# taz.de -- Verfassungsschutz-Affäre: Innensenator angeschreddert | |
> Berliner Verfassungsschutz hat Rechtsextremismus-Akten sehenden Auges | |
> vernichtet. Innensenator Henkel gerät unter Druck. | |
Bild: Hat Innensenator Henkel (CDU) seinen Laden im Griff? | |
Nichts habe der Berliner Verfassungsschutz vertuscht, sagte dessen Chefin | |
Claudia Schmid im Abgeordnetenhaus. Seit Monaten sichte man „sämtliche in | |
Betracht kommenden Unterlagen und Dateien“ auf einen NSU-Bezug. „Sorgfältig | |
und genau.“ Das war am 19. September. | |
Jetzt ist klar: Der Verfassungsschutz hat „sorgfältig“ gearbeitet – aber | |
anders als gedacht. In der Hochphase der Aufklärung über die | |
Nazi-Terrorzelle ließ die Behörde stapelweise Akten über Rechtsextreme | |
vernichten. Und, wie Schmid am Mittwoch einräumen musste, ihr | |
Referatsleiter für Rechts- und Linksextremismus sortierte sie persönlich | |
aus. | |
Der hatte am 25. Juni mit zwei Sachbearbeitern 57 Alt-Akten, die ihre | |
Aufbewahrungsfrist überschritten hatten und als „abgearbeitet“ galten, zum | |
Vernichten ausgeheftet – obwohl das Landesarchiv 32 davon archivieren | |
wollte. Obwohl seit Monaten über den NSU diskutiert wurde. Und obwohl es in | |
den Akten neben Holocaustleugner Horst Mahler oder der „Heimattreuen | |
Deutschen Jugend“ um die Neonazi-Band „Landser“ ging – zu deren Vertrau… | |
der NSU-Helfer und langjährige Berliner V-Mann Thomas S. gehörte. | |
Der Referatsleiter merkte all dies nicht. Oder wollte es nicht merken. Denn | |
die Akten zum Linksextremismus, die fürs Landesarchiv vorgesehen waren, | |
sortierte er ordnungsgemäß aus und bewahrte sie vor dem Reißwolf. Die | |
Neonazi-Akten wurden am 29. Juni in der Bundesdruckerei vernichtet. | |
Die Grüne Clara Herrmann sagte, „nach allem, was passiert ist, kann ich | |
Mutwilligkeit nicht mehr ausschließen“. Am Freitag befasst sich der | |
Verfassungsschutzausschuss in einer Sondersitzung mit der Affäre. | |
Auch Innensenator Frank Henkel (CDU) gerät in die Schusslinie. Er wurde | |
schon am 15. Oktober, dem Tag, an dem Schmid von der Schredder-Aktion | |
erfuhr, über den Vorgang informiert. Die Fraktionssprecher und den | |
NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag setzte er aber erst an diesem | |
Dienstag in Kenntnis. So wie bei V-Mann S., von dem Henkel seit März | |
wusste, das Parlament aber erst im September informierte. Schmid sagte, man | |
habe erst Mitarbeiter befragen und die Antwort für den NSU-Ausschuss | |
aufbereiten wollen. | |
Die Grünen forderten Henkel auf, sich am Donnerstag im Parlament zu | |
„erklären“. Der Innensenator sprach von einer „Panne“. Es sei „nicht | |
vermittelbar, wie in einer derart sensiblen Phase so etwas passieren | |
konnte“. Er könne dafür „nur um Entschuldigung bitten“. | |
Besonders brisant: Nur einen Tag vor dem Schreddern wurde bekannt, dass | |
auch das Bundesamt für Verfassungsschutz Akten zu Geheimdienstoperationen | |
im Umfeld des Nazi-Trios vernichtet hatte. Schmid beantwortete die Frage, | |
ob mutwillig gelöscht worden sei, sie vertraue ihren Mitarbeitern. Deren | |
Verfehlungen kläre nun Henkels NSU-Beauftragter Dirk Feuerberg auf. Die | |
Mitarbeiter würden schon befragt. | |
Schmid nannte den Vorgang „absolut unerfreulich“, sprach aber von | |
„individuellem Fehlverhalten“. Auch gebe es keinen Hinweis, dass die Akten | |
einen NSU-Bezug gehabt hätten. Schmid selbst hatte auf Bitte des | |
NSU-Ausschusses am 20. Juli einen Vernichtungsstopp für | |
Rechtsextremismus-Akten verfügt. Für den Grünen Benedikt Lux viel zu spät: | |
Der Bundestags-Ausschuss hatte schon im März „sämtliche Akten“ mit | |
NSU-Bezug aus Berlin angefordert. Das Schreddern sei spätestens ab da | |
„absolut rechtswidrig“ gewesen, so Lux. | |
Auch Hakan Tas (Linke) sprach von „Entsetzen“ über den leichtfertigen | |
Umgang mit den Akten. Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des | |
NSU-Ausschusses, zeigte sich „verständnislos“. "Da kann man sich nur an den | |
Kopf fassen." Es sei zu klären, ob seinem Gremium relevantes Material | |
vorenthalten wurde. | |
Verfassungsschutz-Chefin Schmid kündigte klarere Regeln für die | |
Aktenvernichtung an. Auch werde versucht, die im Juni gehäckselten Akten zu | |
rekonstruieren und Kopien zu finden – auch auf Festplatten und CDs. Denn | |
geschreddert wurde nur Papier. | |
7 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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