# taz.de -- Bürgermeisterwahlkampf in Stuttgart: Die Menschenfängerin | |
> Das Rennen um das Stuttgarter Rathaus bleibt spannend: Bettina Wilhelm | |
> weiß sich als bürgernahe Kandidatin der SPD in Szene zu setzen. | |
Bild: Bürgernahe Kandidatin: wenig Unterschiede bei den Inhalten. | |
STUTTGART taz | Brigitte Fußgang und Evelyn Schweizer schauen sich um. „Und | |
wo sind heute die Männer?“, fragt eine der beiden Damen. „Wenn einem | |
Stuttgart am Herzen liegt, sollte man schon da sein.“ Doch die Männer – die | |
Kandidaten von Grünen und CDU – haben sich noch gar nicht blicken lassen | |
beim Bürgerfrühstück, zu dem in der Stuttgarter Innenstadt Biertische | |
aufgebaut worden sind. Stattdessen kommt Bettina Wilhelm herüber. | |
Wilhelm wurde von der SPD als parteilose Oberbürgermeister-Kandidatin | |
aufgestellt. An diesem Samstag läuft die 48-Jährige im Hosenanzug und mit | |
lila-rotem Schal von Tisch zu Tisch. Immer wieder streift sie ihre | |
rotbräunlichen Locken hinters Ohr, lächelt und wünscht „Guten Appetit“. | |
Die Wählerinnen Fußgang und Schweizer sind angetan. „Ich bin seit Langem | |
eine CDU-Anhängerin“, sagt Evelyn Schweizer. Doch der von der CDU | |
aufgestellte parteilose Sebastian Turner komme für sie gar nicht in Frage. | |
Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Fritz Kuhn spreche sie nicht an. „Eine | |
Frau ist viel emotionaler als ein Mann. Das würde Stuttgart guttun.“ | |
Punktgewinn für Wilhelm, die einzige Frau im Rennen um das OB-Amt und | |
überaus begabt darin, auf Menschen zuzugehen. Sie weiß, dass sie auf diese | |
beiden Karten setzen muss, wenn Stuttgart sich am 7. Oktober für sie | |
entscheiden soll. | |
## Politprofi gegen Millionär | |
Lange Zeit stand Wilhelm im Schatten von Kuhn und Turner. Alles schien auf | |
einen Zweikampf zwischen dem erfahrenen Politprofi auf der einen und dem | |
Unternehmer und Millionär auf der anderen Seite hinauszulaufen. Wilhelm | |
wurde spät von der SPD nominiert. Während sich Kuhn und Turner längst | |
medial warmliefen, dauerte es Monate, bis die zweiköpfige | |
Findungskommission ihren Namen bekannt gab. Und mit dem konnten dann viele | |
zunächst gar nichts anfangen. | |
Eine Bürgermeisterin aus Schwäbisch Hall, nicht einmal Mitglied der SPD. Es | |
schien auf den ersten Blick wie eine Art Aushilfskandidatin für eine Wahl, | |
die ohnehin die Grünen und die CDU unter sich ausmachen würden. Die Grünen | |
stellen die stärkste Fraktion im Gemeinderat, holten bei der Landtagswahl | |
2011 drei von vier Direktmandaten in Stuttgart und können auf die | |
Unterstützung des populären Ministerpräsidenten bauen. | |
Die Christdemokraten stellen mit Wolfgang Schuster den aktuellen | |
Amtsinhaber und haben trotz der Abwahl der schwarz-gelben Landesregierung | |
noch immer eine Hausmacht in Baden-Württemberg. | |
Bei der OB-Wahl in Stuttgart geht es deshalb nicht nur um die Vergabe des | |
Postens. Mit der Wahl wird sich auch zeigen, ob sich der grüne Erfolg | |
verstetigt, oder die CDU zurückschlagen kann. Doch beide Parteien haben | |
Kandidaten aufgestellt, die zwar große Namen haben, aber keine großen | |
Menschenfänger sind. Wilhelm beschreibt sich deshalb als „Gegenmodell“. | |
## Lenken mit Charme | |
„Was sie sicher nicht so hat, ist das Weltmännische“, sagt Christoph Tangl, | |
der als Leiter der Familienbildungsstätte in Kirchheim unter Teck einige | |
Jahre mit Wilhelm zusammengearbeitet hat. Das ganz große Parkett sei sie | |
nicht gewohnt, habe dafür aber andere Stärken: „In der Form sehr freundlich | |
und im Ziel sehr konsequent“. | |
Dem Urteil Tangls schließt sich ein anderer Wegbegleiter an. Der frühere | |
Pfarrer Gottfried Jetter kennt Wilhelm seit ihrem 13 Lebensjahr, er hat sie | |
konfirmiert und ist ihr bis heute verbunden. „Bettina hat schon damals mit | |
ihrem Charme eine Gruppe in die Richtung gelenkt, in die sie wollte.“ Mit | |
ihrer Menschlichkeit verkörpere sie etwas anderes als die Politprofis. „Sie | |
tritt unverkrampft auf, bezieht aber klar Stellung.“ | |
Ihr Lebenslauf wirkt zielstrebig. Nach einer Ausbildung zur Erzieherin hat | |
sie Sozialpädagogik studiert, zwei Töchter großgezogen, dann noch ein | |
zweites Studium zur Diplom-Pädagogin draufgesattelt. Nach Stationen in | |
Ludwigsburg und Kirchheim und einer verlorenen Bürgermeister-Wahl in Aalen | |
2005 wurde sie schließlich 2009 Erste Bürgermeisterin in Schwäbisch Hall, | |
wo sie unter anderem für die Bereiche Bildung, Soziales und Kultur | |
zuständig ist. | |
„Wir Kandidaten unterscheiden uns doch inhaltlich nur wenig“, sagt Wilhelm | |
selbst. „Aber worin wir uns gewaltig unterscheiden, das ist im Stil. Das | |
ist in der Art, in der Kommunikation und im Auftreten.“ Und letztlich gehe | |
es darum, die Stadt zu repräsentieren. „Und das tue ich mit meiner Person | |
und mit nichts anderem.“ | |
20 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Nadine Michel | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Stuttgart 21 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
OB-Wahl in Stuttgart: Schwarz und Grün liegen vorn | |
Falls Kuhn siegt, wäre dies ein Signal: Grüne können auch Großstadt. Für | |
die CDU wäre das die zweite schmerzliche Niederlage nach der Landtagswahl. | |
Symbolfigur der Stuttgart-21-Bewegung: Richter klagt Rechtsstaat an | |
Auf der Montagsdemonstration gegen das Bahnhofsprojekt S21 beschwert sich | |
die neue Symbolfigur Dieter Reicherter über das Demokratieverständnis der | |
Justiz. | |
Die CDU will Bürgerbeteiligung in Stuttgart: Verdrehte Welt im Südwesten | |
Die Grünen haben in Stuttgart die Mehrheit und wollen die Bürger bei der | |
Ausrichtung der Stadtwerke nicht so gern mitreden lassen. Neuerdings möchte | |
das die CDU. | |
S-21-Gegner kandidiert als Stuttgarter OB: Eine ungeheure Dynamik | |
Ein prominenter S-21-Gegner könnte den Grünen in Stuttgart gefährlich | |
werden. Hannes Rockenbauch vom Bündnis Stuttgart-Ökologisch-Sozial will | |
Oberbürgermeister werden. |