# taz.de -- Botschaften verzögern Visa-Erteilung: Warten auf Deutschland | |
> Wer hierher will, muss sich teils monatelang gedulden, bevor er in einer | |
> deutschen Botschaft ein Visum beantragen darf. Das verletzt EU-Recht. | |
Bild: Visum für die Einreise nach Deutschland: absolut fälschungssicher. | |
BERLIN taz | Als drei Aktivistinnen der Künstlergruppe Femen aus der | |
Ukraine im Juni zu einem Festival nach Hamburg eingeladen wurden, wäre ihr | |
Gastspiel um ein Haar geplatzt. Denn die Beantragung ihrer | |
Einreiseerlaubnis geriet zur Hängepartie. Die deutsche Botschaft in Kiew | |
sprach von „Terminschwierigkeiten“. | |
Erst als Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz höchstpersönlich beim | |
Auswärtigen Amt intervenierte, stellte die Botschaft den Künstlerinnen in | |
letzter Minute ein Visum aus. Kulturinstitutionen, Kunsthäuser, | |
Konzertveranstalter in Deutschland können ein Lied von solchen Scherereien | |
mit unwilligen deutschen Botschaften singen. Denn Deutschland hat eines der | |
striktesten Visa-Regime in der gesamten Europäischen Union. | |
Dabei hat sich die EU vor drei Jahren einen Visa-Kodex gegeben, um die | |
Einreise in die Staaten des Schengen-Raums zu vereinheitlichen – und zu | |
vereinfachen. Dazu gehört, dass Einreisewillige höchstens zwei Wochen auf | |
einen Termin warten müssen sollen, um ein Visum beantragen zu dürfen. Doch | |
wer nach Deutschland will, muss oft sehr viel mehr Geduld aufbringen. | |
Wie aus einem der taz vorliegenden Dokument des Auswärtigen Amts | |
hervorgeht, betrug die Wartezeit Ende Juli in der deutschen Botschaft in | |
Moskau fünf Wochen, in Peking sechs Wochen, in Schanghai, Kairo und Teheran | |
neun Wochen und in der ukrainischen Hauptstadt Kiew sogar bis zu elf | |
Wochen. | |
## Wartezeit erheblich über zwei Wochen | |
Auf eine Anfrage der Linkspartei musste die Bundesregierung einräumen: In | |
den acht Ländern, in denen zusammen rund zwei Drittel aller Visa für | |
Deutschland beantragt werden, liegt die Wartezeit zum Teil erheblich über | |
den zwei Wochen, auf die sich die EU-Staaten verpflichtet hatten. | |
Doch wer einen Termin bei einer deutschen Botschaft ergattert hat, ist | |
damit noch lange nicht am Ziel. Denn neben dem Antragsformular und einer | |
Einladung muss er noch einen ganzen Berg von Unterlagen einreichen: neue | |
und alte Pässe, Steuer- und Sozialversicherungskarte, Berufs- und | |
Gehaltsbescheinigungen, Auslandskrankenversicherung und vieles mehr. | |
Vor allem aber muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass er nicht | |
vorhat, in der Bundesrepublik zu bleiben. Deswegen muss er sich Fragen | |
gefallen lassen wie die, ob er noch mit seinem Ehepartner zusammenlebt. | |
Viele Antragsteller empfinden das Verfahren als schikanös. | |
In der Türkei haben Betroffene sogar eine eigene Website eingerichtet, auf | |
der jeder von seinem Visa-Frust berichten kann. Der bisher letzte Eintrag | |
auf der Internetseite [1][Visesiz] („ohne Visa“) stammt von dem jungen | |
türkischen Softwareingenieur Emrah Dayioglu. | |
## Absage nach dem Abflugtermin | |
Dayioglu hat drei Jahre lang in Fulda studiert, aber seine Abschlussarbeit | |
in der Türkei geschrieben. Als er sein Visum erneuern lassen wollte, um zum | |
Abschluss seines Studiums nach Deutschland zurückzukehren, wurde sein | |
