# taz.de -- Begleitservice für Arbeitslose: Ohne Angst aufs Arbeitsamt | |
> Die meisten Deutschen gehen allein ins Jobcenter. Warum eigentlich, fragt | |
> sich eine Initiative – und vermittelt ehrenamtliche BegleiterInnen. | |
Bild: Um 100 Prozent haben sich die Beratungsgespräche verbessert, seit sie ei… | |
Wenn Andrea Siebert früher zum Arbeitsamt ging, hatte sie Angst. Sie habe | |
viele schlechte Erfahrungen gemacht, erzählt die 34-jährige Duisburgerin, | |
die als Altenpflegerin und Kurierfahrerin gearbeitet hat, bis sie aus | |
gesundheitlichen Gründen arbeitslos wurde. Beim Beratungsgespräch fühlte | |
sie sich nicht ernst genommen und von oben herab behandelt. Trotz | |
Übergewicht und gesundheitlicher Probleme sollte sie einen Ein-Euro-Job | |
annehmen und Grünflächen reinigen. | |
„Dann nehmen Sie halt ab“, habe die Arbeitsvermittlerin gesagt, als Andrea | |
Siebert darauf verwies, dass sie dazu körperlich nicht in der Lage sei. | |
Besser wurden ihre Erfahrungen erst, nachdem sie im Internet zufällig auf | |
die „Mitläufer“ stieß. Unter dem Slogan „Wir gehen mit“ begleitet die | |
Initiative Menschen zum Amt. | |
Siebert, die eigentlich anders heißt, bekam einen Mitläufer. Sie war | |
überrascht, wie anders die Termine danach verliefen, erzählt sie. „Die | |
Beratungsgespräche haben sich um hundert Prozent verbessert. Der Umgangston | |
ist freundlich und meine gesundheitlichen Probleme werden endlich | |
wahrgenommen.“ | |
## Reaktion auf Artikel von Ponader | |
Entstanden sind die Mitläufer im Juli 2012 als Reaktion auf einen | |
kritischen Zeitungsartikel von Johannes Ponader, politischer | |
Geschäftsführer der Piratenpartei und zeitweise selbst Hartz-IV-Empfänger. | |
Er erwähnte in dem Text, dass sich nur etwa zwei Prozent aller | |
Antragsteller bei Terminen im Jobcenter begleiten lassen, obwohl sie das | |
Recht dazu haben. Till Riebling, der in Mainz lebt und gerade sein Studium | |
abgebrochen hatte, fand diese Zahl erschreckend niedrig und suchte | |
daraufhin über Twitter nach möglichen BegleiterInnen. | |
Einer der Ersten, die auf Rieblings Tweet reagierten, war Frank Knott. Er | |
fand die Idee überzeugend. Knott lebt ebenfalls in Duisburg und hatte schon | |
vorher Bekannte zum Jobcenter begleitet. Aus dieser Zeit stammt auch seine | |
Motivation, bei den Mitläufern zu helfen. Als er eine Bekannte zum | |
Jobcenter begleitete, reagierte deren Sachbearbeiter ungehalten: „Mir wäre | |
lieber, Sie wären alleine gekommen“, habe er der Antragstellerin gesagt. | |
Für Knott war danach klar, dass niemand ohne Beistand zum Beratungsgespräch | |
gehen sollte, wenn er unsicher ist. Heute begleitet er neben Andrea Siebert | |
regelmäßig fünf weitere Arbeitslose zum Amt. Ihm ist bewusst, dass ein Teil | |
des Problems häufig nicht hinter dem Schreibtisch sitzt, sondern davor. | |
## Im Vorfeld beruhigen | |
Gleich beim ersten Termin für die Mitläufer traf er einen Mann, der schon | |
mit aggressiver Grundhaltung zum Jobcenter kam und deshalb Probleme mit dem | |
Sachbearbeiter hatte. Knott beruhigte ihn im Vorfeld und der Termin verlief | |
friedlich. Für Knott ein großer Vorteil der Begleitung. „Ich als | |
unbeteiligte Person kann viel sachlicher sein als der Antragsteller, für | |
den es um Existenzielles geht. Dadurch kann ich die gesamte Situation | |
entspannen.“ | |
Da die Mitläufer einen sehr persönlichen Bereich des Hilfesuchenden | |
betreten, gilt für alle Termine ein selbst formulierter Verhaltenskodex. | |
