| # taz.de -- Autobiografie von Edmund Stoiber: Edmunds Apokalypse | |
| > Edmund Stoiber stellt seine Autobiografie vor, die sich flüssiger liest, | |
| > als der Exministerpräsident spricht. Neben ihm wirkt Kanzlerin Merkel | |
| > lässig. | |
| Bild: „Weil die Welt sich ändert“: Edmund Stoiber hat seine Autobiografie … | |
| BERLIN taz | Was gab sich die CDU Mühe, um Angela Merkel sympathisch | |
| erscheinen zu lassen. Sie plakatierte im Bundestagswahlkampf 2005 Porträts, | |
| die der echten Spitzenkandidatin nur entfernt ähnelten. Sie spielte auf | |
| Parteiveranstaltungen immer wieder das völlig unpassende Lied „Angie“ der | |
| Rolling Stones ein. Dabei zeigte sich am Dienstag, wie einfach es ist, | |
| Merkel gelassen wirken zu lassen. Man muss sie einfach neben Edmund Stoiber | |
| platzieren. | |
| In der schmucken Repräsentanz der Deutschen Bank in Berlin-Mitte | |
| präsentieren die Kanzlerin und der Ex-Ministerpräsident Stoibers Memoiren: | |
| „Weil die Welt sich ändert. Politik aus Leidenschaft – Erfahrungen und | |
| Perspektiven“. Die erste Überraschung des mit 319 Seiten vergleichsweise | |
| schlanken Politikerbuchs: Es ist lesbar. Der liebste Christsozialenfresser, | |
| Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, notierte in seiner Rezension | |
| konsterniert: „Er kann schreiben. (…) Wer immer Stoiber, dessen verknäuelte | |
| Sprache in Reden und Interviews berüchtigt ist, beim Schreiben geholfen hat | |
| – herzlichen Glückwunsch!“ | |
| Mehr als ein Dutzend Kameras klicken, als Stoiber und Merkel gemeinsam in | |
| den kleinen Saal marschieren. Die Sitzreihen sind fast bis auf den letzten | |
| Platz gefüllt. Stoiber weiß: Er verdankt die Aufmerksamkeit der Anwesenheit | |
| der Kanzlerin. | |
| Nach ein paar netten Worten Merkels holt Stoiber aus. Sehr weit aus. Der | |
| Bürokratie-Bekämpfer im EU-Auftrag spricht mit Ähs gespickte Sätze, die | |
| manchmal im Nichts enden. Binnen Minuten hangelt er sich vom Stand der EU | |
| und seinen Erlebnissen während der Wiedervereinigung („un-glaub-lich“) üb… | |
| die Eurokrise und das Wesen der Demokratie bis zum Hinweis auf das | |
| zunehmend „aggressive“ Auftreten Chinas. Demokratische Reformen sehe er | |
| nicht. „In diesem Sinne wünsche ich Ihnen jetzt eine schöne Lektüre.“ | |
| Auch in der anschließenden Fragerunde redet und redet der Detailmensch | |
| Stoiber und merkt nicht, dass ihm sein Mikro immer weiter nach unten | |
| gleitet. Kaum einer kann ihn noch verstehen. Als er fertig ist, sagt Merkel | |
| bloß: „Ich hab dem nichts hinzuzufügen.“ | |
| Ob sie, Merkel, denn nachgelesen habe, was Stoiber über das berühmte | |
| Wolfratshausener Frühstück 2002 so schreibe, will eine Journalistin wissen. | |
| „Natürlich“, sagt sie. „Nach essen war da keinem zumute“, als sie Stoi… | |
| damals die Kanzlerkandidatur anbot. „Jeder hat da höflichkeitshalber an ner | |
| Semmel genagt, aber …“ Der Saal lacht. Als Stoiber an der Reihe ist, übers | |
| Frühstück zu sprechen, beginnt seine Antwort mit: „Bayern hat eine | |
| tausendjährige Geschichte.“ | |
| „Was ich für meine praktische Arbeit aus dem Buch mitnehme?“ Merkel | |
| wiederholt die Journalistenfrage, das bringt ein bisschen Zeit. „Na ja. Ich | |
| finde das Kapitel über den Euro spannend. Ich weiß, wo Edmund Stoiber | |
| herkommt.“ Der schreibt über die Gemeinschaftswährung so, wie er spricht: | |
| apokalyptisch. Vom dünnen „Firnis der Geschichte“ berichtet der Autor, und | |
| von seiner Sorge, dass Europa schon bald seinen Einfluss in der Welt | |
| verlieren könnte, wenn jetzt die falschen Entscheidungen getroffen werden. | |
| Der Blick von außen habe seine Sicht geschärft. | |
| Merkel hat keine Zeit für den Weltuntergang. Die Regierungschefin ist im | |
| Stress, man merkt ihn ihr nur nicht an. Vor der Buchvorstellung hat sie | |
| beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gesprochen, gleich trifft | |
| sie den Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi. Ein normaler | |
| Kanzlerinnenarbeitstag. Die Apokalypse kommt in Merkels Akten nicht vor. | |
| Apropos Akten: Merkel und Stoiber finden an diesem Vormittag noch eine | |
| wichtige Gemeinsamkeit. „Ich galt als Aktenmensch und Bürokrat“, sagt der | |
| Bayer über sich. „Ich hab gemerkt: Du bist, was den Aktenstand angeht, auf | |
| dem absoluten Toplevel.“ In Stoibers Welt ist das vermutlich eines der | |
| größten Komplimente, das man machen kann. | |
| Das einzige Mal in ihrer gemeinsamen Stunde zeigt sich Stoibers einstige | |
| Konkurrentin irritiert. „Ich lese gerne Akten“, sagt die Kanzlerin nach | |
| einer Pause, fast entschuldigend. „Eine gut geführte Akte ist ein Wert an | |
| sich.“ Der Saal lacht. Jetzt ist sie noch irritierter. Gleich zweimal sagt | |
| sie: „’ne ordentliche Aktenführung ist echt viel wert.“ Stoiber lächelt | |
| Merkel versonnen an. | |
| 25 Sep 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Matthias Lohre | |
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