| # taz.de -- Gewalt in Berliner Südosten: Rechte kleben an Johannisthal | |
| > In Johannisthal häufen sich rechte Straftaten. Entwickelt sich der | |
| > beschauliche Ortsteil zu einer rechten Hochburg wie das angrenzende | |
| > Schöneweide? | |
| Bild: Spachteln gegen Nazis: Putzaktion in Johannisthal Anfang August. | |
| BERLIN taz | Die Spuren rechter Umtriebe sind nicht mehr zu übersehen. | |
| NPD-Plakate kleben zu Hunderten an Postkästen, Altkleidercontainern und | |
| Bäumen. Darauf stehen Sprüche à la: „Ist der Ali kriminell – in die Heim… | |
| aber schnell“. Daneben Hakenkreuze oder Gekritzeltes wie „Wir sind wieder | |
| da: SA, SS, Sieg Heil“. | |
| Johannisthal ist eigentlich ein beschaulicher Ortsteil von | |
| Treptow-Köpenick. Die bunten, viergeschossigen Gebäude der in den 1960er | |
| Jahren entstandenen Plattenbausiedlung Johannisthal-Süd werden eingerahmt | |
| von Einfamilienhäusern, von großzügigen Dreigeschossern und dem | |
| Teltowkanal. 20.000 Einwohner hat Johannisthal derzeit, viele sind bereits | |
| im Rentenalter. Mit Neonazis brachte man das Viertel bisher nicht in | |
| Verbindung. Das änderte sich jedoch in den vergangenen Monaten: Seitdem | |
| taucht regelmäßig rechtsextreme Propaganda auf. | |
| Und dabei bleibt es nicht: Vor wenigen Tagen wurde ein junger Mann beim | |
| Entfernen von NPD-Plakaten von einem Vermummten angegriffen. Er bekam ein | |
| brennendes Gas ins Gesicht gesprüht. Ein Passant griff ein. Ende Mai wurden | |
| Jugendliche beim Entfernen von braunen Pamphleten attackiert und von | |
| Rechten durch die Straßen gehetzt. Anzeige erstatteten sie nicht – aus | |
| Angst, ihre Personalien könnten in falsche Hände geraten, wie die taz | |
| erfuhr. | |
| Im Juni traf es sogar Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) sowie den | |
| linken Bezirkspolitiker Hans Erxleben. Beide wurden von betrunkenen Rechten | |
| aus einer Kneipe heraus angepöbelt und beleidigt. Nur die vor Ort anwesende | |
| Polizei – Igel und Erxleben hatten für eine Aktion im Kiez um | |
| Polizeipräsenz gebeten – konnte verhindern, dass die Rechten Steine warfen. | |
| Anfang August verübten Unbekannte einen Anschlag mit Steinen und Böllern | |
| auf das Haus des stellvertretenden Juso-Landeschefs Nico Schmolke. Der | |
| Briefkasten und ein Fenster wurden zerstört. Die Polizei geht von einem | |
| rechten Hintergrund aus. | |
| Das Zentrum für Demokratie hat 2011 bereits 24 rechte Vorkommnisse in | |
| Johannisthal vermerkt, vorwiegend Propagandadelikte. Seit dem späten | |
| Frühjahr registriert das Zentrum einen deutlichen Anstieg in Johannisthal. | |
| Entwickelt sich hier eine zweite Neonazihochburg im Bezirk | |
| Treptow-Köpenick, ein zweites Schöneweide? | |
| ## Nazis in der Kneipe | |
| Gisela H. ist 77 Jahre alt und wohnt seit 1965 im Kiez, Erstbezug. „Mein | |
| Sohn war drei Jahre alt und meine Tochter gerade geboren“, erinnert sich | |
| die Rentnerin, die bis kurz nach der Wende als Technische Zeichnerin | |
| arbeitete. Vor allem Akademiker mit Kleinkindern hätten in den 1960ern in | |
| Johannisthal Wohnungen bekommen. Die Akademie der Wissenschaften, das | |
| DDR-Fernsehen und Synchronstudios waren nicht weit. Wie Gisela H. sind die | |
| meisten geblieben. | |
| „Das Wohnumfeld stimmt, ich kenne alle Nachbarn“, sagt die alte Dame, die | |
| ein elegantes türkisfarbenes Kostüm und eine Perlenkette trägt. Für Politik | |
