# taz.de -- Chef des Umweltamts über Strompreise: „Jetzt nicht hektisch reag… | |
> Neue Regeln für den Industrierabatt beim Ökostrom fordert Jochen | |
> Flasbarth. Der Leiter des Umweltbundesamtes möchte mehr Kriterien als den | |
> Stromverbrauch. | |
Bild: Wunderschöner Ökostrom aus der Steckdose. Und dafür will die Industrie… | |
taz: Herr Flasbarth, die Aufregung über steigende Strompreise wird immer | |
größer. Gleichzeitig werden die Ausnahmen der Industrie von der | |
Ökostromabgabe ausgeweitet, was die privaten Verbraucher weiter belastet. | |
Können Sie das verstehen? | |
Jochen Flasbarth: Die Umlage für den Ökostrom sollte meiner Meinung nach | |
grundsätzlich von allen bezahlt werden, die es ohne Probleme können. Für | |
Ausnahmen muss es klare Kriterien geben. | |
Ist das derzeit der Fall? Befreit ist ja derzeit ein breites Spektrum von | |
Unternehmen – von der Alu-Hütte bis zur Molkerei. | |
Ich glaube, dass es wichtig ist, da sehr genau und differenziert | |
hinzuschauen. Aus Sicht des Umweltbundesamtes ist es richtig, dass durch | |
die Energiewende keine zusätzlichen Anreize geschaffen werden dürfen, | |
Arbeitsplätze abzubauen und Firmen ins Ausland zu verlagern. Das sollte man | |
auch nicht in Frage stellen. Die Frage ist aber, in welchem Umfang diese | |
Abwanderungsgefahr wirklich besteht. | |
Wie ließe sich denn sicherstellen, dass nur wirklich bedrohte Unternehmen | |
entlastet werden? | |
Unsere Empfehlung an die Politik wäre, bei einer Überarbeitung des Gesetzes | |
ein zusätzliches Kriterium festzulegen. Bisher ist nur der Stromverbrauch | |
des Unternehmens entscheidend. Gut wäre es, einen Indikator hinzuzunehmen, | |
der aussagt, wie stark das Unternehmen in den internationalen Wettbewerb | |
eingebunden ist. | |
Wie könnte das aussehen? | |
Man könnte sich beispielsweise an der Handelsintensität orientieren, also | |
dem Anteil der gehandelten Güter am Gesamtangebot der Branche. Das ist | |
allerdings keine einfache Aufgabe, an den Details muss noch gearbeitet | |
werden. Das Ziel muss sein, nur die zu befreien, die es tatsächlich nötig | |
haben – also Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb durch hohe | |
Energiekosten gefährdet sind. | |
Sehen Sie eine Chance, das mittelfristig umzusetzen, oder ist die | |
Industrie-Lobby zu stark? Geschenke, die man einmal bekommen hat, gibt man | |
ja nur ungern zurück … | |
Auch die Wirtschaft müsste ein Interesse daran haben, dass die Gesellschaft | |
die Ausnahmen akzeptiert. Und das gelingt nur, wenn es dafür | |
nachvollziehbare Kriterien gibt. | |
Statt die Ausnahmen zu reduzieren, sind sie – noch unter dem vorigen | |
Umweltminister Norbert Röttgen – auf kleinere Unternehmen ausgeweitet | |
worden. Sollte das rückgängig gemacht werden. | |
Ich rate davon ab, jetzt hektisch zu reagieren, das tut niemandem gut. Aber | |
man muss genau beobachten, ob die Befreiung jetzt zu weit gefasst ist. | |
Um Schienenverkehr zu fördern, sind auch Verkehrsbetriebe von der Ökoabgabe | |
befreit. Ist das noch sinnvoll? | |
Der Schienenverkehr ist im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern in vieler | |
Hinsicht benachteiligt. Solange sich daran nichts ändert, scheint mir diese | |
Ausnahme berechtigt. Langfristig sollte aber das Ziel sein, jedem | |
Verkehrsträger seine wahren Kosten anzurechnen. | |
Insgesamt wird die Energiewende derzeit vor allem von der Kostenfrage | |
dominiert. Ist die Fixierung auf „bezahlbare Strompreise“ rational? | |
Ich glaube, dass diese einseitige Betrachtung eine Menge Vorteile der | |
Energiewende ausblendet: einerseits die positiven Impulse für die | |
Volkswirtschaft, die neuen Jobs, die Innovationen. Andererseits aber auch | |
die langfristigen Effekte: Während Kohle und Atom hohe Kosten auf die | |
nächsten Generationen übergewälzt haben, sorgen wir mit den derzeitigen | |
Investitionen in Erneuerbare dafür, dass künftige Generationen sichere und | |
preiswerte Energie zur Verfügung haben. | |
Was lässt sich dagegen tun? | |
Ohne die Herausforderungen und Probleme klein reden zu wollen: Mehr über | |
die positiven Aspekte zu reden, würde uns gut tun. | |
30 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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