Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vier Spitzenkandidaten bei den Grünen: Die 80er-Jahre-Party
> Mit Trittin, Künast, Roth und Göring-Eckardt bewerben sich die ewigen
> Grünen, die schon immer dabei sind, um die Spitzenplätze. Wo sind die
> Jungen?
Bild: Déjà-vu: Das neue und alte Wahlkampfteam der Grünen, hier 2005 in Be…
BERLIN taz | An politischer Erfahrung wird es dem Wahlkampfduo der Grünen
jedenfalls nicht mangeln. Claudia Roth, 57 Jahre, stieß schon 1985 zu den
Grünen. Als Pressesprecherin. Im selben Jahr saß Renate Künast, 56, bereits
im Berliner Abgeordnetenhaus, während Jürgen Trittin, 58, als Fraktionschef
in Niedersachsen reüssierte. Und Katrin Göring-Eckardt, mit 46 Jahren
vergleichsweise jugendlich, gründete 1989 das Bündnis 90 mit.
Wenn man sich die KandidatInnen anschaut, die sich vor dem Länderrat am
Sonntag um die Spitzenplätze für den Bundestagswahlkampf beworben haben,
drängt sich ein Déjà-vu-Erlebnis auf: Es wollen diejenigen nach ganz vorn,
die schon immer da waren. Die Gründergeneration. Die ewigen Grünen.
Dieses Personaltableau steht im Widerspruch zum grünen Selbstbild.
Unkonventionell, frech, ein bisschen frischer als die anderen: Kaum einen
Mythos pflegen die Grünen sorgsamer als das Image der ewigen Jugend. Die
Partei dürfe ihre Klientel in einem Wahlkampf nicht ansprechen, „als sei es
etabliert“, analysierte Jürgen Trittin jüngst. Motto: Bloß nicht spießig
wirken, auch wenn man den ein oder anderen Spießer adressiert.
Bleibt die Frage: Warum fällt es den Grünen so schwer, junge Talente im
Wahlkampf nach vorn zu schieben, die diese Analyse verkörpern? Die Gründe
für die Präsenz der alten Garde sind vielfältig. Und die Jungen, die hinter
vorgehaltener Hand darüber klagen, wehren sich nicht.
## Machtanspruch aus der Biographie
Das Ringen um die Spitzenplätze ist unter den Parteigründern so verbittert,
weil alle einen Machtanspruch aus ihrer Biografie ableiten. Trittin will
seine Karriere mit der Vizekanzlerschaft krönen und endgültig aus dem
Schatten Joschka Fischers heraustreten. Künast ließ sich als
Verbraucherschutzministerin von Bauern anbrüllen – und sieht nicht ein,
sich wegen einer Abgeordnetenhauswahl und nörgelnden Jungrealos
zurückzuziehen. Roth, seit knapp zehn Jahren Parteichefin, will den Lohn
für die Tingelei durch Kreisverbände kassieren. Und Göring-Eckardt sieht
die Chance, wieder mitzuspielen statt Kirchentags-Podien zu moderieren.
Als Lohn der Spitzenkandidatur winkt ein attraktives Amt: „Der Platz im
Spitzenteam ist ein Startvorteil, wenn es 2013 im Regierungsfall um
Ministerämter geht“, sagt Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen.
Wenn man nun mit Grünen aus der Fraktion und aus den Ländern spricht, warum
sich immer noch die Gründergeneration diesen Anspruch sichern kann, hört
man eine Antwort immer wieder. „Die drei sind noch nicht alt“, sagt Tarek
Al-Wazir, Fraktionschef in Hessen. „Die Grünen erlaubten damals sehr jungen
Menschen einen schnellen Aufstieg.“ In der Tat ist Ende 50 für
Spitzenpolitiker kein Alter: Den Evergreens stehen bei der Konkurrenz mit
Angela Merkel, 58, Frank-Walter Steinmeier, 56, oder Peer Steinbrück, 65,
ähnliche Alterskohorten gegenüber.
Die Mechanismen des Machterhalts ähneln sich ebenso. Auch Grünen-Chefs
haben kein Interesse an fähiger Konkurrenz. Die Klage, dass in der
Bundestagsfraktion unter Trittin und Künast die Nachwuchsförderung zu kurz
kommt, hört man immer wieder. Nach dem Wahlkampf 2009, bei dem Trittin und
Künast an der Spitze standen, fiel die Besetzung des Fraktionsvorstands
konventionell aus – Altgediente wie Bärbel Höhn oder Fritz Kuhn bekamen den
Zuschlag, jüngere Talente wie der Finanzexperte Gerhard Schick, 40, blieben
außen vor. Erst vor einem halben Jahr durfte die ehrgeizige
Wirtschaftspolitikerin Kerstin Andreae, 43, aufrücken. „Es ist die Aufgabe
der Führung, zu ermöglichen, dass sich neue Ideen jenseits alten Denkens
entwickeln können“, sagt sie. „Und dass Platz gelassen wird für neue
Leute.“
## Sture Alte, zögerliche Junge
Doch nicht nur die sturen Alten sind schuld an dem schleppenden
Generationswechsel, mindestens ebenso verantwortlich sind die zögerlichen
Jungen.
Parteichef Cem Özdemir, 46, tritt an diesem Montag in der Berliner
Geschäftsstelle ans Mikrofon – für das übliche Statement nach der
Vorstandssitzung. Als ein Reporter nach der Urwahl fragt, schmunzelt
Özdemir. „Ich werde mich nicht öffentlich zu den Kandidaten äußern. Das
wäre nicht fair.“ So sieht sich Özdemir in dem Gerangel, aus dem er sich
früh zurückgezogen hat. Als ausgleichende Kraft, als Moderator, der über
dem Hickhack steht.
