# taz.de -- Energiewende in Deutschland: Die Revolution steht vor der Tür | |
> Vor einem Jahr wollten in der Bundesrepublik alle die Energiewende. Jetzt | |
> ist der Kampf um die Details einer grünen Stromversorgung voll entbrannt. | |
Bild: Alle wollten die Energiewende haben, aber bezahlen sie will keiner. | |
BERLIN taz | Die Breitseite gegen die Förderung des Ökostroms in | |
Deutschland war gut geplant. Am Tag vor dem heutigen Energiegipfel im | |
Kanzleramt forderte die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) am | |
Montag, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) abzuschaffen und durch ein | |
Quotenmodell zu ersetzen. | |
So könnten die Ausbauziele für Wind-, Biogas- und Solarenergie bis 2020 für | |
nur 7 Milliarden statt knapp 60 Milliarden Euro erreicht werden, hat das | |
Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) für die | |
industrienahe INSM errechnet. „Wir wollen die Energiewende“, sagte | |
INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr. „Aber nicht zu diesem Preis.“ | |
Darum dreht sich die Debatte: Was darf die Energiewende kosten? Wer soll | |
das bezahlen? Und wie sollen EEG und Energiesystem umgebaut werden, um | |
Deutschland bis 2050 mit mindestens 80 Prozent grünem Strom zu versorgen? | |
Was nach Fukushima Konsens war, wird jetzt in seine Einzelteile zerlegt. | |
Der entscheidende Kampf um die Energiewende hat begonnen. | |
Deshalb konterte gestern auch gleich das Ökolager: Der Stromversorger | |
Greenpeace Energy und der Bundesverband Windenergie erklärten, die | |
Verbraucher zahlten über versteckte Steuern und Abgaben deutlich mehr für | |
Strom aus Kohle und Atom als für grünen Strom. Diese | |
„Konventionelle-Energien-Zulage“ belaufe sich nach ihrer Studie „Was Strom | |
wirklich kostet“ auf über 10 Cent pro Kilowattstunde – und sei damit fast | |
dreimal so hoch wie die Ökoabgabe. | |
## Experten aus allen Seiten | |
Von allen Seiten hagelt es derzeit Gutachten und Stellungnahmen zum | |
Energiemarkt: Der Bundesverband Erneuerbare Energien schreibt an einem | |
Gutachten zur Zukunft des EEG. Das Umweltbundesamt tut das Gleiche. Letzte | |
Woche debattierte in Berlin die „Agora Energiewende“ der Mercator-Stiftung | |
vor großem Publikum, wie der Strommarkt der Zukunft aussehen soll. | |
Die Lobbygruppen schlagen jetzt mit gutem Grund ihre Pflöcke ein: Im | |
Oktober wird sich herausstellen, dass die EEG-Umlage wieder einmal steigt, | |
wohl auf circa 5 Cent pro Kilowattstunde. Das wird die Debatte weiter | |
befeuern, ob „die Energiewende ohne Kostenbremse scheitert“ (INSM) – oder | |
ob die EEG-Umlage dafür nicht als Beleg genommen werden könne. | |
Im Herbst will CDU-Umweltminister Peter Altmaier zum Runden Tisch über die | |
EEG-Neugestaltung einladen. Im Bundestagswahlkampf bietet sich das Thema | |
Ökostrom der FDP zur Profilierung an. Wirtschaftsminister Philipp Rösler | |
hat sich bereits für ein Quotensystem starkgemacht. Aber: Quoten führen | |
dazu, dass nur die günstigsten Ökostromquellen angezapft werden. Für | |
Sonnenreflektoren und Offshorewindräder wäre dann Flaute. Letztere aber | |
sollen nach dem jetzigen Energiekonzept der Bundesregierung in Zukunft | |
einen großen Teil des deutschen Stroms liefern. | |
Eines ist allen klar: So wie bisher kann es mit dem EEG nicht weitergehen. | |
Das Gesetz garantiert den Investoren eine Vergütung für 20 Jahre – und | |
garantiert die Abnahme des Stroms. Das war als Anschub und | |
Technologieförderung sinnvoll und erfolgreich, heißt es auch aus Altmaiers | |
Ministerium. Nicht umsonst haben über 50 Staaten weltweit das EEG kopiert. | |
Aber Planung und Finanzierung von einem Viertel des deutschen Stroms, den | |
die erneuerbaren Energien inzwischen liefern, gehe auf diese Art nicht | |
mehr. | |
## Energieministerium nötig | |
Vor allem fehle es an einer Koordinierung zwischen den Ländern, wie eine | |
flächendeckende grüne Stromversorgung aussehen könnte. Bisher planen die | |
Bundesländer fast 70 Gigawatt an Ökostrom – etwa noch mal so viel, wie ganz | |
Deutschland an Strom verbraucht. „Nach der Wahl gibt es hoffentlich ein | |
Energieministerium für diese Aufgabe“, heißt es. | |
Wie der Ökostrom in das deutsche Energiesystem eingebunden werden soll, ist | |
allerdings noch völlig offen. Felix Matthes, Energieexperte des | |
Öko-Instituts, schlägt vor, die starre Förderung des EEG etwa für den | |
Solarstrom zum Teil durch eine Variable zu ergänzen, die sich am Strompreis | |
der Börse orientiert. Nur die „schrittweise Anpassung des bisher | |
erfolgreichen Förderrahmens“ sei eine gute Alternative zum inakzeptablen | |
„Weiter so“ oder zum „radikalen Systemwechsel“. | |
Die Revolution im deutschen Energiesystem steht so oder so vor der Tür. | |
Denn derzeit werden auch konventionelle Kraftwerke kaum gebaut, weil sie | |
sich nicht rechnen. Werden die Erneuerbaren diese Lücke schließen können? | |
Oder baut das Land zwei parallele Infrastrukturen für die Stromproduktion | |
auf, eine grüne, die andere schmutzig? | |
Auch dafür gibt es schon ein Gutachten: Die halbstaatliche „Deutsche | |
Energieagentur“ (dena) hat errechnet, dass trotz Öko-Vollversorgung immer | |
noch für 60 Prozent des deutschen Stroms Kapazitäten aus Kohle- und | |
Gaskraftwerken gebraucht werden. Finanziert hat die Studie der Kohlekonzern | |
RWE. | |
27 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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