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# taz.de -- Kolumne Lidokino: Überall Narzissen
> Alles wird gefilmt und kommt danach ins Netz. Xavier Giannolis seziert in
> seinem Film „Superstar“, wie Berühmtheit heute funktioniert.
Bild: Regisseur Wang Bing in Venedig.
Ein berühmtes Juwelierunternehmen lässt mir eine E-Mail zukommen, in der en
détail aufgelistet wird, welche Schmuckstücke Kate Hudson am Mittwochabend
auf dem Roten Teppich vor dem Palazzo del Cinema trug: ein Paar Ohrringe,
einen Armreifen und einen Ring aus Silber und 18-karätigem Gold, besetzt
mit insgesamt 3.502 weißen Diamanten.
Eine Win-Win-Situation: Die Schauspielerin, die in Mira Nairs „The
Reluctant Fundamentalist“ eine Nebenrolle hat, freut sich am Funkeln der
Edelsteine, das Unternehmen daran, dass Hudson für es wirbt, die Galas und
Bunten dieser Welt haben etwas zu berichten, und ich habe einen Einstieg in
diesen Text.
Letzteres deshalb, weil es in dem französischen Wettbewerbsbeitrag
„Superstar“ von Xavier Giannoli eine verwandte Szene gibt: Ein junger
Modedesigner bittet einen Celebrity, in einer Fernsehshow von ihm
entworfene Kleidung und Accessoires zu tragen. Anders als Kate Hudson lehnt
der berühmte Mann ab, so wie er es überhaupt ablehnt, ein Star zu sein.
Der Ruhm überfällt diesen Jedermann Mitte 40 eines Morgens in der Metro.
Wie aus dem Nichts wird er von den anderen Fahrgästen angesprochen,
fotografiert, um Autogramme gebeten und gefilmt. Es sind Fans, und sie
kennen seinen Namen – Martin Kazinski. Es dauert keine zwei Minuten, bis
die Fotos und Filme im Netz sind, und noch einmal zwei Minuten später kann
dieser Mann, gespielt von Kad Merad, keinen Schritt mehr gehen, ohne von
Fotografen, Reportern und Passanten behelligt zu werden. „Pourquoi?“, hält
er dem naiv entgegen, „warum?“ Eine Antwort findet er nicht, stattdessen
wird das Fragewort bald zu seinem Markenzeichen.
„Superstar“ versucht die Mechanismen, die Medien und die Technologien zu
sezieren, mit deren Hilfe Berühmtheit heutzutage funktioniert. Da sind die
Smartphones, die alles filmen und fotografieren, da ist das Netz, das die
Vorstellung von Privatheit im Handumdrehen zersetzen kann, indem es jeden
Furz publik macht, da sind die Talkshows, die Schwätzern eine Bühne bieten,
und da sind die Journalisten, die es einmal besser machen wollten, sich
aber nicht lange zieren, wenn sie sich zwischen Idealen und Quote zu
entscheiden haben.
Klingt kulturkritisch? So ist es von Giannoli sicherlich gedacht. Gerade
dass der Held ein durch und durch gewöhnlicher Mensch ist, befähigt ihn zur
Berühmtheit – denn in seiner Gewöhnlichkeit erkennt das Publikum sich
selbst wieder, sodass es sich keiner Differenz aussetzen muss. Nichts
stellt sich seinem Narzissmus in den Weg. Und jeder Versuch Kazinskis, aus
dem System auszubrechen, läuft ins Leere, weil sich Widerstand umstandslos
in die Wertschöpfungskette einspeisen lässt – genauso wie affirmative
Überbietung.
Dabei hat Giannoli das Problem, dass er die Form der Bildproduktion, die er
zur Debatte stellt, recht unverblümt reproduziert. Die Hysterie der
Talkshows, die Banalität von Handybildern, der Hochdruck, mit dem die
Paparazzi ans Werk gehen: all dies ist Teil der mise-en-scène. „Superstar“
sucht keine ästhetische Alternative zur Welt des Infotainments. Vielleicht
ist das nur konsequent. Unheimlich ist es aber doch, wenn nach der
Vorführung in der Sala Darsena für ein paar Momente das Geräusch
aufbrandet, das einem in Giannolis Film das Fürchten lehrt: frenetischer
Applaus.
31 Aug 2012
## AUTOREN
Cristina Nord
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