Vielleicht ist es tatsächlich Özdemirs einziger Wunsch, in den Bundestag zu
kommen und Parteichef zu bleiben. Doch wahrscheinlicher ist, dass er sich
in diesem Rennen den Sieg einfach nicht zutraut. Weil er weiß, dass er
gegen Trittin keine Chance hätte. „Er wäre dumm, in eine Schlacht zu
ziehen, die er nicht gewinnen kann“, sagt ein Realo.
Ebenso wie Özdemir wollten auch andere profilierte Köpfe des
realpolitischen Flügels den Kampf um die Spitzenplätze nicht austragen.
Al-Wazir oder Palmer, beide brillante Rhetoriker, wären in einer Urwahl
ernstzunehmende Kandidaten. Doch Al-Wazir sagt: „Es hat eine Logik, das man
erst den Job zu Hause erledigt. Meiner ist es, die hessischen Grünen 2013
in die Regierung zu führen.“ Auch Künast und Trittin hätten in den Ländern
angefangen.
## Versagen des Realoflügels
Dabei ist die Ironie, dass es auch am Versagen des Realoflügels liegt, dass
neben den alten Haudegen kein frisches Gesicht installiert wird: Führende
Vertreter hatten im Frühjahr Trittin die alleinige Spitzenkandidatur
angetragen und sich gegen eine Teamlösung ausgesprochen. Die Grünen müssten
personell zuspitzen, war ein Kalkül. Gleichzeitig wollten manche der
Realo-Frontfrau Künast signalisieren, dass sie nach ihrem Desaster 2011 in
Berlin als Spitzenkraft nicht mehr infrage käme.
Doch die Strategen hatten sich verschätzt: Roth durchkreuzte diese
Überlegungen, indem sie ein quotiertes Duo durchsetzte und selbst antrat.
Auch die hartgesottene Künast bewarb sich.
Während in einem Team jüngere Leute wie Andreae, Palmer oder Al-Wazir
zumindest in der zweiten Reihe denkbar gewesen wären, scheidet dies nun
aus. Der Generationswechsel wurde verschoben. Palmer sagt: „Wenn Rot-Grün
2013 doch keine Mehrheit schafft und wir wieder auf der Oppositionsbank
landen, wird es eine Dynamik geben, die zu einem Wechsel in der
Führungsspitze führt.“
29 Aug 2012
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## ARTIKEL ZUM THEMA
Urwahl bei den Grünen: Künasts Überlebenskampf
Für Renate Künast geht es in der Urwahl um ihre politische Zukunft. Sie
tingelt durch Kreisverbände, um ihr Wahldesaster vergessen zu machen.
Vor der Urwahl zur Spitzenkandidatur: Was die grüne Seele will
Die „Seele“ der Grünen ist wichtig – gestreichelt und personifiziert wird
sie von Claudia Roth. Oder ist das etwa gar nicht mehr so?
Kommentar Grüne Urwahl: Grüne lernen von den Piraten
Die Wähler wollen mitreden, Transparenz ist ein Zauberwort. Dass die Grüne
Basis ihre Spitze jetzt selbst wählen kann, geht völlig in Ordnung.
Abstimmung über Spitzenkandidaten: So funktioniert die Urwahl
Wie die Abstimmung verlaufen soll und warum dieses Instrument so ganz neu
nicht ist: Bei der SPD wurde so 1993 Rudolf Scharping zum Parteichef.
Urwahl der Spitzenkandidaten: Grüne gehen an die Urne
Der grüne Länderrat beschließt, 59.000 Mitglieder über die
Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl abstimmen zu lassen. Das Ergebnis soll
im November feststehen.
Der Aufstieg Jürgen Trittins: Der Evergreen
Jürgen Trittin, der mächtigste Grüne, will seine Partei 2013 im Wahlkampf
anführen. Dabei bekommt er jetzt Unterstützung von seinem Wegbegleiter
Gerhard Schröder
Jürgen Trittin zum grünen Wahlkampf: „Rebellisch“ gegen Merkel
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kündigt einen aggressiven Kurs im
Wahlkampf an. Damit dürfte er vielen Grünen aus dem Herzen sprechen.
Grünen-Gutachten zu Energiepreisen: Drei Milliarden Euro zu viel
Von sinkenden Einkaufspreisen profitiert nur die Industrie, nicht der
Privatkunde, so eine Studie. Der Umweltminister prognostiert sogar noch
weitere Preissteigerungen.
Grünen-Vorstand will Urwahl: Die Basis darf ran
Eine Urwahl zur Spitzenkandidatenfrage liegt auf der Hand, sagt Parteichef
Özdemir. Mit dem Beschluss bügelt der Vorstand die Idee einer Teamlösung
von Göring-Eckardt ab.
Claudia Roth kandidiert für Grünen-Spitze: Jetzt ist es offiziell
Eigentlich war schon längst klar, dass Claudia Roth für die Grünen-Spitze
in Bundestagswahlkampf kandidiert. Nun hat sie das offiziell mit einem
Brief an die Basis getan.
Der Castor-Ticker vom Montag: 20 Stunden verspätet im Ziel
Mit großer Verspätung und teurem Polizeieinsatz ist der Castor ins Ziel
gelangt. In drei Stunden hatte die Polizei am Montag 1.200 Blockierer
geräumt. Doch für weitere acht Bauern brauchte sie dann viel länger.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.