Wer sich auf der Mitläuferliste einträgt, verpflichtet sich, ihn | |
einzuhalten. Wichtigste Punkte sind Vertraulichkeit sowie das Bewusstsein, | |
dass jede Äußerung des Begleiters beim Termin behandelt wird, als habe der | |
Arbeitssuchende selbst etwas gesagt. Deshalb wird im Vorfeld besprochen, ob | |
der Mitläufer überhaupt zu Wort kommen soll. | |
## „Es geht um den Beistand“ | |
Wenn nötig, schreibt er im Anschluss ein Protokoll über den Verlauf des | |
Gesprächs und kann getroffene Vereinbarungen bezeugen. Eine Rechtsberatung | |
wollen die Mitläufer aber nicht anbieten. „Das könnten wir nicht leisten, | |
uns geht es um den Beistand beim Termin“, sagt Frank Knott. | |
Die Idee der Begleitung an sich ist nicht neu. Andere Initiativen wie der | |
Erwerbslosenverein Tacheles bieten schon länger Beistand bei Amtsterminen | |
an – in Arbeitslosenforen suchen Hartz-IV-Empfänger nach Begleitern, häufig | |
geht ein Antragsteller beim anderen mit. | |
Die Mitläufer wollen die Suche koordinieren und ein Netzwerk schaffen, das | |
bundesweit Begleiter vermittelt. Neben einer zentralen Telefonnummer nutzen | |
sie dafür das Internet. In einer öffentlichen Liste werden die Daten der | |
MitläuferInnen gesammelt, damit jeder Hilfesuchende direkten Kontakt | |
aufnehmen kann. Nach Orten sortiert haben sich hier seit Juli 150 Menschen | |
aus ganz Deutschland eingetragen, es sind größere Städte aufgeführt, aber | |
auch immer mehr kleinere Kommunen. | |
## Begleiter per Twitter finden | |
Viele der potenziellen Begleiter auf der Liste waren schon vorher sozial | |
oder politisch engagiert, einige sind Mitglieder der Piratenpartei. Per | |
Twitter und Facebook können auch kurzfristig Begleiter gefunden werden. Die | |
Mitläufer wollen zudem mit anderen Initiativen zusammenarbeiten und die | |
Angebote bündeln. Vor Kurzem haben sie Anfragen an 500 Sozialverbände und | |
Arbeitslosenorganisationen in ganz Deutschland verschickt. Die erste | |
Kooperation mit einer Münchner Erwerbsloseninitiative gibt es bereits. | |
Auch Anja Huth verfolgt im Internet, was die Mitläufer tun. Huth ist | |
Pressesprecherin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg und sieht die | |
Möglichkeit der Begleitung grundsätzlich positiv. „Jeder soll mit einem | |
guten Gefühl zum Jobcenter kommen. Jemanden mitzubringen, wenn man unsicher | |
ist, ist deshalb eine gute Idee.“ Sie wünscht sich aber auch eine andere | |
Perspektive auf die Rolle der ArbeitsvermittlerInnen. „Wir wollen helfen | |
und eine Vertrauensbasis schaffen. Wenn suggeriert wird, dass es vor allem | |
um Druck und Angst geht, ist das ein Problem.“ | |
Auch, dass sich der Begleitete und die Mitläuferin häufig erst kurz vor dem | |
Termin beim Jobcenter kennenlernen, findet sie schwierig. „In | |
Beratungsgesprächen geht es teils um sehr persönliche Dinge, Krankheiten | |
oder Schulden. Dann verhindert ein Begleiter vielleicht sogar, dass offen | |
über alles gesprochen wird.“ | |
Andrea Siebert kann diese Bedenken nicht nachvollziehen. Sie hatte Frank | |
Knott kurz vor dem Termin beim Amt zum ersten Mal getroffen. In einem Café | |
in der Nähe des Jobcenters erklärte er ihr, was sie erwartet. Dass sie ihr | |
Gegenüber vorher nicht kannte, war für sie überhaupt kein Problem. „Mir war | |
nur wichtig, nicht alleine zu sein.“ | |
2 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Magdalena Schmude | |
## TAGS | |
Arbeitsamt | |
Hartz IV | |
Johannes Ponader | |
Unternehmen | |
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