# taz.de -- Aleppo im syrischen Bürgerkrieg: Der Geruch des Krieges | |
> Der syrische Bürgerkrieg ist auf beiden Seiten gnadenlos. Nun droht er | |
> das kulturelle Erbe einer der ältesten Städte der Welt zu zerstören. Eine | |
> Reportage. | |
Bild: „Wäre mein Bruder in der Armee, würde ich ihn töten“: Rebellen in … | |
ALEPPO taz | Es riecht nicht nach Krieg, es riecht nach Kardamom. Das Dach | |
aus Weinblättern wirft Schattenspiele auf die Karte von der Altstadt. In | |
der Mitte ist die Zitadelle eingezeichnet, drum herum liegen die unzähligen | |
engen, verwinkelten Gassen. Bevor der Krieg nach Aleppo kam, wurden hier | |
Gewürze verkauft, Seife und Seide, seit Hunderten von Jahren. „Niemand ist | |
mehr hier, nur noch Kämpfer“, sagt Abu Oubeida. Er fährt mit seinen Fingern | |
über die Karte und zeigt, welche Gebiete die syrischen Rebellen eingenommen | |
haben und wo gekämpft wird. | |
Aleppo ist eine der ältesten Städte der Welt. Die Altstadt mit ihren | |
Kirchen, Moscheen, Synagogen, den Marktplätzen und den Badehäusern aus dem | |
12. Jahrhundert ist Weltkulturerbe. Seit drei Monaten tobt der Bürgerkrieg. | |
Etwa ein Drittel der Bevölkerung soll geflohen oder in sichere Stadtviertel | |
umgezogen sein. Die Rebellen kämpfen mit Kalaschnikows und Rohrbomben, die | |
Regierung setzt Panzer und Kampfjets ein. Die Schlacht im Souk, im Basar | |
Aleppos, droht das Kulturerbe zu zerstören. | |
Abo Oubeida, grau meliertes Haar und einer der älteren Kämpfer, gehört zu | |
den wenigen Rebellen, die aus der Stadt selbst kommen. Die meisten Kämpfer | |
sind aus der Provinz. Sie haben den Krieg nach Aleppo gebracht, in das | |
wirtschaftliche Herz Syriens, für dessen Bewohner zu viel auf dem Spiel | |
stand, um aus eigenem Antrieb gegen Assad zu rebellieren. Bis heute hängen | |
in den von Rebellen kontrollierten Straßen der Altstadt noch Plakate mit | |
seinem Bild. | |
Abu Oubeida bekommt einen Hilferuf per Funk. Ein paar Gassen weiter hält | |
sich noch eine Familie versteckt, jetzt will sie fliehen. Abu Oubeida soll | |
sie in Sicherheit führen, klopft an ihre Tür. Eine schwarz verschleierte | |
Frau öffnet. Sie reicht Abu Oubeida ihr jüngstes Kind. Er nimmt es in den | |
Arm, fängt an zu rennen. Die Frau und ihre anderen beiden Kinder folgen | |
ihm. | |
## Flucht durch die Hinterhöfe | |
Der Weg von der Front in Aleppos Souk führt die Gruppe durch Wohnzimmer, in | |
denen die Farbe von den Wänden blättert, und Hinterhöfe mit Spitzbögen. Die | |
Rebellen haben, um nicht in die Schusslinie der Scharfschützen zu geraten, | |
Löcher in die Wände geschlagen, damit sie sich nicht in den offenen Gassen | |
bewegen müssen. Sie rennen treppab und treppauf, ducken sich durch enge | |
Öffnungen im Sandstein, drücken sich an Mauern entlang. Schließlich | |
erreichen sie einen Basar, wo ein Transporter wartet. Die Familie setzt | |
sich auf die Ladefläche, der Wagen rast davon. | |
Abu Oubeida kehrt zu seiner Einheit zurück. Seine Leute rücken weiter vor, | |
wollen einen Checkpoint der syrischen Armee angreifen. Einzeln spurten sie | |
über eine vierspurige Straße, die die Altstadt durchschneidet. Sie müssen | |
schneller sein, als die Scharfschützen am Ende der Straße zielen können. In | |
Aleppos Altstadt findet ein Häuserkampf statt, wie er extremer kaum sein | |
könnte. Es ist eine Schlacht im Labyrinth, stockfinster in der einen Gasse, | |
gleißend hell an der nächsten Ecke. Innerhalb von Sekunden können die engen | |
Gassen zu Todesfallen werden. | |
Die Männer teilen sich auf, sie wollen von zwei Seiten angreifen. Abu | |
Oubeida und seine Gruppe beziehen Stellung in einer Gasse neben einer | |
Seifenfabrik, Jasminduft liegt in der Luft. „Es riecht wie in einem | |
Kosmetiksalon“, meint einer der Männer. „Nicht wie ein Krieg.“ | |
