# taz.de -- Debatte Öffentliches Vermögen: Nichts ist gut in Deutschland | |
> Das Bündnis „Umfairteilen“ will die Superreichen in die soziale | |
> Verantwortung zurückholen. Wichtige Unterstützer halten sich aber | |
> bedeckt. | |
Bild: Links: die Minderheit, rechts: die Mehrheit. Faire Verteilung sieht ander… | |
Dass ein Bündnis von Wohlfahrts– und Umweltverbänden, Attac und | |
Gewerkschaften angetreten ist, die Verteilungsdebatte mit gebündelter | |
Stimme in die öffentliche Debatte zu tragen, war lange überfällig. | |
Doch erst jetzt, wo Eurokrise und Meldungen über die Schuldenstände unserer | |
Nachbarländern allgegenwärtig sind, hat die Initiative „Umfairteilen“ eine | |
realistische Möglichkeit gesehen, ihre Forderung nach einer Vermögensabgabe | |
und für die Wiedereinführung der Vermögensteuer in Deutschland zu | |
lancieren. | |
Es ist verlockend, die Diskussion mit der europäischen Ebene zu verknüpfen. | |
Auch die Bundesregierung und der Steuerzahlerbund beeilten sich, nach dem | |
Kampagnenstart den Blick von Deutschland wegzulenken – hier gebe es ja gar | |
keine Probleme: Man verfüge über einen „solide finanzierten Haushalt“ | |
(Martin Kotthaus, Sprecher Bundesfinanzministerium), „die Steuerquellen | |
sprudeln wie nie zuvor“ (Rainer Holznagel, Präsident Bund der | |
Steuerzahler), ergo: wer „in Deutschland von einer einer gefährlichen | |
sozialen Schieflage“ spreche, verdrehe „böswillig die Tatsachen“ (Hans | |
Michelbach, CDU). | |
Doch will man die Umverteilungsdebatte nähren, muss man sie so anschaulich | |
wie möglich auf die hiesigen Zustände beziehen, statt abstrakt auf die | |
Krise in Europa – und die Widersprüche der „Hier ist doch alles gut“- | |
Erzählung aufgreifen. Material dafür gibt es genug. | |
## Das Geld kommt nicht an | |
Ja, die Arbeitslosenzahlen sind nach wie vor niedrig, die Gewinne der | |
DAX-Unternehmen sprudeln, die Exportüberschüsse wachsen und die Einnahmen | |
bei Finanzämtern und Sozialkassen fallen höher aus als erwartet. | |
Umso seltsamer, dass die BürgerInnen vor Ort von dieser guten | |
Wirtschaftslage nicht profitieren: Schwimmbäder schließen, Universitäten | |
sind überfüllt, Schulen mit Kindern mit sozial schwierigen Hintergründen | |
fehlt Personal, für die Inklusion behinderter Kinder ist gleich gar kein | |
Geld da, öffentliche Einrichtungen wie Sozialtreffs für Jung und Alt werden | |
dichtgemacht, Kulturbudgets gekürzt, Kitas und Pflegeheime sind | |
unterbesetzt, wichtige öffentliche Dienste wie Jugendämter, | |
Steuerverwaltungen oder Nahrungsmittelkontrollen ausgedünnt. | |
Deutlich wird, dass es kein Ausgaben–, sondern ein Einnahmeproblem gibt: | |
Allein durch die rot-grünen Steuerreformen ab 1998 sind dem Fiskus zwischen | |
2000 und 2010 insgesamt rund 300 Milliarden Euro entgangen. | |
Die Finanzkrise ab 2008 hat zudem durch Rettungsaktionen der öffentlichen | |
Hand die Staatsschulden anwachsen lassen: Lag der öffentliche Schuldenstand | |
gemessen am BIP 2007 noch bei 65 Prozent, waren es 2011 bereits über 80 | |
Prozent. Gleichzeitig ist die Schere zwischen Arm und Reich weiter | |
aufgegangen: Heute besitzen in Deutschland die reichsten 10 Prozent | |
Zweidrittel des gesamten Nettovermögens. | |
## Die Mittelschicht | |
Dort, wo auf kommunaler Ebene Einschränkungen aus dieser | |
