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# taz.de -- Sozialisten in den Niederlanden: Praktisch veranlagte Weltverbesser…
> Die Socialistische Partij propagiert seit 40 Jahren die gleichen Ideale.
> Auf einmal hat sie Erfolg. Auf den Spuren ihrer Geschichte.
Bild: Hat Erfolg – nicht nur, wenn er Luftballons aufbläst: Emile Roemer, Sp…
WEERT/OSS taz | Natürlich klappt die Falle zu! Die Diskussion auf dem
Podium dreht sich um Kürzungen des Militärhaushalts, und Jan de Wit,
Vertreter der Sozialisten, hat gerade gesagt, der Kalte Krieg sei schon
länger vorbei und die rote Gefahr nicht mehr sonderlich akut. Da liegt die
billige Pointe zum Greifen nah. Frans Weekers, Kandidat der
wirtschaftsliberalen Regierungspartei VVD, greift zu. „In letzter Zeit“,
wirft er feixend ein, „ist die rote Gefahr doch wieder näher gerückt.“
Es ist Wahlkampf in den Niederlanden. Sprüche dieser Art, Stereotype, die
man mit dem Kalten Krieg verschwunden glaubte, musste sich die
Socialistische Partij in letzter Zeit häufiger gefallen lassen. Wochenlang
führte sie in den Umfragen; jetzt, kurz vor dem Stichtag am 12. September,
ist sie zwar zurückgefallen, doch das beste Ergebnis ihrer Geschichte wird
sie in jedem Fall einfahren.
„Sozialisten“, bringt es Jan de Wit verschmitzt auf den Punkt, „sind nicht
ganz so schlimm wie Mörder. Aber sie sind schlimm genug. Und ein
Portemonnaie kann man ihnen sicher nicht anvertrauen.“ Eine Stunde vor
Beginn der Debatte sitzt de Wit, 67 Jahre alt, mit weißem Haar, dünn
umrandeter Brille und feinen Gesichtszüge, in der Bar des Munttheater im
Städtchen Weert.
Der ehemalige Sozialanwalt aus Heerlen, ganz im Südosten der Niederlande
gelegen, ist von Anfang an dabei. Schon im Oktober 1972, als die SP aus
einer maoistischen Abspaltung der Kommunistischen Partei entstand, ist er
der Partei beigetreten. „Die Idee war, die Welt zu verändern, und zwar
schnell.“
## Ideale und Praxis
Zehn Jahre später zog er als erster SP-Vertreter in den Stadtrat von
Heerlen ein. 1995 übernahm er diese Pionierrolle im Senat, seit 1998 sitzt
er im Parlament. Die vermeintliche Eintagsfliege SP fasste Fuß auf allen
politischen Ebenen. De Wit erklärt das mit der Kombination aus Idealen und
Praxis, die auch ihn angesprochen hatte. „Arbeiterrechte, Streiks, aber
auch der internationale Kampf gegen den Vietnamkrieg und Apartheid. Und
daneben stand immer der direkte Kontakt. Zu den Leuten gehen, selbst ein
Beispiel geben.“ Keine Fraktion ohne Aktion, so heißt das im Duktus der
Partei. In der Bergarbeiterstadt Heerlen engagierte sich die SP für bessere
Wohnverhältnisse der Minenarbeiter. „So sehen die Menschen schnell, dass
man nicht nur redet, sondern handelt.“
Der Höhenflug der SP im Jahr 2012 ist auf diese besondere Form der
Glaubwürdigkeit zurückzuführen. Ihre Botschaft lautet seit vier Jahrzehnten
gleich: „Gleichheit, der Wert des einzelnen Menschen und Solidarität“,
formuliert es Jan de Wit. Dass die jüngste Zeit diesem Image entgegenkommt,
weiß niemand besser als er. Schließlich war de Wit Vorsitzender einer
Parlamentskommission, die die Rolle der niederländischen Regierung in der
Finanzkrise untersucht hat. Einstimmige Forderung: verstärkte Aufsicht des
gesamten Sektors. „Dieser Befund bestätigt, was wir schon lange sagen: Dass
die Finanzwelt durch Deregulierung viel zu hohe Risiken auf sich nehmen
konnte.“ Später auf dem Podium, in dem es wie im gesamten Wahlkampf um
Haushalt und Sparen geht, fragt de Wit in die Runde: „Müssen wir nicht den
Banken Bedingungen auferlegen?
Ein Slogan, der sich gut machen würde in der Ahnengalerie der SP. Wenn
etwas Aufschluss geben kann über die Wurzeln der Partei, das Amalgam
zwischen Fraktion und Aktion, radikalen Ideen und lokalem Pragmatismus,
dann diese Plakatwand. „Stimm dagegen, stimm SP“ ist der Klassiker. Aber
auch „Stopp Mieterhöhung“ und „Spielplatz in Oss ist Ihre Unterstützung
wert“. Nicht zu vergessen die „Mandela-Tour auf Initiative der SP,
zugunsten des ANC“. Und dann ist da dieser Cartoon, in dem zwei hohe
Politiker zu sehen sind, heimlich tuschelnd. „Ich halte sie arm, halt du
sie dumm“, sagt der eine. Doch Jan Marijnissen, Ex-Chef und Gallionsfigur
der SP, funkt mit entschlossener Miene dazwischen: „Mal langsam, meine
Herren!“
Die Wand befindet sich im Parteiquartier in Oss, einer Kleinstadt zwischen
Den Bosch und Nijmegen, die im Ruf steht, die Wiege der SP zu sein. Die
hohen Herren hier, das waren einst die Industriellen, der Klerus und die
allmächtige Katholische Volkspartei. Schornsteine und Kirchentürme prägten
die Gegend, als die SP 1974 bei den Gemeinderatswahlen drei Sitze gewann.
