# taz.de -- Pleite der israelischen Zeitung „Ma’ariv“: Sie wollen gekauft… | |
> Fremdinvestoren gesucht: Den etablierten israelischen Tageszeitungen wie | |
> „Ma'ariv“ geht es schlecht. Geld soll von außen kommen. Zulasten der | |
> Pressefreiheit. | |
Bild: Pleite: „Ma'ariv“ in Tel Aviv. | |
JERUSALEM taz | Eben noch mal davongekommen ist die israelische | |
Tageszeitung Ma’ariv. Knapp drei Viertel der Mitarbeiter sollen | |
weiterarbeiten, versprach der neue Verleger Schlomo Ben-Zvi, der die | |
Zeitung vor zwei Wochen für umgerechnet 16 Millionen Euro erwarb. | |
Die Krise des einst führenden Blattes ist damit jedoch nur vorübergehend | |
beigelegt. Schon 2014 droht die endgültige Schließung der Redaktionsräume, | |
wenn der Mietvertrag mit einem weiteren Käufer ausläuft. Dieser wird | |
vermutlich das alte Verlagshaus abreißen, um einen mehrstöckigen | |
Bürokomplex oder Eigentumswohnungen errichten zu lassen. | |
Außer dem Ma’ariv, bei dem einst Efraim Kishon seine ersten Zeilen | |
veröffentlichte, stehen der links-liberalen Ha’aretz Kündigungen ins Haus. | |
Auf der einst fruchtbaren Wiese mit Dutzenden Zeitungen herrscht Dürre. | |
„Damit ich und meine Kollegen weitermachen können – kauft den Ma’ariv“… | |
heißt es auf der hauseigenen Internetseite [1][nrg.co.il]. | |
Man denkt automatisch an die taz. Hier ginge es nicht länger nur um die | |
Vermarktung eines Produkts, meint Yuval Karniel, Medienexperte vom | |
Interdisziplinären Zentrum in Herzlia. Die Kampagne signalisiert, dass es | |
sich bei der Zeitung um „eine Einrichtung von öffentlicher Bedeutung | |
handelt, ungefähr wie ein Museum“. Mit Sorge um die Demokratie beobachtet | |
der Kommunikationswissenschaftler die Not der Medien. „Geldmangel ist kein | |
gutes Rezept für unabhängigen Journalismus.“ | |
## Einhundert Kündigungen | |
Während beim Ma’ariv zunächst aufgeatmet werden kann, hält das Bangen bei | |
der links-liberalen Ha’aretz an. Verleger Amos Schocken, der die Zeitung | |
einst aus den Händen seines Vaters übernahm, wird einhundert seiner | |
Mitarbeiter entlassen müssen. Lieber jetzt in den sauren Apfel beißen und | |
„einigen kündigen“, rechtfertigte sich Schocken, „als keinen entlassen u… | |
schon bald die Zeitung komplett schließen“. | |
Seit Jahrzehnten zum ersten Mal brachten die Mitarbeiter aus Protest gegen | |
die geplanten Stellenkürzungen Anfang Oktober die Druckmaschinen zum | |
Stillstand. Wenigstens einen Tag ohne Ha’aretz sollte es geben, damit die | |
Leser merken, wie sich das anfühlt. „Ha’aretz ist nicht nur unser | |
Arbeitsplatz, sondern eine Institution, die die israelische Gesellschaft | |
mit ausmacht“, mahnte Gideon Levy, der regelmäßig über Schicksale im | |
besetzten Westjordanland berichtet. | |
Die Krise der israelischen Printmedien ist teils Folge der globalen | |
Entwicklung, teils hausgemacht. Ein Einbruch für die drei etablierten | |
Tageszeitungen Yediot Achronot, Ma’ariv und Ha’aretz kam vor fünf Jahren | |
mit dem Anzeigenblatt Israel Hajom. Gründer und Finanzier ist der | |
konservative US-Milliardär Sheldon Adelson. Das regierungstreue Blatt, dem | |
Ha’aretz einst riet, sich doch gleich „Netanjahu Hajom“ zu nennen, | |
beherrscht heute 40 Prozent des Zeitungsmarktes. | |
Israel Hajom ist deshalb so erfolgreich, „weil es ein simples Format hat, | |
das das Auge anspricht, und weil die Zeitung eine politische Linie | |
vertritt, die vielen passt“, erklärt Mordechai Kremnitzer. Kremnitzer ist | |
stellvertretender Direktor des „Israelischen Zentrums für Demokratie“. Dass | |
die Zeitung umsonst verteilt wird, hält er für „unlautere Werbemethoden“, | |
die sich allerdings für den Verleger auszahlen. | |
## Untreue mit Folgen | |
Beim Ma’ariv dürften außer der kostenfreien Konkurrenz und der globalen | |
Zeitungsflucht interne Fehlentscheidungen mit Grund für die hohe | |
Verschuldung gewesen sein. Medienbeobachter Karniel findet, dass sich der | |
Ma’ariv, der einst eine „zentrale öffentliche Plattform zur Aufklärung | |
