# taz.de -- Film „Mitternachtskinder“: Nichts als Illustration | |
> Wieder einmal eine schwierige Literaturverfilmung: Deepa Mehta bleibt | |
> gegenüber Rushdies „Mitternachtskinder“ leider viel zu ehrfürchtig. | |
Bild: Shiva (Siddharth, r.) bedroht Saleem Sinai (Satya Bhabha): Szene aus „M… | |
Die Regisseurin tappt in die Falle: Deepa Mehta behandelt ihre Vorlage, | |
Salman Rushdies Durchbruchsroman „Mitternachtskinder“, als den Klassiker, | |
der er ist, und also mit viel zu viel Respekt. Dass Sir Salman selbst das | |
Drehbuch verfasst hat, hilft sicher nicht, denn er ist ja länger schon zu | |
nicht geringen Teilen sein eigener Ruhm- und Nachruhmverwalter. | |
Vor allem aber verfilmt Mehta den Roman als Werk für sich und schneidet ihn | |
damit komplett ab von seiner Rezeption und umstürzenden Wirkung auf den | |
postkolonialen Diskurs. Sie tut so, als habe es den Donnerschlag niemals | |
gegeben, den das Buch des damals ganz unbekannten indisch-englischen Autors | |
bei seinem Erscheinen im Jahr 1981 ausgelöst hat. | |
Was dann aber bleibt, ist ein Museumsstück in schön bunten Farben, | |
handwerklich braver magischer Realismus in der Phase der Akademiemalerei. | |
„Mitternachtskinder“ erzählt fünf Jahrzehnte indischer Geschichte als | |
eigenwillige Allegorie. Von den Kapriolen des Buches, auch von seinem alles | |
andere als respektvollen Ton ist in Deepa Mehtas gediegenem | |
Ausstattungskino freilich kaum etwas übrig. | |
Vielmehr hat Rushdie in seiner Geschichte nicht nur ordentlich aufgeräumt, | |
sondern sie mit entschiedenen Ergänzungen und Strichen zu einer Darstellung | |
der indisch-pakistanischen Entzweiung arrondiert. Während im Roman der in | |
behüteten Verhältnissen aufwachsende Saleem Sinai der Protagonist ist, | |
erhält im Film sein mit ihm kurz nach der Geburt ausgewechselter Gegenpart | |
Shiva mehr Gewicht. Vor allem im Widerstreit haken die beiden wichtige | |
Kapitel indisch-pakistanischer Geschichte des 20. Jahrhunderts ab. | |
Saleem Sinai, das Mitternachtskind, versammelt (oder halluziniert) zur | |
Geisterstunde alle anderen in der Minute der indischen Unabhängigkeit | |
geborenen Kinder. Nicht ohne melodramatische Momente, aber nie in | |
besonderer Nähe zur Bollywoodform, inszeniert Deepa Mehta das Auf und Ab | |
der privaten Schicksale und Saleems Schizogeschichte. | |
Der mal schönen, mal enervierenden Beliebigkeit des Rushdie’schen | |
Romanfabulierens gebietet der historiografische Auftrag nun immerzu | |
Einhalt. Eigene Bildfantasie ins Kraut schießen zu lassen und so oder | |
anders eine ästhetische Entsprechung zum Roman zu entwickeln, hat sich die | |
Regisseurin sichtlich verboten. Die Bilder bleiben darum Einstellung für | |
Einstellung Illustration. Weder die Literatur noch das Kino haben mit | |
dieser Verfilmung etwas gewonnen. | |
28 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
## TAGS | |
Film | |
Kino | |
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