# taz.de -- Petra Kelly und Helmut Kohl: Die heilige Grüne und der Monolith | |
> Kelly und Kohl verbindet mehr als Gleichzeitigkeit. Beide waren | |
> Repräsentanten eines Entweder-Oder. Getrieben von friedenspolitischen | |
> Motiven. | |
Bild: Gert Bastian, Petra Kelly, Erich Honecker und Helmut Kohl (von links) wä… | |
BERLIN taz | Sie war die Ikone der sozialen Bewegungen und der Grünen. | |
Heute vor 20 Jahren starb Petra Kelly durch die Hand ihres Lebensgefährten | |
Gert Bastian, der sich nach der Tat selbst erschoss – auf den Tag genau | |
zehn Jahre nachdem Helmut Kohl erstmals zum Kanzler der Bundesrepublik | |
Deutschland gewählt worden war. | |
Auf den Tag genau? Sicher ist das nicht. Ganz präzise ließ sich der | |
Todeszeitpunkt nicht mehr ermitteln, da die Leichen der beiden lange | |
unentdeckt in der gemeinsamen Wohnung in Bonn gelegen hatten. Erst nach | |
fast drei Wochen wurden sie gefunden. Ein brutaler Beweis dafür, wie einsam | |
es um Petra Kelly und auch um Gert Bastian geworden war. | |
Natürlich fielen die Wahl von Helmut Kohl und der Tod von Petra Kelly nur | |
wegen eines kalendarischen Zufalls mit dem Abstand von zehn Jahren auf – | |
vermutlich – dasselbe Datum. Aber manchmal sind es gerade solche Zufälle, | |
die den Blick dafür schärfen, welch enger Zusammenhang zwischen Personen | |
besteht, die auf den ersten Blick wenig zu verbinden scheint. Für den | |
einstigen Monolithen der CDU und das ehemalige grüne Heiligenbild gilt das | |
in besonderem Maße. | |
Weggefährten waren sie niemals, Zeitgenossen schon – und zwar in einem | |
tieferen Sinne als lediglich aufgrund der banalen Gleichzeitigkeit ihres | |
Handelns. In den frühen 80er Jahren fühlte sich fast die gesamte | |
westdeutsche Bevölkerung von Helmut Kohl und von Petra Kelly vertreten. | |
Nicht vorbehaltlos, schon gar nicht vorbehaltlos begeistert. Aber eben | |
doch: repräsentiert. Allerdings dürfte es fast niemanden gegeben haben, der | |
beiden zugleich positive Seiten abzugewinnen vermochte. Es galt ein | |
striktes Entweder-oder. In einem viel radikaleren Sinne als heute. | |
Die westdeutsche Gesellschaft der 80er Jahre war in ideologischer Hinsicht | |
verhärtet und verkrustet. Unversöhnlich standen die verschiedenen Lager | |
einander gegenüber. Weite Teile des linksliberalen Spektrums – bis hinein | |
in den Bürgerrechtsflügel der FDP – sahen in der Anhängerschaft der Union | |
entweder irregeführte Naive oder verkappte Faschisten. Weite Teile des | |
Lagers, das sich selbst als bürgerlich definierte, hielten die politischen | |
Gegner für Sympathisanten des Terrorismus. Wenn nicht gar für potenzielle | |
Terroristen. Der Riss verlief quer durch Familien, und er zerstörte | |
Freundschaften. | |
Die demokratische Legitimation zu seiner Kanzlerschaft holte sich Helmut | |
Kohl bei vorgezogenen Neuwahlen am 6. März 1983. Bis dahin hatte er seine | |
Macht als Regierungschef nur aus dem Koalitionswechsel der | |
FDP-Bundestagsfraktion von der SPD hin zur Union bezogen, also aus einem | |
Vorgang innerhalb der Institutionen des politischen Systems. Diesen Makel | |
konnte er mit einer eigenen Mehrheit der Wählerstimmen für das neue | |
Regierungsbündnis beseitigen. | |
Wie reagierten darauf seine erbittertsten Gegner, also jene Teile der | |
Bevölkerung, denen selbst der SPD-Politiker Helmut Schmidt als der | |
Inbegriff des Reaktionärs erschienen war? Relativ gelassen. Immerhin war | |
doch der jungen, neuen Partei „Die Grünen“ erstmals der Einzug in den | |
Bundestag gelungen. | |
## Politischer Stolperstein | |
Deren Ziel, nämlich das politische Klima im Land von Grund auf zu ändern, | |
