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# taz.de -- Kolumne Wortklauberei: Dachau Blues
> Im Ausland dauernd auf die KZ-Stadt-Herkunft angequatscht werden, nervt.
> Haben auch Sie Kennzeichenkummer? Dann fragen Sie doch den
> Ramsauerbrummer!
Bild: Zeichen und Wunder: Irgendwann wird alles egal.
Im Radio geht’s um das neue Leuchtturmprojekt von unserem
hochoberbayerischen Bundesminister für Verkehr, Bau, Leuchtturm- und
Stadtentwicklung, Doktor Peter Ramsauer, der festgestellt hat, dass die
Leute zwar weiß Gott andere Probleme haben, aber total sensibel darauf
reagieren, wenn’s um so Heimatbelange und Identität und Tralala geht.
Und da hat er sich wahrscheinlich gedacht: Ein bissl sensibel reagieren,
das ist doch eine wunderbare Gschicht, weil die nächsten Wahlen kommen eh,
das lässt sich ja schier nicht vermeiden in so einer lebendigen Demokratie,
und dann machen wir doch mal schön was mit den Autokennzeichen, damit die
Leute da ein bissl ein heimatlicheres Gefühl wieder ausleben können,
nachdem ihnen die Gebietsreform – wer erinnert sich nicht, Jessas, die
Gebietsreform! Äh, erinnert sich wer? – da sozusagen ein Stückerl von der
Identität förmlich aus der Seele herausgerissen hat und seitdem lauter so
erfundene Landkreise umeinanderfahren, die wo es gar nicht gibt, zumindest
nicht in den Herzinnen und Herzen der Bürgerinnen und Bürger, und der
Stachel sitzt tief bei vielen, die sich nach dem alten Laufener Kennzeichen
zurücksehnen etc. pp.
Darüber wird diskutiert in der Call-in-Sendung. Und als ich mich gerade zum
wiederholten Mal frage, ob die Leute vielleicht doch keine anderen Probleme
haben, ruft eine Frau an, die eines hat. Sie hat nämlich den Dachau Blues,
insofern, dass sie, wie sie in zerknirschtem und nach genuinem Mitgefühl
heischendem Tonfall nachgerade daherweint, aus dem Landkreis Dachau kommt,
was aus ihrem Autokennzeichen hervorgeht, und dass sie daher „überall“, �…
in Hamburg oder Berlin, sogar in Holland“ (!), darauf angesprochen werde:
auf Dachau und dass da doch früher ein KZ war. Was ihr „sehr bitter
aufstößt“, sagt sie, weil, und jetzt fordert ihr Tonfall Zustimmung ein:
„Das ist 70 Jahre her!“
Ja Mensch, da könnt jetzt aber endlich mal Ruhe sein, findet sie wohl, und
ob die Moderatorin und der Studioexperte das auch finden, bleibt unklar,
weil keiner von ihnen auf die Bemerkung eingeht. Das ist ja auch nicht ihr
Job. Sie sind heute einbestellt, um über die Wiedereinführung alter
Autokennzeichen zu Nostalgiezwecken zu labern, aber sie kontemplieren dafür
kurz den Vorschlag der Anruferin, den Landkreis Dachau doch umzubenennen.
Ginge das, welche Gremien müssten da entscheiden? Abgesehen davon habe sie,
die Anruferin, jetzt eh schon überlegt, ihr Auto auf ihren Sohn anzumelden,
der wohnt in München, da hätte sie dann „dieses Problem“ nicht mehr.
Gern (oder vielleicht auch lieber nicht) wäre man ja mal dabei, um zu
hören, was die Dame so zu Protokoll gibt, wenn sie mal wieder in Holland
oder Hamburg auf das KZ Dachau angesprochen wird.
Der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, findet das ganze
Kennzeichengeramsauere übrigens nur so mittel und lässt sich – man sagt
wohl: „in seltener Klarheit“ – mit dem Satz zitieren: „Wer
Lokalpatriotismus zu seinem Kuhdorf zeigen will, soll das über einen
Aufkleber am Kofferraum tun.“ Ey! Arrogant! Aber hübsch.
22 Aug 2012
## AUTOREN
Josef Winkler
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