Zuvor schon hatten Genossen Mietproteste organisiert und mit einem wilden
Streik die Teppichfabrik Bergoss lahmgelegt. Paul Peters war damals dabei.
Heute sitzt er der lokalen Fraktion vor, seit 2006 die größte im
Stadtparlament.
## Keine Studentenstadt
Wieso gerade Oss? „Es gab damals eine Gruppe junger Leute, eng verbunden
mit der Idee: Es kann anders werden, in der Welt, in den Niederlanden, in
Oss“, erinnert sich Peters, ein drahtiger 70-Jähriger. Aber es gab keine
linke Gruppierungen. Die Sozialdemokraten waren schwach und alles andere
als kämpferisch, die Kommunisten hatten sich nie festigen können. Die SP
bekam ihre Chance, lokal. „Oss war keine Studentenstadt. Natürlich hatte
ich Mao gelesen, aber auch wieder weggelegt und gedacht, gute Analyse, und
jetzt gucken wir, wie wir die Dinge angehen können. Wir waren immer
praxisorientiert. Und zwar zusammen mit den Menschen, nicht nach dem Motto,
wir regeln das für sie.“
Der Revolutionär als ein Fisch von vielen im Wasser – so unscheinbar kommt
auch das SP-Büro in Oss daher. Niedrige Reihenhäuser, grauer Backstein, und
dann das Schild mit der prallroten Tomate, das Logo mit dem höchsten
Wiedererkennungswert aller Parteien des Landes. Die Räume liegen im Hof, es
riecht nach Kleister, der ausladende Tisch ächzt unter Plakaten und
Broschüren. Einsatzpläne koordinieren die Kampagne, die bekannten roten
Jacken hängen im Flur an Haken. Als lebensgroßer Pappkamerad wacht
Spitzenkandidat Emile Roemer über das Treiben.
Durchs Fenster fällt der Blick auf eine weitere Ikone der Partei. Im
Vorderhaus befindet sich noch immer das Ons Medisch Centrum, 1975 als
sozialistische Hausarztpraxis gegründet. „Die Atmosphäre ist dieselbe
geblieben“, betont Sjaak van Dorst, der dort seit 15 Jahren als Arzt tätig
ist. „Auch unser Ansatz: Wir nehmen uns länger Zeit für die Patienten, wir
achten auf ihre Lebensumstände.“ Kommt also jemand mit Beschwerden zu Sjaak
van Dorst, fragt er, wo derjenige wohnt und was er arbeitet. „Oft sind es
Menschen, die unten auf der sozialen Leiter stehen. Wenn es irgendwo ein
Problem gibt, kann ich sie weiterverweisen.“
## Kostenlose Hilfe
An den „Hilfsdienst“ zum Beispiel, noch so eine Institution der SP. Dieser
bietet kostenlose Beratung bei Rechtsstreitigkeiten, Amtsschreiben, Miet-
oder Steuerproblemen, wie eine Reihe alter Poster in einem
Besprechungszimmer der Parteizentrale zeigt. Daneben prangt auf der
schlichten, weißen Steinwand ein Streikfoto aus den Kindertagen der SP.
Gegenüber eine Aufnahme von Freiwilligen mit Gerätschaften beim Bau des
Quartiers, das im Übrigen den Namen „vooruitgang“ trägt: Fortschritt.
Der Fortschritt der SP hat einen roten Faden, und der lautet Kontinuität.
„Nehmen wir die Gesundheitsversorgung“, sagt Henk van Gerven. Der
gesundheitspolitische Sprecher der Parlamentsfraktion wohnt ebenfalls in
Oss. Lange hat er als Hausarzt im Medisch Centrum gegenüber gearbeitet.
Wenn die SP heute gegen die Einsparungen im Gesundheitssektor angehe, wenn
sie die Eigenbeteiligung von Patienten senken will oder eine
einkommensabhängige Prämie fordere, stehe das alles in Tradition des
Centrums.
Bevor Henk van Gerven zum Wahlkampf in die Hauptstadt reist, findet er ein
paar Worte zur Verortung im linken Spektrum: „Wir profitieren davon, dass
die Sozialdemokraten neoliberaler geworden sind. Da springen wir in die
Bresche. In Oss sieht man das im Kleinen schon lange. Wie das landesweit
weitergeht, ist jetzt sehr spannend.“
In den letzten Umfragen haben die Sozialdemokraten wieder aufgeschlossen
zur SP. In Oss lässt man sich davon nicht beirren. Am Abend ziehen die
Aktivisten in die Wohnviertel. Flyern, wie sie das nennen. Nicht in die
Briefkästen. Sie klingeln und überreichen das Wahlprogramm persönlich. Denn
das, so haben sie gelernt, kommt besser an.
10 Sep 2012
## AUTOREN
Tobias Müller
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