# taz.de -- Israelische Küche: „Sogar der Hüttenkäse ist politisch“ | |
> Koscheres Essen, Wein vom Golan und Streit um Falafel. Was im Heiligen | |
> Land auf den Tisch kommt, erzählt viel über seine Konflikte. | |
Bild: Hummus: Wer hat's erfunden? | |
Vieles von dem, was das heutige Israel ausmacht, kann man über die Küche | |
erklären. Die Spaltung in Religiöse und Nicht-Religiöse, den Konflikt | |
zwischen Juden und Muslimen, die Einflüsse von Einwanderern. Die einen | |
essen nie koscher, die anderen nur. Russische Juden stehen auf | |
Schweinefleisch – aber Schweine im Heiligen Land? Schwierig. Und dann ist | |
da noch der Streit, ob Falafel und Hummus arabisch oder israelisch sind. | |
Martin Krauß hat ein Buch über die israelische Küche geschrieben. Er hat | |
unsere Fragen beantwortet. | |
Falafel und Hummus: Wer hat es nun erfunden? | |
Israelis waren es nicht. Den jüdischen Staat gibt es ja erst seit 1948, und | |
Falafel und Hummus sind älter. Auf jeden Fall kommen beide Gerichte aus dem | |
Nahen Osten, wo auch schon seit Tausenden von Jahren die Kichererbse | |
wächst. Vor vier Jahren formierte sich im Libanon eine Initiative, dass | |
Hummus und Falafel, die in Israel hergestellt werden, nicht mehr als „Made | |
in Israel“ gelten dürften. Im Grunde ist dieser Streit die kulinarische | |
Variante des Streits, ob es den Staat Israel geben dürfe. Was übrigens | |
definitiv eine israelische Erfindung ist, sind die Falafel im Brot, mit | |
Salat und Joghurtsauce. | |
Schmeckt koscheres Essen? | |
Wenn der Koch nichts taugt, schmeckt koscheres Essen auch nicht. Aber sonst | |
ist es sehr lecker. Und in Zeiten, in denen Lebensmittelskandale auch in | |
Bioläden vorkommen, gilt der Koscherstempel des Rabbinats bei einigen | |
ernährungsbewussten Familien als Hinweis auf eine Art Mega-Bio-Öko-Essen. | |
Schließlich wird die Herstellung der Lebensmittel von einem Beauftragten | |
des Rabbinats überwacht, einem Maschgiach. Manchmal wird koscheres Essen | |
auch als älteste Trennkost der Welt bezeichnet, denn die wichtigste Regel | |
ist, dass Milchiges und Fleischiges getrennt werden: Ein Schuss Sahne in | |
das Gulasch, für das teures, koscheres Rindfleisch gekauft wurde, macht | |
alles treife, also unkoscher. Auch darf beispielsweise kein Schweine- oder | |
Pferdefleisch gegessen werden, ebenso sind Meeresfrüchte tabu. Doch die | |
Liste der Gerichte, die auf den Teller dürfen, ist immer noch unglaublich | |
lang. | |
Wo findet man denn Schweine in Israel? | |
In Tel Aviv gleich am neuen Busbahnhof, „Kingdom of Pork“ heißt der Laden. | |
Um in einer Stadt wie Tel Aviv ein koscheres Restaurant zu finden, muss man | |
schon lange suchen. Und Schwein findet sich auf den Speisekarten meist als | |
„white meat“, als weißes Fleisch deklariert. Obwohl seit zehn, fünfzehn | |
Jahren mit den Einwanderern aus der früheren Sowjetunion auch | |
Schweinemetzger ankamen: So richtig gehört das Schwein immer noch nicht zur | |
israelischen Küche. Gleichwohl gab es immer schon Kibbuzim, die Schweine | |
gezüchtet haben – auf Holzgestellen, damit das Heilige Land nicht | |
verunreinigt wird. | |
Essen Israelis zum Pessachfest wirklich eine Woche lang ungesäuertes Brot, | |
um an den Auszug aus Ägypten zu erinnern? | |
Die Israelis essen so unterschiedlich, wie sieben Millionen Leute halt | |
unterschiedlich essen. Die meisten jüdischen Israelis, immerhin etwa | |
