# taz.de -- Atomausstieg in Japan: Erst wieder rein, dann langsam raus | |
> Der japanische Premierminister Noda verkündet den Atomausstieg bis 2040. | |
> Zuvor will er aber möglichst viele abgeschaltete Reaktoren reaktivieren. | |
Bild: Die Gretchenfrage der Atompolitik: An oder aus? | |
TOKIO taz | Anderthalb Jahre nach der AKW-Katastrophe von Fukushima stellt | |
sich Japan überraschend auf einen Atomausstieg im Jahrzehnt zwischen 2030 | |
und 2040 ein. Das Kabinett beschloss dafür einen neuen langfristigen | |
Energieplan. | |
Danach werden bestehende Atommeiler, soweit sie die neue Atomaufsicht als | |
sicher einstuft, nach jeweils maximal 40 Jahren Betriebsdauer abgeschaltet. | |
Neue Reaktoren werden nicht mehr gebaut. Der Stromanteil aus erneuerbaren | |
Quellen soll sich bis 2030 auf 30 Prozent verdreifachen. | |
Ein weiterer Eckpfeiler des Atomausstiegs ist verstärktes Energiesparen. | |
Ebenfalls bis 2030 soll der Stromverbrauch dadurch um 10 Prozent sinken. | |
Auch für den Schnellen Brüter in Monju kommt das Aus. Dagegen will man die | |
Wiederaufbereitungsanlage in Rokkasho in Betrieb nehmen. | |
## Die Wirtschaft will weiter spalten | |
Allerdings fehlt bisher ein nationaler Konsens für den neuen Energieplan, | |
so dass es in Japan Zweifel an seiner Umsetzbarkeit gibt. Bisher war | |
erwartet worden, dass sich die Regierung auf 15 Prozent Atomstromanteil bis | |
2030 festlegen würde. | |
Die Wirtschaft lehnt einen Ausstieg ebenso ab wie die Regionen mit | |
AKW-Standorten. Auf der anderen Seite wollen viele Japaner nicht mehr | |
Jahrzehnte auf das AKW-Aus warten. „Wir verlangen einen drastischen | |
Schritt, also den sofortigen Ausstieg“, sagte Misao Redwolf, Organisatorin | |
der Freitagsproteste, der taz. | |
Der bislang atomfreundliche Premierminister Yoshihiko Noda räumte einen | |
„größeren Kurswechsel“ ein, verwies jedoch auf die mehrheitlich ablehnende | |
Haltung der Bevölkerung. „Das Volk hat sich entschieden“, meinte Noda. Die | |
Anti-AKW-Proteste hatten stark zugenommen, nachdem er im Juni den Neustart | |
von zwei abgeschalteten AKWs angeordnet hatte. Auch seine Demokratische | |
Partei war mit Blick auf die nahe Parlamentswahl auf den Ausstieg | |
eingeschwenkt. Da Noda sich am kommenden Freitag als Parteichef bestätigen | |
lassen will, folgte er der neuen Linie. | |
## 500 Milliarden für die Energiewende | |
Die Firmenlobby Keidanren, ein Sprachrohr der Stromwirtschaft, könne die | |
Energiewende „nicht gutheißen“, erklärte ihr Vorsitzender Hiromasa | |
Yonekura. Die Unternehmen befürchten eine unsichere Stromversorgung und | |
höhere Produktionskosten. Ein Ausstieg würde den Strompreis für | |
Privatverbraucher verdoppeln, rechnete das atomfreundliche | |
Industrieministerium vor. Die Energiewende würde 500 Milliarden Euro | |
kosten. | |
Dagegen sprach Wirtschaftsminister Motohisa Furukawa von einer | |
Wachstumschance für die stagnierende Wirtschaft: „Bei grüner Energie löst | |
eine Innovation die nächste aus“, betonte Furukawa. Vor Fukushima stammten | |
26 Prozent des Stroms aus der Atomenergie. | |
Nach Ansicht von Beobachtern soll der Ausstiegsbeschluss auch der | |
Protestbewegung den Wind aus den Segeln nehmen. Dann könnte die Regierung | |
die meisten abgeschalteten Atommeiler ungestört wieder in Betrieb nehmen. | |
Schon nächste Woche will Noda die neue, unabhängige Atomaufsichtsbehörde | |
aus der Taufe heben. Erster Chefaufseher soll Shunichi Tanaka, ehemaliger | |
Vorsitzender der Atomenergiekommission, werden. Dabei fordert die | |
Protestbewegung seit Monaten von Noda einen Verzicht auf die Ernennung, da | |
Tanaka zum alten „Atomkraftdorf“ gehöre. | |
14 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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