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# taz.de -- Wahl in Niederlanden: „Wir wollen alles genau regeln“
> Die Niederländer wählen: Das Land verlange nach einer Vision, meint die
> Ökonomin Esther-Mirjam Sent. Stattdessen werden nur kurzfristige Lösungen
> angeboten.
Bild: Wartet die Wahl gelassen ab: die niederländische Königin Beatrix.
taz: Frau Sent, zum fünften Mal seit 2002 wird in den Niederlanden
vorzeitig gewählt. Auch sind seit gut einem Jahrzehnt starke Bewegungen auf
dem rechten und linken politischen Flügel auszumachen. Da sind die
Rechtspopulisten und die Sozialisten, die mit ihrem Frontmann Emile Roemer
gut in den Umfragen dastehen. Was ist los in den Niederlanden?
Esther-Mirjam Sent: Es haben große Transformationen stattgefunden. Zum
einen durch die Säkularisierung der Gesellschaft. Die Kirche als sichere
Säule, mit einem Pfarrer, der erzählt, wie wir leben sollen, spielt eine
immer geringere Rolle. Die zweite große Veränderung ist die
Bürokratisierung. In den Niederlanden wollen wir alles immer genau regeln.
Das hat inzwischen extreme Formen angenommen.
Die dritte Veränderung betrifft die Privatisierung. Der Staat hat wichtige
Aufgaben abgegeben, wie die Energieversorgung. Außerdem wird die Welt immer
komplexer. Das macht sich vor allem in einem Land wie den Niederlanden
bemerkbar. Wir haben eine kleine, offene Wirtschaft, mit offenen Grenzen.
Die Summe dieser Entwicklungen ist, dass Niederländer sich entfremdet
fühlen. Sie positionieren sich als Konsumenten anstatt als Produzenten.
Was müsste geschehen, um adäquat auf diese Veränderungen zu antworten?
Bürger müssen sich wieder mitverantwortlich fühlen für die Werte im Land.
Zurzeit haben wir keine klare Orientierung. Das befördert zwei Reflexe. Der
erste ist die Sehnsucht nach vergangenen Tagen. Diesen Reflex findet man am
äußeren Rand des Parteienspektrums wieder, in der PVV und der SP. Die eine
Partei ist sehr rechts, die andere ganz links, aber beide sind konservativ.
Ein zweiter Reflex ist die Hinwendung zu weiteren Regeln. Beides ist
aussichtslos. Wir müssen uns neu definieren und die Bürger müssen aktuelle
Werte mitproduzieren.
Im vergangenen Jahrzehnt waren die Niederlande gut aufgestellt als eines
der reichsten Länder Europas. Niederländische Kinder gehören zu den
glücklichsten weltweit. Doch es herrschte Unzufriedenheit.
Menschen sind zufrieden mit dem eigenen Leben, jedoch unzufrieden mit dem
Land. Wir begreifen noch nicht, wie wir mit den großen Veränderungen
umgehen können. Dieser Zustand wurde begünstigt durch eine negative
Politik. Entscheidungsträger glauben strategisch zu agieren, indem sie
Dinge negativ darstellen.
Am Ende wird es nicht so schlimm ausgehen. Das ist die calvinistische
Volksart. Unsere Ausgangsposition war gut, nun beginnen wir abzugleiten.
Die Arbeitslosigkeit steigt, das Konsumenten- und Produzentenvertrauen ist
angeschlagen. Das Land verlangt nach einer Vision. Wir wollen wissen, wohin
wir steuern und wie unsere Position in der Welt ist. Stattdessen versandet
die politische Debatte in kurzfristigen Lösungen.
Es gibt Wähler, die sich von einfachen Lösungen bei schwierigen Problemen
angesprochen fühlen. Was ist zu tun?
Politiker stellen sich auf ängstliche Wähler ein, statt eine Vision zu
entwickeln. Die Debatte wird viel zu stark durch Angst dominiert.
Problematisch ist außerdem das Menschenbild der Entscheidungsträger: Ein
kühl kalkulierender Homo oeconomicus, der Wahlfreiheit klasse findet. Der
am Computer überlegt, welche Krankenversicherung er nehmen könnte.
Auswählen zu müssen setzt uns unter Stress. Dabei verschwinden Menschen aus
dem Blick, die damit nicht umgehen können, sowie gut ausgebildete, die sich
nicht damit beschäftigen wollen. Politik muss von einem realistischen
Menschenbild ausgehen.
12 Sep 2012
## AUTOREN
Gunda Schwantje
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