| interessiere sie sich nicht. Aber dass die Rechten jetzt in der Kneipe „Zur | |
| Sturmecke“ rumsitzen und besoffen durch die Straßen ziehen, das mache ihr | |
| Angst. H. beruhigt sich selbst: „So Alten wie mir“, hofft sie, „werden sie | |
| wahrscheinlich nichts tun.“ | |
| Die „Sturmecke“ ist jene Kneipe, aus der heraus Bezirksbürgermeister Igel | |
| angepöbelt wurde. Ob es ein rechter Treffpunkt ist wie der zwei Kilometer | |
| entfernte „Henker“ in Schöneweide? Yves Müller vom Zentrum für Demokratie | |
| zuckt mit den Achsen. „Wir wissen es nicht. Bisher kennen wir nur diesen | |
| rechten Vorfall dort. Aber die Kneipe müssen wir im Auge behalten.“ | |
| Auch Klaus M. behält die „Sturmecke“ im Auge. Der 74-jährige Rentner wohnt | |
| 400 Meter davon entfernt und hat, wenn er einkaufen geht, seit einigen | |
| Wochen immer einen Spachtel dabei – um die NPD-Propaganda zu entfernen. | |
| „Zumindest wird in der Kneipe rechtes Publikum toleriert“, sagt er. Die | |
| Plakate klebten so fest, „dass es mehrere Tage regnen muss, damit man das | |
| Zeug abkriegt“, sagt der wortgewandte Mann, der sich gegen rechts | |
| engagiert. Viele sind das nicht in Johannisthal. | |
| ## Ohne Senioren geht nichts | |
| Um der wachsenden rechten Präsenz zu begegnen, plant das Zentrum für | |
| Demokratie für September einen runden Tisch mit Vertretern von Parteien und | |
| Kirchen. Aber die meisten Bewohner gehören weder Parteien noch Kirchen an. | |
| „Wir müssen die Leute erreichen, wenn wir nachhaltig etwas ändern wollen“, | |
| sagt Klaus M. Und er weiß, dass mit den „Leuten“ in Johannisthal vor allem | |
| solche gemeint sind, die wie er und Gisela H. zwischen 70 und 80 Jahre alt | |
| sind und seit einem halben Jahrhundert hier wohnen. Ohne Senioren geht | |
| nichts in Johannisthal. | |
| Doch wie schafft man es, sie zu erreichen? Es gebe Computerkurse, | |
| Seniorensportgruppen und vor allem funktionierende Hausgemeinschaften, die | |
| man ansprechen könne, sagt Klaus H. Die Voraussetzungen seien günstiger als | |
| im benachbarten Schöneweide, wo viele frustrierte Langzeitarbeitslose | |
| wohnen, die sich nicht an Rechten störten. | |
| Eine weitere Frage drängt sich auf: In Johannisthal werden durch die | |
| demografische Entwicklung bald viele Wohnungen frei. Wer zieht da rein? „Es | |
| gibt rechte Zuzügler aus Rudow“, sagt Klaus M. „Darum haben wir ja das | |
| Problem.“ Er weiß, dass es schwierig werden wird, weiteren Zuzug zu | |
| verhindern: „Einen Gesinnungstest bei der Wohnungsvergabe kann es ja nicht | |
| geben.“ | |
| Der 21-jährige SPD-Nachwuchspolitiker Nico Schmolke, dessen Haus die | |
| Rechten attackierten, sieht die Situation ein wenig anders. „Die Rechten | |
| sind nicht alle Zugezogene. Manche sind auch in Johannisthal aufgewachsen.“ | |
| Dass man hier nichts erreichen kann, ohne die zahlreichen Senioren | |
| anzusprechen, weiß auch der stellvertretende Juso-Chef. Doch Schmolke | |
| meint, es sei schon was in Bewegung gekommen: Etwa die Kiezspaziergänge im | |
| Mai und Juli, auf denen Bewohner mit Bezirksamt und Antifa rechte | |
| Propaganda entfernten. „Da haben sich Bewohner kennengelernt, die nicht | |
| zulassen wollen, dass hier ein zweites Schöneweide entsteht“, sagt er. | |
| Dadurch fühle man sich nicht mehr so allein. | |
| 26 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Marina Mai | |
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