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# taz.de -- Räumung des Tacheles in Berlin: Am Ende bleibt es still
> „Irgendwann haben sich die Leute verschlissen“, sagt ein ehemaliger
> Besetzer des Berliner Tacheles. Nach 22 Jahren ist die Bauruine geräumt
> worden.
Bild: Zwei Polizisten versperren am Dienstag eine Tür des Kunsthauses Tacheles.
BERLIN taz | Um 6.30 Uhr an diesem Dienstagmorgen steht Martin Reiter noch
einmal auf dem Balkon, oben in der fünften Etage des Kunsthauses. Die
langen Locken fallen dem 49-Jährigen auf die schwarze Motorradjacke, die
Morgensonne lugt übers Dach. Die Nacht, die letzte, hat Reiter mit zwei
Freunden hier oben verbracht, in der riesigen Dachetage, in der bis vor
kurzem noch der Weißrusse Alexander Rodin an Großgemälden gearbeitet hat.
Reiter blickt vom Balkon nach unten, wo noch ein paar Metallskulpturen
stehen, vom Zwangsverwalter eingezäunt. „Tja“, sagt Reiter. „Das war’s…
Anderthalb Stunden später steht Reiter, seit 1993 dabei und letzter
Vorstandschef, auf dem Bürgersteig und reicht dem Gerichtsvollzieher die
Hand. Übergibt ihm seinen Schlüsselbund, klemmt sich ein Schild unter den
Arm, eine geballte Faust darauf, und geht. Raus zu den rund 50
Unterstützern, die schweigend die Szene verfolgen. Berlin habe versagt,
improvisiert Reiter eine Rede. „Hier wird Kunstraub unter Polizeischutz
betrieben.“ Der Regierende, SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit, solle
zurücktreten. „Schönen Tag noch.“ Es ist das Ende des Kunsthauses Tachele…
Es ist mehr als das.
Eine Handvoll Künstler besetzte im Februar 1990 die zur Sprengung
vorgesehene fünfstöckige Kaufhausruine in Berlin-Mitte. Es ist die wilde
Zeit der Wendejahre, fast alles geht. Bald malen, werkeln, hämmern 100
Künstler im Haus, Autodidakten fast alle. Es gibt ein Theater, einen Club
im Keller, ein Kino unterm Dach, Partys im Hinterhof. Alles dreckig,
schräg, unangepasst, schwärmen Hiesige wie Reiseführer. Berlin!
## Fast wie früher
Montagnacht, die letzten Stunden vor der Räumung, ist es noch einmal fast
wie früher. Im Welturlaub, dem Künstlerladen im Erdgeschoss, klimpert ein
Mann auf einem verstimmten Klavier. Eigentlich seit fünf Wochen wegen
Brandschutzmängeln für Besucher gesperrt, steht auch die Tür zum
Treppenhaus plötzlich offen. Mutige Touristen tasten sich ins Dunkel vor.
Den Strom hat der Zwangsverwalter schon lange abgestellt, Wasser noch
früher. Im Treppenhaus beleuchten Teelichter flackernd unzählige
Graffitischichten. Die Besucher leuchten mit ihren Handys in leer geräumte
Ateliers, auf liegengelassene Farbtöpfe, umgeworfene Stühle, zerbeulte
Kartons. Aus den Fenstern lehnen Altbesetzer und unterhalten sich über die
Neunziger.
Im ersten Stock sind es ein Fotograf und ein Theatermann, der eine verließ
1997 das Tacheles, der andere 1998. Ihre Namen wollen sie nicht sagen, das
will an diesem Abend fast keiner.
„Weißte noch“, sagt der Fotograf. „Als die Griechen kamen, einfach rein …
den Theatersaal und losgespielt?“
„Mhm“, murmelt der Theatermann.
„Als wir hinten im Hof saßen, mit dem Investor, Jagdfeld und seiner Frau,
den ganzen Abend. Und am nächsten Morgen gab’s die Mietverträge?“
„Ja, wie sagt man: Sommer der Anarchie. Das gibt’s nicht wieder.“
„Irgendwann haben sich die Leute verschlissen. Maßlose Selbstausbeutung.“
„Und dann kamen die anderen Interessen“, sagt der Fotograf. „Die Kneipe,
die Kohle, die Souvenirs.“
„Nee, ist vorbei hier“, nickt auch der Theatermacher. „Hat seine Geschich…
gehabt. Punk biste auch nicht dreißig Jahre.“
## Wenig vom Jetzt
Es ist viel von früher zu hören in dieser Nacht. Wenig vom Jetzt. Die
Berliner haben das Haus schon länger den Touristen überlassen. Nachdem sich
der Künstlerverein heillos zerstritten und gegenseitig verklagt hatte.
Nachdem er mehr und mehr auf Mitbringsel und Pubcrawls setzte. Das Land
stellte schon 2002 seine Förderung ein: eine Programmentwicklung sei „nicht
mehr erkennbar“. Und auch die Reiseführer änderten ihren Ton. „Trauriges
Überbleibsel einer an sich selbst und am Kommerz gescheiterten
Künstlerkolonie“, heißt es heute im Reiseverlag.
