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# taz.de -- Preisträger des alternativen Nobelpreises: Das sind die Guten
> Sima Samar, Hayrettin Karaca, die CAAT und Gene Sharp fanden „Lösungen
> für die dringendsten Probleme unserer Zeit", sagt die „Right Livelihood
> Award“-Jury.
Bild: Preisträgerin Sima Samar (rechts).
Sima Samar
Wer ist das? Sima Samar ist Vorsitzende der Unabhängigen
Menschenrechtskommission Afghanistans (AIHRC), einer der wenigen gut
funktionierenden Institutionen in dem Land, die durch das Bonner
Afghanistan-Abkommen 2001 geschaffen wurden.
Was hat sie getan? Sie steht stellvertretend für landesweit Dutzende
Kollegen, die sich mutig für eine Aufarbeitung der Kriegsverbrechen und
Menschenrechtsverletzungen während des 30-jährigen Bürgerkriegs einsetzen.
Dabei sind sie oft auf sich gestellt und werden physisch bedroht.
Wie kommt sie dazu? Ihr Mann gehört zu den zahlreichen „Verschwundenen“, er
wurde Ende der 1970er Jahre vom prosowjetischen Regime verhaftet und
wahrscheinlich umgebracht. Aber Samar ist nicht auf einem persönlichen
Rachefeldzug und spricht selten von dieser Tatsache.
Was hat sie bewirkt? Größten Einfluss hatte der AIHRC-Bericht „Ruf nach
Gerechtigkeit“ von 2005, wonach die afghanische Regierung dazu gebracht
werden konnte, ein Programm zur Aufarbeitung der Bürgerkriegsverbrechen zu
unterschreiben.
Wer sind ihre Gegner? Schon 2002, als sie erste Frauenministerin war,
starteten Islamisten eine Kampagne, in der sie als „Salman Rushdie
Afghanistans“ bezeichnet und zum Abschuss freigegeben wurde. Mehrere
Anschläge folgten. Eine von ihr angestrebte noch breitere "Kartierung" der
Kriegsverbrechen ist auf Betreiben einflussreicher Regierungsmitglieder
noch immer unveröffentlicht. Zudem stellten die Kriegsverbrecher im
Parlament sich 2009 selbst ein Amnestiegesetz aus. Auch das Programm zur
Aufarbeitung der Bürgerkriegsverbrechen lief 2009 beinahe folgenlos aus,
wohl auch zur Erleichterung der "internationale Gemeinschaft" - denn viele
ihrer Verbündeten gehören zu den Tätern.
Was sagt sie? „In jedem Post-Konflikt-Land gibt es Bedarf an Versöhnung,
aber Friedensgespräche dürfen die Menschenrechte und die Gerechtigkeit
nicht unterminieren.“
THOMAS RUTTIG
***
Hayrettin Karaca
Wer ist das? Hayrettin Karaca ist ein Pionier der türkischen
Umweltschutzbewegung und hat die größte türkische Umweltschutzorganisation
mit gegründet. Trotz seines hohen Alters noch aktiv. Karaca ist von Haus
aus Textilunternehmer, sein geschäftlicher Erfolg half ihm bei seinem
Engagement.
Was hat er getan? Karaca gründete 1992 die türkische Gesellschaft zur
Bekämpfung von Bodenerosion, zur Wiederaufforstung und zum Schutz von
Habitaten (TEMA). Die betreibt Wiederaufforstungsprojekte, organisiert
Hilfen für arme Bauern, damit die die Chance bekommen, naturverträglich zu
produzieren, und engagiert sich im Bildungsbereich, um ein Bewusstsein für
die bedrohte Natur schaffen.
Wie kommt er dazu? In den 60er und 70er Jahren stellte Karaca bei vielen
Reisen durch die Türkei fest, dass im Zuge der Industrialisierung immer
mehr Wälder gerodet und durch Erosion immer mehr fruchtbarer Boden verloren
geht. Er begann dies zu dokumentieren und dagegen zu protestieren.
Sein Erfolg: TEMA hat heute 450.000 Mitglieder und ist gesellschaftlich
breit verankert. Die Organisation wird von ihren vielen Mitgliedern wie
auch durch Sponsoring großer Unternehmen unterstützt. Selbst die Armee
beteiligt sich an Wiederaufforstungsprogrammen. Doch trotz der großen
Erfolge von TEMA ist die türkische Regierung und der größte Teil der
Gesellschaft noch weit davon entfernt, umweltbewusst zu handeln.
Seine Gegner: Die größten Gegner von TEMA sind große Bau- und
Industrieunternehmen, die rücksichtslosen Raubbau an der Natur betreiben.
TEMA hat zahlreiche Prozesse und Klagen gegen die Verletzung von
Naturschutzgebieten und die Verschandelung der Küsten durch Hotelbauten
angestrengt und auch gewonnen. Im Moment läuft ein großer Prozess gegen
Karaca, weil dieser gemeinsam mit einigen Dorfbewohnern die Betreiber einer
Goldmine an der Ägäisküste am Einsatz von Zyankali hindern wollte.