achtzig Prozent der Bevölkerung, halten sich aber zu Pessach an das Gebot. | |
Eine Woche lang auf gesäuertes Brot zu verzichten ist aber nicht schlimm: | |
Es gibt leckere auf Matzen basierende Kuchen und Suppen oder Matzen mit | |
Schoko-überzug. Und wer’s partout nicht aushält, geht zum arabischen | |
Nachbarn in die Bäckerei. | |
Müssen Israelis den Arabern nicht ewig dankbar sein für ihre tollen | |
Gerichte? | |
Ja. Und den Polen. Und den Amerikanern. Und den Russen. Das ist ja das | |
Besondere an der israelischen Küche: dass sie so viele Einflüsse aus aller | |
Welt aufgenommen und vereinigt hat. Viele Juden sind auch aus arabischen | |
Ländern nach Israel eingewandert, aus Marokko, Syrien, dem Irak. Deren | |
Küche passt schon vom Gemüse her gut an die israelische Mittelmeerküste. | |
Und was haben die Jeckes, die aus Deutschland eingewanderten Juden, | |
gegessen, als sie in diese heiße Region kamen? | |
Wenn man von jüdischer Küche spricht, denkt man oft an die schwere | |
Schtetlküche aus Polen und Russland, die auch bei deutschen Juden | |
verbreitet war. Klassiker ist Gefilte Fisch, bestehend vor allem aus | |
Bällchen aus Fischfarce. Borscht gehört in diese Reihe, all das wird immer | |
noch gern gegessen, vor allem an Feiertagen. Aber die Mittelmeerhitze hat | |
die Schtetlküche leichter gemacht. Obstborscht ist so ein Beispiel: Statt | |
Kohl, Rote Bete und Rindfleisch kommen Pflaumen, Kirschen oder Nektarinen | |
rein. Und serviert wird kalt. | |
Welche Spuren hat die Kibbuzbewegung in der israelischen Küche | |
hinterlassen? | |
Vielleicht mehr, als sich noch in Politik und Gesellschaft finden lassen. | |
Die Kibbuzniks versorgten schon vor der Staatsgründung die wachsende | |
jüdische Gesellschaft mit Grundnahrungsmitteln. Hier wuchs das Gemüse und | |
Obst, und in den Küchen entstand gleichzeitig eine neue, eher funktionelle | |
Form des Essens. Das israelische Frühstück mit viel frischem Obst, | |
Weißbrot, Tomaten- und Auberginensalat und dem weißen, körnigen Hüttenkäse | |
verdanken wir den Kibbuzniks. | |
Warum ist dieser Hüttenkäse eigentlich politisch? | |
Im Juni 2011 protestierten Zehntausende Israelis überwiegend auf Facebook | |
dagegen, dass der beliebte Becher mit Käse in drei Jahren vierzig Prozent | |
teurer geworden war. Das weitete sich aus zu Protesten gegen allgemein | |
überhöhte Lebensmittel, zu hohe Mieten, zu schlechte Sozialstandards. Die | |
„Boycottage“-Kampagne gehört zu der Protestwelle, die Israel erschütterte | |
und die Netanjahu-Regierung zu Zugeständnissen zwang. | |
Von den Golan-Höhen, die Israel seit 1967 besetzt, kommt der beste Wein. | |
Darf Israel schon deshalb nie auf den Golan verzichten? | |
Schon erste zionistische Siedler haben in Palästina Wein angebaut, | |
finanziell unterstützt von Baron Rothschild. Am Golan gab es aber erst 1983 | |
die erste Lese, also 16 Jahre nach dem Sechstagekrieg. Die Golan Heights | |
Winery in Katzrin ist mittlerweile drittgrößter Weinproduzent Israels – und | |
oft Ziel von Boykottkampagnen. Dass in Katzrin auch jüdische, muslimische | |
und christliche Studenten an der Pädagogischen Hochschule eingeschrieben | |
sind, vergessen Boykotteure oft, wenn es um den Yarden-Wein geht. Ansonsten | |
stimmt natürlich: Nicht nur der Käse, auch der Wein ist in Israel | |
politisch. | |
26 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
Felix Zimmermann | |
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