# taz.de -- TEMPORÄRES BERLIN I: Jedem Umzug wohnt ein Zauber inne | |
> Eine neue Liegenschaftspolitik ist schön und gut. Aber mit der | |
> Verstetigung des Temporären geht auch der Reiz des Flüchtigen verloren. | |
> Ein Rück- und Ausblick. | |
Bild: Wird vielleicht durch den Umzug lebendig bleiben: Das Yaam. | |
Es gibt da einen sehr interessanten Chronisten des bewegten Berlins der | |
Neunziger, zumindest auf dem Feld der Clubkultur. Martin Eberle heißt er, | |
und als sein Fotoband mit dem Titel „Temporary Spaces“ erschien, da waren | |
gerade die Bonner Betonköpfe nach Berlin gezogen. Die alten Häuser wurden | |
angemalt, die Mieten stiegen bedrohlich. Ein Kapitel in Berlins Clubszene | |
war zu Ende gegangen – die wildeste, improvisierteste Zeit, in der sich, | |
wie Martin Eberle sagt, „die Leute einfach irgendwo ein Loch suchten – | |
damals gab es ja in Ostberlin überall Ruinen – und da ihre Musik | |
anmachten.“ | |
Die Fotos in Martin Eberles Buch „Temporary Spaces“ zeigen Clubs, die es | |
zum Teil schon damals nicht mehr gab: Den Eimer, das Dirt, das Kunst und | |
Technik. Sie zeigen die Läden im aufgeräumten Zustand vor – und im | |
verwüsteten Zustand nach der Party. Sie strahlen tiefe Melancholie aus. | |
Vielen Zeitzeugen ist das Buch darum eines der wichtigsten, eine | |
nostalgische Liebeserklärung an die Welt der überaus umtriebigen Kellerbars | |
und Hinterhofkreativen, eine traurige Erinnerung an eine unbeschwertere | |
Welt, in der das Leben noch nicht ganz so viel kostete, in der jeder fast | |
alles durfte und fast gar nichts musste. | |
Heute gibt es nicht mehr viele Freiräume in Berlin. Es ist immer | |
schwieriger und kostspieliger geworden, umzuziehen. Daher ist es gut und | |
richtig, dass die Politik endlich eingesehen hat: Es müssen auch noch Orte | |
für Berlins Kreative übrig bleiben, die die Stadt zu dem gemacht haben, was | |
sie ist. So wurde es auch Zeit, dass es beim Verkauf landeseigener | |
Grundstücke nicht mehr nur um den Verkaufspreis geht, sondern auch um | |
soziale, ökologische oder kulturelle Konzepte. | |
Ebenso ist es schön, dass die Prinzessinnengärten wohl auf dem Moritzplatz | |
bleiben dürfen. Und doch: Ihre Macher waren einst als moderne Stadtnomaden | |
angetreten, die ihre Petersilie vor allem deshalb in Bäckerkisten und | |
Milchtüten pflanzten, damit sie jederzeit weiterziehen könnten. Die urbanen | |
Gärten werden sich verändern, wenn diese Nomaden Wurzeln schlagen. Kann | |
sein, dass auch sie irgendwann die Polizei rufen, wenn laute Nachtschwärmer | |
das sonntägliche Kaffeekränzchen im Robinienwäldchen stören. | |
Es gehört heute wohl zum sogenannten Hausfrauenwissen, was Bestellerautor | |
Bruce Chatwin über die Sesshaftwerdung des Menschen dachte: dass unsere | |
Kultur unbedingt depressiver sei als die der Jäger und Sammler, die überall | |
ihre Zelte aufschlagen können. Und doch hat wohl auch der Fotograf Martin | |
Eberle so gedacht, als er mit seinen Mitstreitern beschloss, 1999 nach nur | |
drei Jahren die Galerie Berlin Tokyo zu schließen, einen der lustigsten und | |
erstaunlichsten Läden seiner Zeit. Man fand, dass die Galerie zu viel | |
Arbeit machte, um sie nebenher zu betreiben. Man fühlte, dass | |
Beharrlichkeit und Professionalisierung im Reich der Ideen oft Erstarrung | |
bedeuten kann. | |
Vielleicht ist es genau dieses Spielerische im Berlin der Neunziger, das | |
man manchmal vermisst, wenn man mit sehr vernünftigen Geschäftsleuten wie | |
den Machern des zukünftigen Holzmarkts spricht, die ja nun auch ihren Ort | |
gefunden haben. So oder so wird sich wohl erst in den nächsten Jahren | |
entscheiden, welche Projekte lebendiger bleiben werden: solche wie der | |
Holzmarkt und die Prinzessinnengärten, die jetzt dort alt werden dürfen, wo | |
sie sind – oder solche wie das Yaam, das eine neue Brache wird besetzen | |
müssen. Eine Brache zumal, die noch in keinem Reiseführer steht. | |
12 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
## TAGS | |
Nachtleben | |
90er Jahre | |
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