Antrag abgelehnt – beim zweiten Versuch kam die Absage sogar erst, als der | |
Flugtermin bereits verstrichen war. Eine Werbung für ein Studium in | |
Deutschland ist das nicht. | |
Weil es so schwer ist, ein Visum für Deutschland zu bekommen, steuern viele | |
Russen und Türken lieber andere europäische Botschaften an, wenn sie nach | |
Europa reisen wollen. Doch auch mit dem Schengen-Visum eines anderen | |
europäischen Landes im Pass lauern Gefahren, wenn man deutschen Boden | |
betritt. Erst im Juli etwa wurde eine Gruppe von türkischen Apothekern und | |
Ingenieuren am Flughafen München kurzerhand nach Istanbul zurückgeschickt, | |
weil sie nur das Visum eines anderen Schengen-Landes besaßen. | |
Der Linkspartei ist der Geduldsfaden inzwischen gerissen. Wegen der | |
überlangen Wartezeiten an deutschen Konsulaten hat sich die | |
Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen nun bei der EU-Komission | |
beschwert. „Die übermäßigen Wartezeiten sind europarechtswidrig und | |
unzumutbar“, sagte Dagdelen der taz. | |
Droht Deutschland deshalb nun ein EU-Vertragsverletzungsverfahren? | |
Offiziell will man in Brüssel zu dem Thema keine Stellung nehmen. Doch | |
intern soll die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten bereits mehrfach gemahnt | |
haben, die Frist einzuhalten. | |
## Externe Dienstleister sollen's richten | |
Außenminister Westerwelle hatte bereits Ende 2011 versprochen, in diesem | |
Jahr das strenge deutsche Visaverfahren zu lockern. Das Auswärtige Amt | |
setzt seine Hoffnungen dabei vor allem auf externe kommerzielle | |
Dienstleister, denen es jetzt wesentliche Teile der Visa-Prozedur | |
überträgt. | |
In der Türkei wurde damit die Firma iData beauftragt, und es wurden neue | |
Anlaufstellen in Istanbul, Ankara, Bursa und Gaziantep geschaffen. Im | |
Oktober sollen weitere „Visa-Zentren“ in Izmir und Antalya folgen. In | |
Russland ist Ähnliches geplant. Antragsteller müssen künftig nicht mehr – | |
wie bislang jedes Mal – persönlich beim Konsulat erscheinen und dafür den | |
oft weiten Weg von ihren Wohnorten in Kauf nehmen. | |
Einige Schritte des Prozederes können nun von zu Hause aus per Internet | |
erledigt werden. Gerade in Flächenstaaten wie Russland und der Türkei | |
stellten die teuren, zeitaufwendigen Reisen zum nächsten deutschen Konsulat | |
eine besondere Hürde dar. | |
## Fortlaufende Optimierung des Verfahrens | |
„Das Auswärtige Amt und die deutschen Auslandsvertretungen arbeiten | |
fortlaufend an einer Optimierung des Visumverfahrens. Dazu gehören | |
Maßnahmen wie die vermehrte Ausstellung von Mehrjahresvisa und – soweit | |
möglich – der Verzicht auf eine persönliche Vorsprache bei häufig Reisenden | |
und Geschäftsleuten“, sagt eine Sprecherin des Auswärtigen Amts dazu | |
gegenüber der taz. | |
Der Nachteil: Externe Dienstleister verlangen meist höhere Gebühren für die | |
Bearbeitung des Visumantrags. Die Linke-Abgeordnete Sevim Dagdelen hält sie | |
deshalb für eine schlechte Alternative. „Statt die Botschaften ausreichend | |
auszustatten, kommen kostenpflichtige private Dienstleister zum Zug“, klagt | |
sie. „Für die reisewilligen Menschen bedeutet das Mehrkosten.“ | |
17 Sep 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://vizesiz.net/ | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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