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# taz.de -- Kommentar Gesetz zur Sterbehilfe: Es gibt keine Pflicht zu leben
> Das Recht auf Selbstbestimmung muss verteidigt werden. Auch gegen
> Gesetzesvorschläge, die suggerieren, ein Recht auf den Tod sei ein
> Problem.
Die Bundesregierung hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die
Selbstbestimmung am Lebensende einschränkt und in Frage stellt. Die
angeblich liberale Partei FDP macht dabei mit. Ihre Justizministerin hat
[1][den Gesetzentwurf] sogar selbst geschrieben, wenn auch auf Druck aus
der Union.
Formal geht es um die gewerbliche Förderung der Selbsttötung. Nach allem
was man weiß, gibt es bisher aber keine gewerbliche Beihilfe zur
Selbsttötung in Deutschland. In der Schweiz ist sie zwar möglich,
gelegentlich fahren deshalb kranke und lebensmüde Deutsche nach Zürich.
Doch das werden sie auch weiterhin tun. Im Internet kann sich jeder über
die dortige Suizidhilfs-Organisation Dignitas informieren.
Das Gesetz ist daher zunächst nichts anderes als ein symbolisches Gesetz,
das in der juristischen Wirklichkeit nicht viel verändern wird. Was es
dennoch bewirkt, ist eine Klimaveränderung. Plötzlich ist die Rede von
Lücken in dem geplanten Gesetz – so als sei die Selbsttötung ein
Verbrechen, das unter allen Umständen vermieden werden müsse und bei dem es
keinerlei Strafbarkeitslücken für Helfer und Helfershelfer geben dürfe.
Das Gegenteil ist richtig. Die Selbsttötung ist in Deutschland straflos.
Auch die Beihilfe zur Selbsttötung ist keine Straftat. Nur die gewerbliche
Suizidhilfe wird jetzt erstmals strafbar – wenn das neue Gesetz tatsächlich
kommt.
Es ist paradox, dass die konservativen Kritiker des Gesetzes so tun, als
würde hier irgend etwas liberalisiert. Dabei stören sie sich nur daran,
dass die Justizministerin ihren illiberalen Gesetzentwurf leicht entschärft
hat, indem sie Verwandte und Freunde von der Strafdrohung ausnimmt, wenn
sie einem Sterbewilligen die Telefonnummer von Dignitas mitteilen oder ihn
gar in die Schweiz fahren.
## Das Klima kippt schnell
Die Diskussion um das Gesetz zeigt, wie schnell das Klima kippen kann, wenn
liberale Positionen aufgegeben werden. So wie heute gegen die Selbsttötung
agitiert wird, könnte als nächstes die Selbstbestimmung von Patienten am
Lebensende in Frage gestellt werden.
Noch kann jeder Patient selbst entscheiden, ob eine ärztliche Behandlung
fortgeführt wird oder nicht. Und per Patientenverfügung kann er dies sogar
für die Situation festlegen, dass er im Koma liegt. Doch vielleicht wird
bald schon gewarnt, dass dieses Recht auf Selbstbestimmung gefährlich ist,
dass es Patienten zur vorschnellen Aufgabe des Lebens verleiten könne.
Es darf aber keine Lebens- und Leidenspflicht geben. Niemand darf von
Kirchen oder Ärzten gezwungen werden, seinen Verfall bis zum allerletzten
Ende mitzuerleben. Es gehört zur Würde des Menschen, selbst zu entscheiden,
wann er genug hat. Dieses Recht muss verteidigt werden – auch gegen
Symbolgesetze, die den Gedanken salonfähig machen, dass Selbstbestimmung am
Lebensende ein Problem sei.
30 Aug 2012
## LINKS
[1] /Kabinett-billigt-Gesetzentwurf/!100635/
## AUTOREN
Christian Rath
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