Staat Afrikas mit einer
ungebrochenen mehrtausendjährigen Tradition, sieht über derartige
Kleinigkeiten gerne hinweg.
Beim letzten natürlichem Tod eines äthiopischen Herrschers während seiner
Regierungszeit währte die Ungewissheit über seinen Zustand ein Jahr. Das
war 1916, als Kaiser Menelik II. starb, der Ende des 19. Jahrhunderts
Äthiopien zum Großreich machte und als einziger König Afrikas die
europäische Eroberung zurückschlug.
## Äthiopische Erfolgsstory
Ähnlich wie sein großer Vorgänger kann Meles Zenawi sich zugutehalten,
Äthiopiens Bild in der Welt fundamental verändert zu haben. Als Meles im
Mai 1991 als 36-jähriger Anführer einer Guerillaarmee die Macht ergriff,
war sein Land Inbegriff des Elends: die kommunistische Militärdiktatur von
Mengistu Haile Mariam hatte Mitte der 1980er-Jahre eine der verheerendsten
Hungersnöte der Welt herbeigeführt, hungernde äthiopische Kinder wurden zum
Symbol für afrikanisches Leid, weltweit. Heute ist das Vergangenheit.
Äthiopien gilt als ökonomische Erfolgsstory, mit konstant hohen
Wachstumsraten von über sieben Prozent im Jahr und stark sinkender Armut.
Hochwertige Exportprodukte wie Kaffee – die Kaffeebohne hat ihren Ursprung
im abessinischen Hochland, ihre Zubereitung ist dort bis heute
unübertroffen – und Lederschuhe – Äthiopien hat einen der größten
Viehbestände Afrikas und setzt auf die Förderung des einheimischen Gewerbes
– spülen Devisen ins Land. Und nachdem die Machtelite um Meles anfangs vor
allem ihre Heimatregion Tigray an der Grenze zu Eritrea mit Investitionen
bedachte, kommt jetzt der Süden an die Reihe. Er ist gesegnet mit
fruchtbaren Ackergebieten und enormem Wasserkraftpotenzial. Wobei die
dortigen Großinvestitionsprojekte stark umstritten sind.
Politisch allerdings hat Meles Zenawi weniger verändert, und das ist auch
das Fundament seiner ökonomischen Erfolge. Die Tradition eines
intransparenten Zentralstaats ist in Äthiopien tief verwurzelt. Nachdem
Soldaten 1974 das jahrtausendealte Kaiserreich stürzten, agierte ihre
marxistische Junta „Derg“ unter Mengistu Haile Mariam genauso
absolutistisch. Und als Meles’ Guerillakämpfer die Macht ergriffen, setzten
sie eine neue Diktatur an die Stelle der alten.
Gemeinsam hatten Guerillakämpfer aus Tigray, Eritrea und dem
zentraläthiopischen Oromoland Mengistu gestürzt. Meles zerschlug ihr
Bündnis. Er entließ Eritrea in die Unabhängigkeit, marginalisierte die
Oromos und beließ Tigray als unangefochtenes Machtzentrum, mit
Satellitenparteien unter den anderen Volksgruppen. Dann führte er
erfolgreich Krieg, erst gegen Eritrea, dann gegen Oromo-Rebellen. Äthiopien
bleibt bis heute hochgradig militarisiert. Ein kurzlebiger demokratischer
Frühling im Jahre 2005 wurde rigoros unterdrückt, nachdem neugebildete
Oppositionsparteien fast die Parlamentswahlen gewonnen hätten. Heute ist
die Politik praktisch gleichgeschaltet.
Äthiopien ist dadurch zum treuesten Vollstrecker des „chinesischen Weges“
in Afrika geworden: alle Macht bei einer Staatspartei, aber wirtschaftliche
Modernisierung im Eiltempo. Anders als in anderen afrikanischen
Reformländern behält der äthiopische Staat, ähnlich wie der chinesische,
eine Führungsrolle in der Wirtschaft. In Banken, Telekommunikation und
Medien herrscht ein Staatsmonopol. Nicht einmal privater Landbesitz ist
gestattet. Alle in Afrika geläufigen Merkmale einer gesellschaftlichen
Modernisierung sind im chaotischen Nachbarland Somalia stärker ausgeprägt
als in Äthiopien: unbeschränkte Internetkommunikation, eine
grenzüberschreitend agierende Mittelschicht, der Aufstieg selbstbewusster
privatwirtschaftlicher Dynastien.
## Machtkämpfe möglich
Je mehr die Opposition ins Exil oder in den Untergrund gedrängt wird, desto
gebetsmühlenhafter beschwört sie den Kollaps des Meles-Systems. Was wird
nun also geschehen? Zunächst einmal herrscht Staatstrauer. Meles’
bisheriger Stellvertreter und Außenminister Hailemariam Desalegn übernimmt
sein Amt bis 2015. Unter ihm sind keine Veränderungen zu erwarten – hier
sind sich Regierung und Opposition ausnahmsweise einig.
Aber unter der Oberfläche gärt es. Am Wochenende, dem Ende des islamischen
Fastenmonats Ramadan, gab es Großdemonstrationen von Muslimen – muslimische
Oppositionelle in Äthiopien sagen, ihre Bevölkerungshälfte des Landes werde
benachteiligt und in die Nähe verfemter Somalis gerückt. Am vergangenen
Freitag meldete die Regierung den Tod des Patriarchen der sehr mächtigen
äthiopischen koptisch-orthodoxen Kirche; der 76jährige Abune Paulos galt
als Freund von Meles. Oppositionskreise melden überdies, Generalstabschef
Samora Yenus sei schwer krank und liege in Deutschland im Krankenhaus.
Insofern sind in Staat, Kirche und Armee Machtkämpfe möglich. Sie finden in
Äthiopien traditionell hinter verschlossenen Türen statt, können sich aber
in schwer zu dechiffrierenden Gewaltakten äußern. Was wirklich geschieht,
wird die Öffentlichkeit womöglich nie erfahren. Und der 1991 gestürzte
Mengistu, in Äthiopien in Abwesenheit wegen Völkermordes zum Tode
verurteilt und mittlerweile 75 Jahre alt, sitzt in Simbabwe im goldenen
Exil und wird sich wundern, dass er seinen jungen Bezwinger überlebt hat.
21 Aug 2012
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Äthiopien
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