politischer und gesellschaftlicher Angelegenheiten“ war, zu einer | |
„Boulevardzeitung entwickelte, die den Lesern hinterherläuft“. Der Ma’ar… | |
habe die Rolle als „Wächter der Demokratie“ und damit sein Publikum | |
verloren. | |
Der Leserschwund betrifft jedoch genauso die Ha’aretz, deren Publikum mit | |
nur 7,4 Prozent Anteil am Zeitungsmarkt kaum halb so groß ist wie das des | |
Ma’ariv, einer Zeitung, der man nicht vorwerfen kann, sie sei sich selbst | |
nicht treu geblieben. „Israel ohne Ha’aretz wäre wie Israel ohne Obersten | |
Gerichtshof“, schreibt Usi Benziman, ehemals Autor der Zeitung. Auch | |
Kremnitzer findet, dass „es zwar schlimm“ wäre, wenn der Ma’ariv schlie�… | |
müsste, da eine Demokratie Informationsvielfalt braucht. | |
Doch wenn es Ha’aretz passierte, käme das einer „Katastrophe“ gleich. | |
Unterschied ist, dass die eine Zeitung von einer Familie gemacht wird, die | |
traditionell mit Medien zu tun hat, während die andere Unternehmern gehört. | |
„Der eine Verlag will eine gute Zeitung machen, der andere ein gutes | |
Geschäft.“ Die Ha’aretz hat nicht nur qualitativ ein deutlich höheres | |
Niveau, „sie spielt durch ihren Beitrag zur demokratischen Debatte und | |
ihrer Kritik an der Regierung eine besondere Rolle in Israel“, sagt | |
Kremnitzer. | |
Die Medienexperten sind ratlos, was Lösungsmodelle betrifft. Beide | |
Zeitungen erwägen eine schrittweise Reduzierung auf die Veröffentlichung | |
online. Bei der englischen Online-Ausgabe von Ha’aretz sind die Artikel im | |
Internet seit ein paar Wochen kostenpflichtig. Kremnitzer bezweifelt, dass | |
die elektronischen Medien die Zeitung ersetzen können. Viele Internetnutzer | |
würden sich mit Überschriften und kurzen Texten zufriedengeben. „Ohne | |
hintergründige Analysen geht etwas Wichtiges verloren.“ Ob die | |
Journalisten, die der neue Ma’ariv-Verleger Schlomo Ben-Zvi übernehmen | |
will, künftig so ungezügelt schreiben dürfen wie bisher, wird sich zeigen. | |
## Zeitungsabos für Schüler und Studenten | |
Ben-Zvi, der Herausgeber der rechts-religiösen Zeitung Makor Rishon ist, | |
verfolgt eine klare politische Linie. Möglich ist langfristig sogar eine | |
Zusammenlegung der beiden Redaktionen. Für die Mitarbeiter des Ma’ariv wäre | |
eine Fusion mit dem rechten Blatt das Ende ihres freien Schaffens. Im | |
Gespräch sind stattdessen andere Modelle, wie die staatliche | |
Subventionierung von Zeitungsabos für Schüler und Studenten. | |
Medienexperte Karniel rät davon dringend ab. Sobald der Staat seine Hände | |
im Spiel hat, „droht die Gefahr einer Kontrolle und einer finanziellen | |
Abhängigkeit“. Das würde die Demokratie deutlich schwächen. Karniels | |
Perspektiven sind düster: „Der Printjournalismus wird langsam | |
verschwinden.“ | |
6 Nov 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://nrg.co.il | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
## TAGS | |
Israel | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Israelische Zeitung | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Journalistische Selbstzensur in der Türkei: Worte mit Bedacht gewählt | |
Die türkische Regierung setzt Journalisten unter Druck. Wenn sie zu | |
kritisch berichten, drohen Entlassungen oder Haftstrafen. Die Folge ist | |
Selbstzensur. | |
Zeitungskrise in Israel: Weniger Nachrichten, mehr Religion | |
Israels zweitgrößte Tageszeitung droht ihre Unabhängigkeit zu verlieren: | |
Der „Ma'ariv“ soll an einen religiösen Investor verkauft werden. | |
Mohammed-Karikaturen in Frankreich: „Charlie Hebdo“ macht's nochmal | |
Das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ wurde bereits zum Ziel | |
mutmaßlich islamistischer Gewalt. Die Zeitschrift druckt trotzdem wieder | |
Mohammed-Cartoons. | |
Schwedische Journalisten freigelassen: 438 Tage äthiopischer Knast | |
Zwei Journalisten sind nach langer Haft in Äthiopien freigelassen worden. | |
Ihre Geschichte wirft ein schlechtes Licht auf Schwedens Regierung. |