Die Kämpfer präparieren ihre selbst gebastelten Rohrbomben. Abdu Abdeh | |
Hari, 20 Jahre alt, rennt bis zu einem Wall aus Schutt, zündet die Bombe | |
und wirft sie auf die andere Seite, wo der Checkpoint der Armee ist. Vor | |
zwei Monaten war er noch regulärer Soldat, stationiert in der Zitadelle von | |
Aleppo. Er desertierte, als er die erste Gelegenheit fand, jetzt bekämpft | |
er seine ehemaligen Kameraden. „Wäre mein Bruder in der Armee, würde ich | |
ihn töten.“ | |
Die Bombe explodiert. „Einer ist getroffen“, erfahren die Rebellen über den | |
Funk der Armee. „Ich bin sehr glücklich, dass ich ihn getötet habe“, sagt | |
Abdu. Der Krieg in Syrien wird auf beiden Seiten gnadenlos geführt. | |
## Gegenschlag aus der Luft | |
15 Mann habe die Armee an dem Checkpoint postiert, sagen die Rebellen. Sie | |
sind 12. Hinter dem Checkpoint wartet das größere Ziel. In einer Schule | |
sollen 200 Milizen der Regierung stationiert sein. In einer Ecke haben die | |
Rebellen eine Art Propaganda- und Nachrichtenzentrum aufgebaut. Mit | |
versteckten Kameras beobachten sie die Schule auf einem Computer. Von einem | |
Telefon, das an einen Verstärker angeschlossen ist, spielen sie Musik. | |
Krächzend schallen revolutionäre Lieder durch die Gassen. | |
Der Gegenschlag lässt nicht lange auf sich warten. „Mig, Mig!“, schreien | |
die Männer. Ein Kampfjet stürzt sich auf die Altstadt nieder; er feuert | |
dröhnende Maschinengewehrsalven auf die Rebellen, steigt wieder auf, zieht | |
einen Kreis und wiederholt den Angriff. Wieder und wieder. Hier wirft er | |
keine Bomben ab. Zu nahe ist er an den eigenen Positionen. Panzer feuern in | |
die Marktstraßen, Geschosse durchschlagen die alten Mauern. Ein Transporter | |
rast durch die Gassen. Hupend bahnt er sich den Weg. Auf der Ladefläche | |
liegt ein Kämpfer. Er ist am Kopf getroffen. Sein Mitkämpfer sitzt | |
schreiend neben ihm. | |
Abu Oubeidas Einheit zieht sich zurück. Wieder geht es über die vierspurige | |
Straße. Die Scharfschützen, die die Kämpfer um Abu Oubeida auf dem Hinweg | |
nicht beachtet hatten, feuern diesmal. Die Kugeln wirbeln beim Einschlag | |
Staub auf. | |
Am nächsten Tag nehmen die Rebellen die Umayyaden-Moschee ein, nur 24 | |
Stunden später erobert die Armee sie schon wieder zurück. Die Schlacht in | |
Aleppo wogt hin und her, bisher kann keine Seite einen entscheidenden Sieg | |
für sich verbuchen. Die Rebellen behaupten, dass sie drei Viertel der Stadt | |
halten, aber viele Gebiete werden immer wieder von der Armee eingenommen. | |
Zwischen den Fronten leidet die Zivilbevölkerung, und mit jeder Kugel und | |
jedem Mörser, die in der Altstadt verschossen werden, verliert Aleppo ein | |
Stück seines kulturellen Erbes. | |
Außerdem drohen Bildersturm und Plünderungen. Im Innenhof eines | |
historischen Spitals wurden die Gesichter von Statuen abgeschlagen. | |
Vermeintlich das Werk islamistischer Kämpfer. Die Museen seien von Soldaten | |
leer geräumt, erzählen Aktivisten. | |
Am Rande der Altstadt findet das Leben statt, als würde es keinen Krieg in | |
Aleppo geben. Händler bieten frisches Gemüse und Nüsse an, Kinder spielen | |
in den Gassen, Männer diskutieren am Straßenrand. Der Kebabmann fächelt | |
seinen Grill an. Es ist das romantische Klischeebild vom Nahen Osten. Bis | |
in der Nähe ein Mörser einschlägt und die Menschen ziellos wegrennen und | |
Schutz suchen, wo es keinen Schutz gibt. | |
In den Vorstädten liegt der Geruch von verbrennendem Abfall in der Luft, | |
von verfaulendem Fleisch und von Sprengstoff – es riecht nach Krieg. Der | |
Geruch scheint langsam zur Altstadt herüberzuziehen. | |
23 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Daniel Etter | |
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Lakhdar Brahimi | |
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