Ein junges Touristenpärchen, das sich in dieser Nacht bis in die vierte
Etage durchgeschlagen hat, ist dennoch begeistert. Morgen werde geräumt,
erklärt ihnen Martin Reiter. „Oh, wow!“ Sobald die Polizei komme, werde man
gehen. Man sei ja schließlich Künstler, nicht Krawallmacher. Reiter dreht
ab, verschwindet ins düstere Treppenhaus. „Great“, tuscheln die beiden
Besucher. „Great people.“
Eine Etage tiefer huscht eine hagere Gestalt durch die verwaiste
Siebdruckerei, nimmt Poster ab, rollt sie zusammen. „Das ist auch so ein
Ding, dass man von der Räumung nicht früher erfährt“, sagt der Mann. Seit
Strom und Wasser abgedreht gewesen seien, hätte er hier nicht mehr arbeiten
können. Und trotzdem Miete gezahlt, 200 Euro, an den Künstlerverein.
Er sei ins Tacheles gekommen, weil er dachte, das werde noch was Großes.
Stattdessen habe der Streit im Verein alles gelähmt. Und das Desinteresse
der Politik. Der Mann fährt mit dem Finger die Wand entlang, auf einer
Reihe Poster. Die Tacheles-Monatsplakate, Kunstdrucke mit
Programmankündigungen. Sein Finger bleibt auf Juni 2003 stehen. „Mein
erstes Plakat.“ Häusersilhouetten sind darauf zu sehen und Geldsäcke.
„Wegen der steigenden Mieten.“ Damals schon.
## Der Wert steigt
In der Berliner Stadtmitte gibt es nur noch eine Großbrache – die um das
Tacheles herum. Auf 35 Millionen Euro taxierten die Gerichte bisher das
Areal. Jetzt, ohne die Künstler, steigt der Wert. Schon vor Monaten kaufte
ein Anwalt Künstler aus dem Haus heraus, gegen Abfindungen, teils in Höhe
von mehreren hunderttausend Euro. Gegen andere wurde geklagt, von der HSH
Nordbank, seit 2007 Zwangsverwalterin einer pleitegegangenen
Immobiliengruppe des Grandhotel-Besitzers Anno August Jagdfeld.
Die Künstler, am Ende noch 40 an der Zahl und vorher mit symbolischen
Mietverträgen zu 50 Cent ausgestattet, wurden wieder zu Besetzern. Doch der
Versuch, noch einmal zum Symbol zu werden, diesmal im Widerstand gegen
Verdrängung, misslang. Zu abgekapselt war das Tacheles da schon vom Rest
der Stadt. Stattdessen übernahmen mehr und mehr die bulligen
Sicherheitsleute das Kunsthaus, sperrten Etagen ab, bauten im Torbogen eine
Mauer und installierten obendrauf Kameras.
Auf dem Bürgersteig vor dem Tacheles sitzen gegen Mitternacht noch sechs
Leute auf Holzstühlen und schweigen. Udo etwa, ein kleiner Mann mit
Lederjacke, der vor zwei Jahren im Tacheles sein Schlagzeug aufbaute. Und
blieb. Oder ein Österreicher, der sich Mic Mikina nennt, ein Freund des
Hauses, wie er sagt, zurückgekämmte Haare, Steppweste. Ruhig schimpft
Mikina, über den Umgang mit dem Tacheles, einem „Bürgerkriegsszenario in
zivilem Gewand“.
Die bunten Lichter, das Stimmengewirr, das Lachen, längst auf die andere
Straßenseite hinüber gewandert. Zu den Cocktailbars und Großrestaurants,
welche die Straße ums Tacheles pflastern. Aus der Kunstruine ist das Leben
gewichen, die Flure sind verwaist, auch im Hinterhof ist das Licht
erloschen. Um zwei Uhr zieht auch Martin Reiter, oben im fünften Stock, die
Tür hinter sich zu.
## Verlust für Berlin
Kein rauschendes Fest zum Abschied. Dinge müssen auch enden, sagt Reiter.
Den Verlust habe Berlin, nicht die Kunst. Die werde weitergehen, woanders.
Für Reiter künftig in Neukölln, in einer alten Brauerei, im Berliner
In-Bezirk, den Künstler schon vor Jahren für sich entdeckten.
Am Dienstagmorgen legt Reiter dennoch im Tacheles Unterschriftenlisten auf
die Stufen des Treppenhauses. 220.000 Menschen hätten für die Rettung des
Kunsthauses unterschrieben, sagt er. Diese dürfe der Gerichtsvollzieher
jetzt mit Füßen treten. Doch statt Tausenden stehen an diesem Morgen nur
etwa fünfzig vor der Tür. „So wenig Leute“, murmelt eine Frau, erschrocke…
„Kapitalistenschweine“, ruft ein anderer. Die Unterstützer bilden eine
Menschenkette. Die Polizei, mit gerade mal zwei Mannschaftswagen gekommen,
lassen sie passieren.
Alexander Rodin, der Weißrusse, seit zwölf Jahren im Tacheles, hat sich in
eine Fantasieuniform geworfen, schwarzer Mantel, als Lanze eine
Gartenfackel. Er könne das nicht verstehen, sagt er, immer wieder. Statt
Kunst werde hier jetzt wohl ein Kaufhaus entstehen. „Ein Kaufhaus! Nicht
mal in Minsk würde das jemanden begeistern.“
Neben Rodin sitzen vier Jungpunks auf dem Boden. Das Berlin schon wieder
einen Freiraum verliere, sei scheiße, sagen sie. Ob sie vorher im Tacheles
waren? „Eigentlich nicht.“ Ein Opa mit Hut klaut sich von einem Ständer ein
paar letzte Postkarten vom Kunsthaus. Dann ist das Tacheles Geschichte. Und
das Anarcho-Berlin der Neunziger auch.
4 Sep 2012
## AUTOREN
Konrad Litschko
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