Was sagt er? „Um zu leben, sorge zuerst für das Gedeihen der anderen
Lebewesen.“
JÜRGEN GOTTSCHLICH
***
Campaign Against Arms Trade
Wer ist das? Die Campaign Against Arms Trade (CAAT) ist eine britische
Organisation, die gegen den Export von Kriegswaffen kämpft.
Was hat sie getan? Die CAAT bekommt den Preis für ihre "unermüdlichen,
innovativen und effektiven Kampagnen" gegen den globalen Waffenhandel. Seit
den 1970er Jahren ist sie mit Recherchen und direkten Aktionen gegen
Waffenschmieden aktiv. Auch die Wissenschaft nahm CAAT in den Blick: Lange
vor der deutschen Debatte über Zivilklauseln startete CAAT die „Study War?
No more!“-Kampagne gegen Militärforschung an Universitäten.
Ihr größter Erfolg: Im letzten Jahrzehnt trug CAAT zur Verfolgung von
Korruptionsvorwürfen gegen den größten britischen Rüstungskonzern British
Aerospace (BA) bei. Der stand im Verdacht, Millionen von Pfund ausgegeben
zu haben, um krumme Waffengeschäfte nach Saudi-Arabien zu ermöglichen. Die
britische Antikorruptionsbehörde SFO stoppte - offenbar auf Druck der
Regierung - ihre Untersuchung. CAAT recherchierte und klagte gegen den Stop
der Ermittlungen. BA musste viele Millionen Pfund Bußgeld zahlen.
Ihr wichtigster Gegner: Die Rüstungsindustrie – insbesondere British
Aerospace. Die beauftragten nach der Jahrtausendwende eine private
Detektei, um CAAT zu infiltrieren. Der Spitzel gab interne Korrespondenz
weiter, flog jedoch auf. CAAT machte den Vorgang öffentlich.
Wer ist ihr dankbar? Regimegegner in Ländern, für die sie mit besonderem
Nachdruck ein Waffenexportverbot fordern. Dazu zählten in der Vergangenheit
etwa Südafrika oder Indonesien, heute sind es unter anderem die autoritären
Regime im Nahen und Mittleren Osten. Dankbar sind ihr aber auch
Rüstungsgegner in anderen europäischen Ländern: Die haben immer wieder von
den Recherchen und den von CAAT erprobten neuen Aktionsformen profitiert.
Was sagt sie? „Der Handel mit Waffen hat verheerende Auswirkungen auf die
Menschenrechte und die Sicherheit, er schadet der wirtschaftlichen
Entwicklung.“
CHRISTIAN JAKOB
***
Gene Sharp
Wer ist das? Der heute 94-Jährige gilt als wichtigster theoretischer
Stratege gewaltfreien Widerstands zum Sturz von Diktatoren.
Was hat er getan? Die Jury ehrt Gene Sharp „für die Entwicklung und
Verbreitung der Prinzipien und Strategien des gewaltlosen Widerstandes und
seine aktive Unterstützung für deren praktische Umsetzung in
Konfliktsituationen weltweit“. Als Student Anfang der 50er Jahre – Sharp
schrieb gerade ein Buch über Mahatma Gandhi – verweigerte er in den USA den
Kriegsdienst, erhielt Unterstützung von Albert Einstein und kam ins
Gefängnis. Ein paar Jahre später studierte er in Oxford die Mechanismen von
Diktaturen und suchte nach ihren Schwächen.
Seine Erkenntnis: Jedes noch so brutale Unterdrückungsregime ist letztlich
auf die Loyalität der Untertanen angewiesen. Sein vor über 20 Jahren
erschienenes Handbuch „Von der Diktatur zur Demokratie“ setzt genau da mit
Methoden des zivilen Ungehorsams an. Es wurde in über 30 Sprachen
übersetzt. Sharp argumentiert weder moralisch noch pazifistisch, sondern
analysiert strategisch, warum gewaltloser Widerstand effektiver ist als
jede andere Methode.
Seine Erfolge: Sharp selbst sagt, dass sich die konkreten Auswirkungen
seiner Ideen nicht messen lassen. Sicher ist, dass sein Denken sowohl in
Birma wie in Serbien, in der Ukraine und während des Arabischen Frühlings
verbreitet wurde. In Birma hielt er Anfang der 90er Jahre Workshops zum
gewaltfreien Widerstand ab.
Seine Gegner: Alle, die an diktatorischen Verhältnissen nichts ändern
wollen.
Was sagt er? „Wenn man auf gewaltsame Mittel vertraut, entscheidet man sich
genau für die Art von Kampf, bei der die Unterdrücker so gut wie immer
überlegen sind.“
Viele wichtige Texte Gene Sharps wie das Handbuch „Von der Diktatur zur
Demokratie“ sind auf der [1][Webseite der von ihm gegründeten Albert
Einstein Institution] herunterzuladen.
BERND PICKERT
27 Sep 2012
## LINKS
[1] http://www.aeinstein.org
## TAGS
Feminismus
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Taylor Swift
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