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# taz.de -- US-Journalist über Populismus: „Rechte faken sozialen Widerstand…
> Der US-amerikanische Journalist Thomas Frank über sein Buch „Arme
> Milliardäre“ und den Aufstieg der konservativen Tea Party.
Bild: Sarah Palin als Button? Der Tea Party ist auch jedes Mittel recht.
sonntaz: Herr Frank, in Ihrem Buch „Arme Milliardäre“ knöpfen Sie sich den
Populismus der wiedererstarkten Konservativen in den USA vor. Im Zentrum
steht das Comeback des Laisser-faire-Gedankens. Gehörte der nicht immer
schon zur republikanischen Agenda?
Thomas Frank: Sicher. Aber ein vollständig freier Markt wäre Anarchie. Es
gibt immer irgendeine Form staatlichen Eingreifens. Die Frage ist, wie
viel. In den letzten dreißig Jahren ist kontinuierlich dereguliert worden.
Man kann die Dinge, die an der Wall Street zur Krise von 2008 geführt
haben, sehr genau auf bestimmte Deregulationen zurückführen. Nehmen Sie zum
Beispiel die aggressive Vergabe von Krediten, als die Banken anfingen,
enorme Darlehen an Leute zu vergeben, die sich das nicht leisten können.
Vorher hatte jeder einzelne US-Bundesstaat ein anderes Gesetz dazu. Die
Bush-Regierung hat diese Gesetze zu einer Bundessache erklärt. Und dann
haben sie die Strafverfolgung einfach eingestellt.
Welche Art von freiem Markt meinen die heutigen Konservativen?
2008 war der Marktradikalismus eigentlich diskreditiert. An diesem Punkt
hatten die Konservativen zwei Möglichkeiten. Die erste, naheliegende
Möglichkeit wäre gewesen, ihre Überzeugungen abzuschwächen. Die andere
bestand darin, zu behaupten, wir hätten nicht genügend dereguliert. Ich war
wirklich erstaunt, als sie damit ankamen. Von Libertären war in Amerika
immer schon zu hören, der Kapitalismus könne für Krisen nicht
verantwortlich gemacht werden, weil er nie voll zum Zuge gekommen sei. In
Washington gibt es eine große Gruppe von Intellektuellen, die sich für
diese Ideen starkmachen. Ich habe diese Leute immer für ziemlich extrem
gehalten. Und plötzlich war das genau die Linie, die von den Republikanern
verfolgt wurde. Ein deutliches Zeichen dafür ist, dass Paul Ryan, einer der
prominenten Aktivisten der Tea-Party-Bewegung, von den Republikanern zum
Vizepräsidentschaftskandidaten gekürt wurde.
Die Tea Party gründete sich 2009 als außerparteiliche Bewegung …
Ja, anfangs haben sie behauptet, nicht Teil einer politischen Partei zu
sein. Das war schon damals lächerlich. Alle Tea-Party-Anhänger wählen die
Republikaner. Die Tea Party wurde von Newt Gingrich und Dick Armey
organisiert, beide sind Republikaner. Die Idee war, das schlechte Image der
Rechten loszuwerden, das aus den Bush-Jahren resultierte, das
Kriegstreiber-Image etwa. Sie suchten nach einem Weg, den Konservatismus
außerhalb der Republikanischen Partei zu revitalisieren. Am Ende kehrten
sie alle in den Schoß der Partei zurück. Ich komme aus Kansas, das war
immer ein moderat republikanischer Bundesstaat. Der frühere
Präsidentschaftskandidat Bob Dole stammt von dort. Voriges Jahr hat die Tea
Party dort die Partei der Republikaner komplett übernommen und alle
moderaten Mitglieder rausgeschmissen.
Wie gelang es der Tea-Party-Bewegung, so viele Wähler vom
Marktfundamentalismus zu überzeugen?
Ein ganz entscheidender Faktor sind dabei die Bankenrettungen. Diejenigen,
die alles falsch gemacht haben, sind von der Bundesbank und dem
Finanzministerium gerettet worden, anfangs unter George W. Bush, und Barack
Obama hat diese Politik dann fortgesetzt. Die Leute waren außer sich, dass
es in dieser Geschichte ausgerechnet für die Bösewichte zu einem Happy End
kam, während andere ihre Jobs und ihre Häuser verloren. Die Tea Party hat
argumentiert – und da ist ja was dran –, im wahren Kapitalismus wären diese
Banken einfach pleitegegangen. Das war keine wirkliche Option, denn sonst
hätten wir jetzt eine Große Depression. Aber nachdem die Bail-outs bereits
vollzogen waren, war es eine sehr effektive Art, mit der Empörung der Leute
umzugehen. Noch dazu haben die Konservativen die Symbole der
Bürgerrechtsbewegungen der Sechziger und Siebziger übernommen. Der
rechtspopulistische Radio- und TV-Moderator Glenn Beck, bis April 2011 eine
große Nummer beim Sender Fox News, hat eine große Demo in Washington
organisiert, ausgerechnet am Geburtstag von Martin Luther King. Die neuen
Rechten imitieren und faken Formen des sozialen Widerstands und
kanalisieren damit die Empörung der Menschen.