schien mit Sonnenblumen und Strickpullovern im Bundestag in greifbare Nähe | |
gerückt zu sein. Der Wechsel von einem seinerzeit vor allem als Technokrat | |
beurteilten SPD-Kanzler zu einem bräsigen CDU-Provinzler wurde allenfalls | |
als Stolperstein auf dem Weg zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel | |
betrachtet, keineswegs als dauerhaftes Hindernis. | |
Vielen Vertretern beider Seiten ging es mehr um das Klima, um das | |
Lebensgefühl, als um Sachfragen. Der Patriarch aus der Pfalz gab einem | |
Milieu die dringend gewünschte Sicherheit, das auf die Herausforderungen | |
einer sich wandelnden Welt in zunehmendem Maße verunsichert reagierte. | |
Familie, Heimat, Beständigkeit – das waren die Koordinaten des Systems von | |
Helmut Kohl. Als wie verlogen sie sich im Hinblick auf seine Person viel | |
später herausstellen sollten, hätten seinerzeit weder seine Gegner noch | |
seine Anhänger für möglich gehalten. | |
Linke und Liberale haben Helmut Kohl lange nicht ernst genommen. Unbeholfen | |
und tumb wirkte er. Der Spitzname „Birne“ schien ihn hinreichend zu | |
charakterisieren, um ihn spöttisch als Übergangserscheinung abtun zu | |
können. Seine Ankündigung, die „geistige und moralische Wende“ | |
herbeizuführen, war in den Augen der Opposition nicht bedrohlich, sondern | |
lächerlich. | |
## Länger als alle Vorgänger | |
Was für ein Irrtum. 16 Jahre insgesamt sollte der pfälzische Katholik im | |
Amt bleiben und somit länger regieren als alle seine Vorgänger. Mit seinem | |
Amtsantritt begann eine Zeit, die seine politischen Gegner und sogar einige | |
seiner einstigen Anhänger später als bleiern beschreiben würden. Die aber | |
insgesamt seiner Partei, die sich als konservativ verstand, in einer Phase | |
des Umbruchs eine geistige Heimat bot. Diffus und dennoch verlässlich. Wie | |
verlässlich, das merkten Parteigänger von CDU und CSU erst, als die Ära | |
Kohl vorbei war. Als nämlich die ostdeutsche Protestantin Angela Merkel die | |
Führung übernommen hatte und langsam, allmählich, geduldig jedes Prinzip | |
der Konservativen zur Disposition stellte – und auch aufzugeben bereit war, | |
solange die Verhandlungsbereitschaft ihr nur die Macht sicherte. | |
Die Grünen wurden schneller desillusioniert. Das parlamentarische System | |
zähmte sie rasch. Dabei hatten die meisten Anhänger der Partei gedacht, das | |
werde umgekehrt funktionieren. Die Enttäuschung über das gebrochene, schon | |
vom SPD-Kanzler Willy Brandt gegebene Versprechen, mehr Demokratie zu | |
wagen, wirkt bis heute nach. | |
Eines der Opfer dieses Prozesses war Petra Kelly. Die 1947 geborene | |
Aktivistin – ein inzwischen abgegriffenes Wort, aber gibt es ein besseres | |
für eine prominente Vertreterin der Friedensbewegung, der ökologischen | |
Bewegung, der demokratischen Bewegung ihrer Zeit? – war, wie viele ihrer | |
Generation, zunächst Anhängerin der SPD gewesen und sogar Parteimitglied. | |
1979 trat sie aus, 1980 wurde sie Gründungsmitglied der Grünen. | |
Eine Hoffnungsträgerin, über die bereits eine Biografie verfasst wurde, als | |
sie erst 35 war, „Politikerin aus Betroffenheit“. Hoffnungsträgerin war sie | |
auch und vor allem in einer Hinsicht: Kelly war eine der ersten deutschen | |
„Weltbürgerinnen“. Die Kindheit hatte sie in Deutschland verbracht, die | |
Jugend in den USA, die frühen Jahre ihrer Berufstätigkeit bei der | |
Europäischen Kommission in Brüssel – damals noch eine seriöse Adresse für | |
demokratisches Engagement. „Wir sind eine Welt“: Der heute sentimental | |
anmutende Satz der sozialen Bewegungen war seinerzeit weder kitschig noch | |
abgedroschen. Sondern stand für ein umfassendes politisches Programm. Das | |
