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# taz.de -- Tacheles 1: Die Gebliebenen: Der Kampf ist aus
> Er macht am Ende das Licht aus: Martin Reiter, der letzte Vorstand des
> Tacheles-Vereins, will sich nicht mehr wehren.
Bild: BesucherInnen am 11. August vor dem Tacheles.
Wenn Martin Reiter dieser Tage die Treppen im Tacheles hoch-und runtereilt,
tut er es allein. Keine fünf Wochen ist es her, da musste sich der
49-Jährige mit den langen, angegrauten Locken durch Touristen drängeln.
Jetzt sind nur noch ab und an einige Künstler im düsteren, vollgekritzelten
Treppenhaus zu sehen. Meist tragen sie Kisten mit ihren Habseligkeiten aus
dem Haus.
Das Bauamt hat das Gebäude gesperrt, wegen Brandschutzmängeln, nach Anzeige
des Zwangsverwalters. Der will am Dienstag räumen. Komplett. Seit Monaten
kauft ein Anwalt Künstler aus dem Haus, die anderen verloren im Juni vor
Gericht. Ein gutes Dutzend Mal sollte schon geräumt werden, seit 1990 ein
paar Künstler die Kaufhausruine besetzten und das Tacheles, wo zur
Hochphase hundert Menschen malten, hämmerten und feierten, zur Institution
der Berliner Offkunst wurde, zum Freiraum schlechthin. Als Millionen
Berliner und Touristen kamen und irgendwann nur noch Touristen. Diesmal ist
es ernst.
Jahrelang predigte Martin Reiter Durchhalteparolen, in breitem Wienerisch
und nicht ohne Selbstdarstellung. 1993 war er ins Tacheles gekommen,
bastelte Roboter, wurde zum Vorstand, zum letzten. Weil danach im bis aufs
Handgreifliche verstrittenen Verein keine gültige Wahl mehr zustande kam.
Reiter klagte gegen die Räumung, drohte mit Hungerstreik, feilschte mit der
Politik, träumte von einer Stiftung, die das Haus kaufen könnte. Jetzt
kämpft er nicht mehr.
Das Tacheles – es ist wieder Ruine. Sicherheitsleute patrouillieren durchs
Haus, ganze Etagen haben sie abgesperrt. Nur im Erdgeschoss öffnen noch
zwei Läden mit selbstbedruckten T-Shirts und Postkarten, in der Ecke
rattert ein Generator. Strom gibt es schon länger nicht mehr.
Auf dem Bürgersteig klappen Südamerikaner kleine Tische auf,
selbstgefertigte Ohrringe und Ketten, ein Mann trommelt holprig. Hinter
ihnen gab es mal einen Durchgang zum Hof des Tacheles – seit anderthalb
Jahren steht hier eine Mauer. In der vergangenen Woche haben die
Sicherheitsleute auch noch die Stände zerlegt, die davor standen. Vor dem
Treppenhaus sitzt ein Mann und vertröstet Touristen, die immer noch
scharenweise ins Haus wollen.
Martin Reiter und die anderen Künstler dürfen vorbei. Aber das Tacheles ist
fast leer. Im dritten Stock, am Ende eines dunklen Flurs, sitzen ein paar
Schmuckbastler, zwei spielen Schach. Reiter huscht weiter über die breiten
Treppen, ins oberste Stockwerk. Auf dem überdachten Balkon zeigt er, fast
erleichtert, ein großes Bild, eine Landschaft ineinander verschlungener
Tiere. Der Weißrusse Alexander Rodin male gerade daran. Der letzte größere
Name im Haus. Dann blickt Reiter nach unten, wo im Hof eine Handvoll
Künstler an Metallskulpturen werkelt, eingezäunt, nur über Schleichwege zu
erreichen. Das Ende des Tacheles, sagt er, sei ein Verlust für die Stadt,
nicht für die Künstler. Er werde schon einen Platz finden. „So wie alle
anderen, die ein Thema haben. Wer keins hat, war vielleicht kein Künstler.“
## Schlüssel für Wowereit
Bereits vor Wochen hatten die Tacheles-Leute aufgegeben, symbolisch einen
Schlüssel ihres Hauses an Klaus Wowereit geschickt. Der Regierende
Bürgermeister und Kultursenator in Personalunion verweist nur noch auf den
Denkmalschutz und den Bebauungsplan, der eine Kunstnutzung des Hauses
festschreibt. Von den jetzigen Nutzern spricht er schon lange nicht mehr.
Reiter hält sich mit seiner Enttäuschung nicht bei Wowereit auf. Das ganze
System sei erledigt. Die Politik habe längst die Macht an die Banken
abgegeben. Im Fall Tacheles ist es die HSH Nordbank. Seit der Insolvenz
einer Immobiliengruppe des Adlon-Besitzers Anno August Jagdfeld
zwangsverwaltet sie das Haus. Eigentlich eine Steilvorlage: Banker gegen
Anarchokünstler. Doch nicht mal zum Widerstandssymbol der Verdrängten
reichte es mehr, zu abgenabelt war der Tacheles-Kosmos schon.
Ein Mann mit langen, blonden Haaren, Anfang vierzig, der sich als Sturmius
vorstellt, gesellt sich zu Reiter. Straßenkünstler sei er, sagt er, seit
vier Jahren im Tacheles. Vielleicht sei noch nicht alles vorbei, man habe
doch ein Konzept, eine Universität für freie Kunst, könne das sofort
umsetzen. Reiter lehnt auf dem Geländer, hört schweigend zu. Dann schüttelt
er langsam seine Locken: „Man muss auch wissen, wann man verloren hat.“
Unten knipsen immer noch Touristen die Ruine. Gegenüber schiebt das
indische Großrestaurant die Heizpilze raus, ein Cabrio hält davor. Für das
Tacheles hat man hier keinen Blick mehr.
31 Aug 2012
## AUTOREN
Konrad Litschko
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