Welche Rolle spielen herkömmliche Werte der Republikaner noch, etwa ein
konservatives Familienbild, die Ablehnung von Homosexualität und
Abtreibungen?
Der Kulturkampf steht nicht mehr oben auf der Agenda. Früher haben die
Republikaner über nichts anderes geredet. Das hat sich völlig geändert.
Todd Akin aus Missouri, der jüngst mit seiner Äußerung Schlagzeilen machte,
von Vergewaltigung werde keine Frau schwanger, bildet da eine der wenigen
Ausnahmen. Die Demokratische Partei hat das Kulturelle viel stärker auf der
Agenda.
Aber es gibt doch nach wie vor eine Fraktion der Republikanischen Partei,
die nicht so marktradikal ist, wie es die Tea Party gern hätte?
Oh ja. Mitt Romney gehörte früher, in seiner Zeit als Governor von
Massachusetts, auch zu den Moderaten. Erst als er 2008
Präsidentschaftskandidat wurde, ist er nach rechts gedriftet.
Könnte er nicht den Einfluss der Tea Party zurückdrängen?
Er könnte. Aber die Republikaner sind momentan in einer
Glaubwürdigkeitsfalle, sie sorgen sich ständig, nicht konservativ genug zu
sein. Leute wie Romney laufen da immer Gefahr, als zu schwach angesehen zu
werden. In der Demokratischen Partei dagegen flüchtet man geradezu vor der
Frage nach demokratischer Authentizität. Alle wollen Demokraten neuen
Schlags sein wie Bill Clinton, bloß nicht wie Roosevelt.
Wie hätten die Demokraten Ihrer Meinung nach reagieren sollen?
Es ist nicht so schwer, den Leuten zu erzählen, wo Fehler passiert sind
während der Bush-Regierung. Unglücklicherweise ist das einer der Punkte, an
denen Obama wirklich versagt hat. Er ist niemals zurückgegangen und hat der
amerikanischen Öffentlichkeit erklärt, wie wir in diesen Schlamassel
geraten sind.
In Ihrem Buch „Arme Milliardäre“ werfen Sie Barack Obama außerdem vor,
keine wirtschaftspolitische Vision zu haben, sondern in vielem Bushs
Politik fortgesetzt zu haben. Was ist denn mit seiner Außenpolitik?
Obama selbst spricht nicht gern über Außenpolitik. Das liegt auch daran,
dass sie den Wählern in den USA nur dann wichtig ist, wenn es gerade einen
Krieg gibt. Trotzdem kritisieren viele Obamas Drohnen-Angriffe. Oder seine
Todeslisten, da stehen sogar Amerikaner drauf. Mich hat besonders
entmutigt, dass er den „Patriot Act“ [Antiterrorgesetz, erlassen von George
W. Bush, das die Bürgerrechte erheblich einschränkt, Anm. d. Red.] nicht
wie angekündigt abgemildert hat. Das war einer der Gründe, warum ich ihn
das letzte Mal gewählt habe.
Auch viele Europäer, die während des letzten Wahlkampfs flammende
Obama-Fans waren, zeigen sich jetzt enttäuscht. Aber seine Strategie,
diesmal nicht so stark zu polarisieren, sondern auf Kontinuität und
Solidität zu setzen, scheint derzeit doch aufzugehen?
Obama liegt momentan vorn in den Meinungsumfragen. Ich denke, er wird
gewinnen. Trotzdem: Für mich war seine Rede auf der National Democratic
Convention in Charlotte eine Enttäuschung. Nehmen Sie seine Äußerungen, wie
wichtig Erziehung sei. Er meint damit nicht etwa, die öffentlichen Ausgaben
für Bildung müssten erhöht oder ein Daumen auf die Gebühren gelegt werden,
die amerikanische Universitäten verlangen. Er meint damit, es sollten mehr
Kredite an Studenten vergeben werden. Obama ist immer noch unbestritten ein
großer Redner. Aber diesmal hatte er überhaupt keine schlagkräftigen
Parolen wie etwa Ronald Reagan oder noch früher John F. Kennedy, Parolen,
die eine Ideologie wie im Brennglas zeigen.
Sie wünschen sich einerseits, dass Obama populistischer ist, und
andererseits, dass er den Wählern komplizierte Sachverhalte ausführlich
erklärt?
Vielleicht verlange ich wirklich zu viel von dem Mann. Aber ich bin
überzeugt, dass er eine Menge Gelegenheiten verpasst hat. Ganz Amerika
fragt sich, wie es 2008 zur Krise kommen konnte. Obama erklärt es den
Leuten nicht, er überlässt stattdessen das Feld den Marktradikalen. Und
deren Antwort auf die Frage, warum die Regulationsmechanismen versagt
haben, lautet: weil Regierungen immer scheitern. So wie Paul Ryan. Und er
ist erst 42 Jahre alt, mit ihm wird bei den nächsten Präsidentschaftswahlen
noch zu rechnen sein.
13 Oct 2012
## AUTOREN
Christiane Müller-Lobeck
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