jedoch, mangels interkultureller Erfahrungen, nur von wenigen glaubwürdig | |
vertreten werden konnte. | |
## Kompromissloses Glühen | |
Petra Kelly war eine der wenigen, die es vertreten konnte. Sie glühte. Für | |
Umweltschutz, für Friedenspolitik, für Menschenrechte. Kompromisslos war | |
sie. Und offenbar wahnsinnig anstrengend. Mit Bürgerrechtlern aus der DDR | |
pflegte sie intensive Kontakte, der Schutz von ungeborenem Leben war ihr | |
ein Anliegen. Keine Themen, für die ihre neue Heimat – die Partei der | |
Grünen – stand. | |
Vielleicht hätten ihre politischen Verbündeten sogar die widerspenstige | |
Petra Kelly ausgehalten, vielleicht hätten sie sogar mit den Widersprüchen | |
ihrer politischen Position leben können. Immerhin war sie ja ein Vorbild, | |
das weit über die Parteigrenzen hinaus wirkte. Ihre radikale Ehrlichkeit | |
brachte Wählerstimmen. | |
Wenn sie bloß nicht so fiebrig intensiv gewesen wäre. Wenn sie nicht so | |
unfassbar sicher gewesen wäre, das nur ihr Weg – nur ihr Weg – zum Ziel | |
führen würde. Wenn sie sich doch wenigstens an Übereinkünfte gehalten | |
hätte. Zum Beispiel daran, dass Abgeordnete der Grünen im Bundestag nach | |
zwei Jahren ihren Platz für Nachrücker räumen, also „rotieren“. Damit si… | |
in der neuen, alternativen Partei eine Klasse der Berufspolitiker erst gar | |
nicht etablieren kann. Oder daran, dass ein bestimmter Teil der Einnahmen | |
aus öffentlichen Ämtern der Partei zu spenden ist. Beide parteiinternen | |
Absprachen hat sie nicht respektiert. | |
Für allzu wichtig hielt sie ihre Anliegen, man könnte auch sagen: Für | |
unersetzlich hielt sie sich selbst. Wie groß war der Unterschied zwischen | |
Petra Kelly und Helmut Kohl? Der Exkanzler stellte – Jahre nach ihrem Tod – | |
im Zuge der CDU-Spendenaffäre das eigene Ehrenwort über Recht und Gesetz. | |
Das ist nicht dasselbe wie mangelnde Bereitschaft, Einkünfte an eine Partei | |
abzuführen. Gewiss nicht. Festzuhalten aber bleibt: Beide, Petra Kelly wie | |
Helmut Kohl, haben sich selbst als Person und den von ihnen vertretenen | |
politischen Kurs für wichtiger gehalten als jedes Regelwerk. | |
## Erkennbare Gemeinsamkeit | |
Das war nicht die einzige Gemeinsamkeit. Seltsame Ironie: Ausgerechnet der | |
auf oft fürchterliche Weise deutschtümelnde Pfälzer hat den Prozess der | |
europäischen Integration vorangetrieben wie kaum jemand anderes – außer | |
Petra Kelly. Beide waren dabei vor allem von friedenspolitischen Motiven | |
getrieben. In den Zeiten, in denen erbittert für oder gegen die Nachrüstung | |
und den Nato-Doppelbeschluss gekämpft wurde, fehlte allen Beteiligten die | |
Gelassenheit, um diese Gemeinsamkeit zu erkennen. | |
Je stärker sich die Grünen professionalisierten, desto blasser wurde das | |
Bild von Petra Kelly. Desto einsamer wurde sie. Am Ende ihres Lebens war | |
sie krank, beruflich erfolglos, von Geldsorgen gequält. Ihr Lebensgefährte, | |
der ehemalige General Gert Bastian, arbeitete in friedenspolitischen | |
Organisationen mit, die – wie heute bekannt ist – von der Stasi gesteuert | |
wurden. Ob und in welchem Umfang ihm selber das bewusst war, ist ungeklärt. | |
Ungeklärt ist auch, was ihn letztlich veranlasst hat, erst Petra Kelly und | |
danach sich selbst zu töten. Überforderung sei es wohl gewesen, vermuteten | |
später Hinterbliebene. Auch er sei ein Opfer gewesen. | |
Opfer gab es, wie heute bekannt ist, auch in der Familie des Kanzlers. | |
Weder Kohl noch Kelly konnten dem öffentlich von ihnen gezeichneten Bild | |
gerecht werden. Die Realität war vielschichtiger. Und doppelbödiger. | |
1 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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