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# taz.de -- Fürsorglicher Staat: Kein Jugendlicher soll verloren gehen
> In Hamburg erfasst neue Jugendberufsagentur alle Schulabgänger, um sie in
> Ausbildung zu bringen. Sozialarbeiter kritisieren Konzept als einseitig.
Bild: So wünscht es der Hamburger Senat: Nach der Schule zum Bewerbungstrainin…
HAMBURG taz | Die Sache klingt gut. Unter dem Motto „Keiner darf verloren
gehen“ eröffnen heute in Hamburg Mitte und Harburg die ersten zwei von
insgesamt sieben „Jugendberufsagenturen“ (JBA). Dort sollen Schulabgänger
alle Ansprechpartner unter einem Dach finden – von der Arbeitsagentur übers
Jobcenter bis zur Jugendhilfe. Und die JBA hat stadtweit die Daten aller
Abgänger bis zum Alter von 25 Jahren, schreibt sie an oder sucht sie auf,
um zu verhindern, dass wertvolle Ausbildungszeit durch Jobben oder
Nichtstun verloren geht.
Die JBA gehört zu den wichtigsten Projekten von Hamburgs SPD-Bürgermeister
Olaf Scholz. Sein Versprechen: Jeder soll entweder eine Ausbildung oder die
Fachhochschulreife erlangen. Doch auch wenn die Lage für Bewerber heute
besser ist als früher, hat es eine große Gruppe von rund 7.000 jungen
Hamburgern schwer, einen Berufseinstieg zu finden. 2011 wusste die Stadt
von 1.185 Schulabgängern nicht, was aus ihnen wurde.
Dies soll jetzt anders werden. Schon in der 8. Klasse unterschreiben die
Eltern der Kinder ihr Einverständnis für die Weitergabe der Daten an die
JBA. Bis 25 sind sie dann im Rechner der Berater, die ihnen berufliche
Perspektiven eröffnen sollen.
An dem Vorhaben gibt es Kritik. Für den Austausch der Daten zwischen den
Behörden fehle die Rechtsgrundlage, monierte der Rechtsanwalt Mark Rüdlin
auf einer gut besuchten Veranstaltung im Schanzenviertel. Das Konstrukt,
die Betroffenen einwilligen zu lassen, sei „keine saubere Lösung“.
Jugendliche, die Hartz IV beziehen, seien gar nicht in der Lage, sich zu
verweigern.
„Verfolgungsbetreuung auf dem Weg ins Arbeitsleben“ lautete der Titel des
Abends, bei dem Sozialarbeiter die Sorge formulierten, dass den
Jugendlichen ihre „Zeit des Ausprobierens“ genommen wird. Das knapper
werdende „Gut Jugend“ werde von der Erwachsenen-Gesellschaft vornehmlich
unter dem „Fokus der Verwertbarkeit“ gesehen, warnte die Hochschullehrerin
Marion Panitzsch-Wiebe. Erwartet werde die „zügige Einfädelung in den
Arbeitsmarkt“. Für Jugendliche stünden immer weniger Freiräume und
„gesellschaftliche Übungsfelder“ bereit.
„Das Konzept ist zu einseitig“, kritisiert auch Dirk Hauer vom Diakonischen
Werk. Andere Alltagssorgen wie die Wohnsituation oder Familienprobleme der
Jugendlichen würden zu wenig beachtet. Hauer: „Es geht nur darum, kommen
sie in Arbeit oder nicht.“ Es fehle die Expertise der Kinder- und
Jugendhilfe.
In der Tat werden in der JBA Mitte nur zwei Mitarbeiter der bezirklichen
Jugendberufshilfe tätig sein, die übrigen 105 sind Mitarbeiter von
Arbeitsagentur und Jobcenter. Der Chef der Hamburger Arbeitsagentur, Sönke
Fock, bedauert, das noch nicht wirklich alle unter ein Dach kommen. Die
Jugendberufshilfe nehme so nur eine „Lotsenfunktion“ ein. Es sei gut, dass
die JBA 2013 evaluiert werde, diese sei eine „lernende Organisation“.
Die Kritik, man wolle Jugendliche zu ihren Glück zwingen, weist er zurück.
„Das ist nicht das, was wir meinen“, sagt Fock. „Unser Ziel ist, allen ein
Angebot zu machen.“
2 Sep 2012
## AUTOREN
Kaija Kutter
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