| # taz.de -- Atomausstieg in Japan: Ein Sommer heißer Proteste | |
| > Dass Japan überhaupt aussteigt, ist ein Erfolg der enorm gewachsenen | |
| > Demonstrationen. Doch ob diese nachhaltig sind, ist offen. | |
| Bild: Braucht einen langen Atem: Junger Atomkraftgegner bei Protesten in Tokio. | |
| TOKIO taz | Über aufgestellte Megafone schallen die rhythmischen Rufe | |
| „Gempatsu iranai“ (wir brauchen keine Atomkraft) und „Saikado hantai“ | |
| (keine Neustarts) durch das Regierungsviertel von Tokio. Dicht gedrängt | |
| stehen hunderte Demonstranten auf dem schmalen Bürgersteig. Wie jeden | |
| Freitag ab 18 Uhr gelten ihre lautstarken Rufe dem Bungalow auf der anderen | |
| Straßenseite, dem Amtssitz von Premier Yoshihiko Noda. | |
| „Wir müssen unsere Stimme erheben, damit unsere Meinung gegen Atomkraft bei | |
| ihm ankommt“, erklärt eine junge Mutter, die ihren siebenjährigen Sohn | |
| mitgebracht hat. Es sei unfair, dass die Atomlobby ständig Zugang zu Noda | |
| habe. Ein Angestellter Anfang 40, der für die Demo auf den Kneipenabend mit | |
| Kollegen verzichtet, erregt sich. „Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz | |
| vor Unfällen.“ | |
| Szenen am Ende eines Sommers der Bürgerwut in Japan: Ende Juni kamen | |
| Zehntausende zur bisher größten Freitagskundgebung vor dem Regierungssitz. | |
| Mitte Juli versammelten sich weit über 100.000 Bürger im Yoyogi-Park. Und | |
| am letzten Juli-Wochenende bildeten Zigtausende mit Kerzen in der Hand eine | |
| Menschenkette um das Parlament. Damit war klar: Anderthalb Jahre nach der | |
| Atomkatastrophe von Fukushima hat die Anti-AKW-Bewegung in Japan eine | |
| kritische Masse erreicht. | |
| Die großen Medien sahen sich erstmals zu ausführlichen Berichten gezwungen. | |
| Der atomfreundliche Premier Noda, der die Demos lange als „Lärm“ bezeichnet | |
| hatte, musste sich vor laufenden Kameras mit den Protestlern an einen Tisch | |
| setzen. „Die Politiker können die Demonstranten nicht länger als Minderheit | |
| abqualifizieren“, sagt der Antropologe Shinichi Nakazawa. | |
| Die Ironie dieses Wandels liegt darin, dass der Regierungschef das zunächst | |
| laue Protestlüftlein selbst zu einem Sturm der Entrüstung anfachte, als er | |
| im Juni die Wiederinbetriebnahme von zwei der 50 abgeschalteten | |
| Atomreaktoren anordnete. Nodas Aussage, dass die Gesellschaft ohne | |
| Atomkraft nicht überleben könne, empfanden viele Japaner als blanken Hohn. | |
| ## Die alten Aktivisten sind überrascht | |
| „Wir fühlen uns beleidigt und müssen weitere Neustarts verhindern“, drüc… | |
| Literaturnobelpreisträger Kenzaburo Oe auf der Großdemonstration im Juli | |
| das Gefühl vieler Japaner aus. Er gehört seit langem zum Bündnis „Sayonara, | |
| Atomkraft“ aus 60 etablierten Protestgruppen. | |
| Verblüfft registrieren diese alten Kämpen, dass sie plötzlich Zulauf von | |
| unorganisierten Bürgern bekommen. „Es ist das erste Mal, dass Einzelne und | |
| nicht organisierte Gruppen Druck auf die Regierung ausüben“, wundert sich | |
| Bündnissprecher Satoshi Kamata. Diese neuen Aktivisten sind es auch, die | |
| die großen Freitagsdemos organisieren. | |
| Die Entscheidung der Regierung zum Ausstieg zeigt, wie sehr sich die Kräfte | |
| zugunsten der Atomkraftgegner verschoben haben. Doch viele Japaner trauen | |
| dieser Kehrtwende nicht. Wegen der nahenden Parlamentswahl rede Noda dem | |
| Volk nach dem Mund, sagt ein Rentner, der jeden Freitag auf die Straße | |
| geht. Die Atomlobby spiele auf Zeit, bis die Proteste aufhören. Selbst | |
| Sprecherin Redwolf bezweifelt manchmal die Nachhaltigkeit der Proteste. Auf | |
| die Frage, ob die Japaner auch beim nächsten AKW-Neustart wieder auf die | |
| Straße gingen, sagt sie: „Da bin ich mir nicht so sicher.“ | |
| 14 Sep 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Fritz | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
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