Umverteilungspolitik von unten nach oben erfahrbar werden, eben auch für | |
die Mittelschicht, kann an die Umfairteilen-Forderungen angeknüpft werden. | |
Auf der Webseite des Bündnisses sieht man: Es gibt bereits in etlichen | |
Städten Bürgerzusammenschlüsse, die diesen Zusammenhang herstellen. | |
Soll die Debatte an öffentlicher Legitimität gewinnen, muss man die | |
Unterstützung der Mittelschicht gewinnen. Chancen dafür gibt es: So | |
befürworten laut einer Forsa-Umfrage 77 Prozent der Bundesbürger eine | |
regelmäßig erhobene Vermögensteuer von einem Prozent auf Vermögen von mehr | |
als eine Million Euro pro Haushalt. Die würde, bei zusätzlichen | |
Freibeträgen für Betriebsvermögen, jährlich rund 20 Milliarden Euro in die | |
Kassen spülen. | |
Ganz andere Beträge kämen bei einer einmaligen Vermögensabgabe zusammen: | |
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet vor, dass bei | |
hohen Freibeträgen (250.000 Euro pro Einzelperson, 100.000 Euro für jedes | |
Kind, 5 Millionen Euro für Unternehmensvermögen) 2,3 Billionen Euro als | |
Bemessensgrundlage übrig blieben. Erhebt man darauf eine 10-prozentige | |
Vermögensabgabe, streckbar auf mehrere Jahre, kommen rund 230 Milliarden | |
Euro zusammen. Betroffen davon wären rund 4,4 Millionen Personen – die | |
reichsten 8 Prozent der Bevölkerung. | |
Es geht also nicht darum, der Mittelschicht Häuser und Ersparnisse | |
wegzunehmen, sondern darum, die Superreichen wieder angemessen an der | |
Finanzierung des Gemeinwesens und an den durch die Krise entstandenen | |
Extrakosten zu beteiligen. Nur wenn man darüber aufklärt, kann man die | |
Zustimmung der Mittelschicht für eine Umverteilung gewinnen – und auf | |
Verständnis für eine gleichfalls notwendige Erhöhung des Spitzensatzes der | |
Einkommensteuer hoffen. | |
## Unsinn Schuldenbremse | |
Wichtig ist dabei auch, über die Schuldenbremse aufzuklären. Denn sie lenkt | |
das Augenmerk einseitig auf die Ausgabenseite. Da wir alle unseren Kindern | |
keine Schulden hinterlassen wollen, dürfen wir an das Ausgeben gar nicht | |
mehr denken, lautet die vermeintliche Logik der Generationengerechtigkeit. | |
Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Sozialsysteme kosten zwar heute | |
Geld. Sie zahlen sich aber monetär und gesellschaftlich für nachfolgende | |
Generationen aus. Sie bewahren sozialen Frieden und gesellschaftlichen | |
Zusammenhalt, auf die wir nicht verzichten wollen – und auch gar nicht | |
müssen. Denn die gesellschaftlichen Brüche verlaufen nicht zwischen den | |
Generationen. Sondern quer durch sie hindurch, entlang der | |
Vermögensverteilung und daran geknüpfter Interessenpolitik. | |
Die Initiative Umfairteilen hat einen Anfang gemacht. Getragen wird sie von | |
Wohlfahrtsverbänden, Attac, Bürgerinitiativen und den Gewerkschaften Ver.di | |
und GEW. Es braucht aber das Gewicht einer Facharbeiter-Gewerkschaft wie | |
der IG Metall, mutigere Grüne und eine unzweideutige SPD. Letztere müsste | |
sich eingestehen, dass sie mit ihrer Stimme für die Schuldenbremse der | |
Umverteilungsdebatte und der deutschen Gesellschaft einen Bärendienst | |
erwiesen hat. Und diesmal darf es nicht so lange dauern wie bei Hartz IV. | |
24 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Eva Völpel | |
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